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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 74. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coinci­dentia opposi­torum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  74. Nachwort

Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?



  
  

nicht gestreichelt – geohrfeigt

Dem Pimpf wird der Mund zugehalten



Oberleutnant Helmut Schmidt, Oberleutnant Strauß, Hauptmann Dregger, Major Mende und die Karriere­leiter hoch zu Hitlers und Adenauers Gene­rälen samt Staats­sekre­tären der Sorte Globke – ich find' sie im Rück­blick alle zum Davon­laufen und bin diesen Herren als Neunzehn­jähriger im Krieg mangels Alter­native davon­gelaufen. Soll unser­einer vor den National­kotz­brocken immer nur die Flucht ergreifen? Dann gab's das andere Deutsch­land. Großer Anfang, schräges Ende. Wenn sich die Genos­sen Generäle nach ihrer Nieder­lage gegen die sieg­reichen West­offiziere heute verbal zur Wehr setzen, versteh' ich das, nur geht es mir zu sehr um die beidseitige armselige Offiziers-Ehre und zu wenig um die Nieder­lage, deren Gründe kaum artikuliert werden. Wäre ich Ost-General, wollte ich vom West-General nicht anerkannt sein. Ich hätte mich, nebenbei bemerkt, erschos­sen. Wer aber lebt, also überlebt, sollte entweder schweigen oder die Dekon­struktion der eigenen Seite und Vergangen­heit wagen. Jede Niederlage beruht erst einmal auf eigenen Fehlern. Für uns von der deutschen Linken heißt das, die Entfernung von Marx war zur Unend­lichen geworden. Nicht Selbst­aufgabe ist das Motto, sondern Bewahrheitung und Widerstand gegen den kollektiven Trend zur Endzeit. Dieser Text stammt aus Folge 67 unserer Sachsen-Geschich­ten. Der seltsame Frei­staat macht es einem nicht leicht. Die Farben schwarz und braun mischen sich nicht nur in den Medien zum Schwarz­braun. Es ist nicht die Hasel­nuss. Die Sätze von oben werden zitiert, weil sie die Beschaf­fen­heit der Groß­väter- und Väter­gene­ration in Ost und West signali­sieren. Der Spiegel wagte die Bonner Nazi-Bräune erst jetzt in Heft 1/2012 zu bemer­ken. Sogar mit einem ganzen Satz Selbst­kritik.

Brandreden gegen Ernst Bloch

Die aus Weltkrieg II heimge­kehrten Leutnante, deren Kar­rieren 1945 abrupt abbrachen, die sie jedoch fort­zusetzen gedachten, wählten den Zwitter zum Leit-Typ, halb unbeschädigt und halb post­heroisch. Die Nach­kommen teilten sich in auf­geschreckte 68er und fleiß­ver­schwitz­te Auf­steiger, die es bald zu was brachten. Ihr Held aber ist und bleibt Ernst Jünger, der Meister Blutwurscht aus Weltkrieg I, ein Richthofen der Infan­terie, der akzep­tabel ist, weil ohne Auschwitz. So ungefähr die innere Messlatte des elitären Gelich­ters und soviel zum Westen. Nun zum Osten. In seiner Brand-Rede gegen Bloch bedauerte sein Haupt­feind Gropp, dass „eine Reihe von Philo­sophen in der Deutschen Demokratischen Republik sich nicht mit ihm befassen zu brauchen“ glaubte. „Man fand die Lektüre seiner Schriften zu mühselig und zeit­raubend.“ (Ernst Blochs Revision des Marxismus 1957) Mag sein, das war und ist so. Gropp, zu seiner Stalin-Ehre sei`s gesagt, war die Bloch-Lektüre nicht zu mühselig, allerdings ent­nahm er daraus nur, was ihn in der Feind­schaft gegen den Philo­sophen bestärkte. Nicht zu mühselig war sie auch dem Logiker Dr. Horn, den seine Fleißarbeit gegen Bloch in die Kehre zum Freitod führte, was seine marxis­tische Inte­grität zwar wieder herstellte, zugleich zum Verschwi­nden des Ab­schieds­briefs führte. Wer ließ ihn verschwinden? Welches Geheimnis enthielt das Papier? Nehmen wir an, Horn sei ein moderner Biologe gewesen und habe das Elixier ewigen Lebens gefunden. Das machte den Freitod verständ­lich. Wer möchte schon des Menschen Ewigkeit verantworten. Im Brief legte Horn seine Gründe dar. Er war kein Biologe, nur ein Philosoph bei der Auf­kündigung eines Irrwegs..

Am 28./29.05.2011 erschien im ND eine Seite mit dem Titel „Es kömmt darauf an …“ Worauf? Darauf: „Re Thinking – Marx – Notizen von einer inter­nationalen Konferenz an der Humboldt-Universität zu Berlin.“ Es berichtet der Philosoph Hans-Christoph Rauh, den die Redak­teure mal mit ›h‹ und mal ohne enden lassen. In der Sache geht es sogar um vier Buchstaben. An der Seite wird deshalb die 11. Feuerbach-These von Marx in der Urfas­sung nachgedruckt: Die Philo­sophen haben die Welt nur verschieden inter­pretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern. Der Text wurde meist um ein Minimum falsch zitiert durch ein von Friedrich Engels eingefügtes … es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Das aber ist es, das dem schluss­fol­gernden Halb­satz noch mehr Gewicht ver­leiht, obwohl schon die Aus­gangs­these frag­würdig ist, weil die gesamte 11. These nur mit den voran­gehen­den 10 Thesen gilt. Die Gründe erörterte Bloch in Das Prinzip Hoffnung, 1. Band, 19. Kapitel, erschienen 1954 im Aufbau Verlag Berlin. Wir berich­ten darüber in Sklaven­sprache und Revolte sowie x-mal in verschie­denen anderen Publi­kationen und sind hoch­erfreut, die Aussage schon 57 Jahre nach Blochs erster Inter­vention in Neues Deutsch­land in korrekter Fassung vorzu­finden.
  Ein profunder Satz zum Dank noch aus dem Rauh-Artikel: „Marx ist wieder da – postmarxistisch.“ Es gibt noch Fort­schritte. Derart animiert stelle ich mir den Inhalt des verschwun­denen Briefes vor, den unser Genosse Horn 1958 bei seinem signi­fikanten Freitod hinterließ. Vielleicht sind es drei ver­sammelte Drei­sätze. So von Brecht über Karthago:
 Erstens: Nach 3 Kriegen war die Stadt a) noch mächtig b) noch bewohnbar c) unauffindbar.
 Zweitens: Immanuel Kants 3 Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?
 Drittens: Blochs Dreier-Proklamation: Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.
  Kann man das wirklich noch hoffen? Wohl kaum. Inzwischen eilte Zarathustra zu Horns Grab und sonderte seinen obersten Leitspruch ab: „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss.“ Im Himmel der Marxisten, der auch Leipzig noch überwölbt, hört Herbert Marcuse die irdische Donnerstimme und flüstert: Ich hab's vorausgesagt, die Zukunft gehört dem eindimensionalen Menschen.

Der Jubeltag von Potsdam: Wäre der natio­nale Hinden­burg 1933 noch so kampf­stier­stark wie 1914 bei Tan­nen­berg gewesen, hätte er Adolf den Kopf abge­bis­sen. Der Führer hielt ihm die Rübe pass­genau vor die Feld­herren­schnauze. Ein Stahl­helmer stand als Drit­ter bereit.
  Aufs 2. Foto verwiesen wir im 72. Nach­wort: Die Auf­nahme ist ent­halten in einem Spiegel-Leser­brief, das viel­gezeigte Bild stinkt stell­ver­tretend fürs deutsche Helden­vater­land gen Himmel. Der Führer streichelt einem kleinen HJ-Soldaten die brave Wange? Einfach süß.
  Zweimal war Hitler in seinen Auf­tritten als German-Satan ehrlich bis auf den tiefsten Grund der nationa­len Seele: Als er Hindenburg die Birne zum Ab­beißen hinhielt und als er zwölf Jahr später den letzten blöden braunen Kinder­soldaten ohrfeigte. Ja, richtig gelesen. Die Back­pfeife galt der ganzen dummen Helde­nmeute im „Ein­satz“.
  Da dürfen die alten Partei- und Wehr­macht­kameraden in den Spiegel blicken und ihre von des Führers Ritter­schlag geröteten Backen mit Schwefelsäure aus­brennen. Des Teufels General­stabs­hölle ist heute noch in Betrieb.

Am 15.12.2011 wird im FAZ-Wirtschafts­teil der Auftritt einer „Gerecht­ig­keits­philo­sophin im Bundes­tag“ gemeldet. Wir staunen. Nach Benedikt schon wieder eine Weis­heits­predigt? Gemach: „Eine ameri­kanische Philo­sophin sitzt in einem Plenar­saal und plädiert dafür, Wachstums­kritik und Fragen globaler Gerech­tig­keit zusammen zu denken. Etwa ein Dutzend Politiker aus der Regie­rung und Oppo­sition sind gekommen …“ Alle Achtung, Damen und Herren! Die Philo­sophin ist „Gast der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebens­qualität in Berlin …“ Das heißt im Klartext: „Folgt man der Ge­rechtig­keits­philo­sophin, lassen sich Wohlstand und Lebens­qualität also kaum am BIP ablesen.“ (BIP = Brutto­inlands­produkt)
  Was für eine umstür­zende Erkenntnis! Um soviel geballte Weis­heit aus Über­see ins Land eines Karl Marx und obendrein noch ins Hirn eines Dutzend Bundes­tags­mit­glieder zu tran­sportieren sollten wir keine Reise- und Hotel­kosten scheuen. BIP ist nicht alles. Aber bei vielen Leuten piept's!

Hitlers Backpfeife für den letzten treudoofen Wehrmachts­zwerg ist an die deutsche Lehrer­schaft adressiert, die ihre Schüler aufs Soldaten­leben vorbereitet hatte als wär's der Sinn des Lebens. Vorab die feige NS-Garde, vorab Göring im Nürnberger Prozess, wo er die deutsche Haupt­rolle spielte – Dorf­richter Adam. Das Un­schulds­syndrom passte ihm wie die Uniform des Reichsmarschalls mit und ohne Land. Noch in der Ana­tomie hob der abgemagerte Kadaver den Mar­schall­stab zur Pa­rade. Da war sein Führer offen­herziger, wenn er einen Hitler­jungen ohrfeigte. Das hat er nicht getan? Diese Hierar­chien samt Gefolg­schaft und Nachlass setzen sich unentwegt fort. Denen fehlt die Phan­tasie für Schmerz­empfindung.

Hartwig Runge mailt aus Leipzig eine luft(-ige) Auf­nahme von Ober­reifen­berg, das so zauber­haft aussieht, wie es ist, wenn wir es ver­zau­bern, also ernennt er es zu Ober­zucker­berg und setzt es strikt dem Ober­salz­berg entgegen, in dem Bar­baros­sa II überdauert und seine Späh- und Sturm­trupps aus­sendet, die ver­suchs­weise in den Nah­kampf gehen – Parti­sanen ihres Führers. Feuer frei. Wem sitzt die braune Laus im Pelz? Ich glaubte im August 1944 bei Warschau desertiert zu sein, doch wie weit du auch läufst, Deutsch­land holt jeden wieder ein. Fahnen­mächtig, hymnen­treu und nie­der­trächtig: Wer­wolf­recht­lich. Das ver­gesse ich keinem. Es ist Kopf- und Bauch-Gravur.
  Da hilft doch nur die Flucht in den Brief­wechsel mit der Mario­net­ten­mär­chen­fee:

Liebe Edith,
las eben die bewe­genden Zei­tungs­be­richte über Dein Ma­rio­netten­theater-Pro­gramm: Eine Nacht mit Pinocchio. Die Zauber­atmosphäre. die Du ganz alleini­ges Mensch­lein irn dichten Bad Homburger Wald unter den wun­der­schönen Zwergen, die Deinen Hän­den folgen, erreichst, erin­nert mich an Deine erste Vor­führung, die wir erleben durften in Eurem privaten Zoll­stockt­heater. Beim Blick auf das Foto mit Dir und die Finger, die so viele Fäden ziehen, an denen unsere Träume hängen, kommt mir ein zweiter Blick auf. Als ich über mein Leben/Überleben in der Schlacht von Monte Cassino zu schrei­ben begann, erinnerte ich mich plötzlich an die ver­botenen Anti­kriegs­bücher, mit denen ich als Kind aufge­wachsen bin. Mir schien, ich hatte den Krieg als Lektüre erlebt und bin gar nicht dabei gewesen. Es waren auf­ge­schla­gene Buchseiten, die ich reka­pitu­lierte.
  Erst die intensive Märchen­form erlaubt den Sprung in eine ganz andere Welt. Schwerelos ist das wie der Gang aus Eurem Haus­theater in die Nacht, so erinnere ich mich heute an Deine zurückliegende Premiere. Dein Mario­net­ten­spiel Iässt die Fäden vergessen, an denen wir hängen.
Herzlich, Euer GZ

Lieber Gerhard,
Du hast mir einen so wunder­schönen Brief geschrieben, dass mir jetzt buchstäblich die Worte fehlen Ja, ich weiß noch sehr gut, dass Ihr bei der Premiere von RETTUNG FÜR SIRIUS dabei wart und dass Du sagtest: „Am Schluss hast du was verschenkt.“ Das stimmte. Wie schön, dass man nicht aufhört zu lernen. Mittler­weile habe ich ein dickes Drama­turgie­buch durch­geackert (Lajos Egri) und neue Blicke gewonnen, und die Begeis­terung der Menschen zeigt, dass das nicht umsonst war. Ich bin jetzt tat­säch­lich bis Ende Februar ausgebucht. Zwischen­durch kommen noch Schul­klassen. Gestern war ein erstes Schuljahr hier, heute schon brachte die Lehrerin mir ein „Anden­kenbuch“ von allen Schülern zum Dank. So süß! Und sie sagt: „Sie brauchen nur ein Wort der Zustim­mung zu sagen, dann rennen Ihnen viele Schulen hier die Bude ein, wenn ich d a s erzähle.“ Aber das eine Wort habe ich n i c h t gesagt, weil es mich sonst zerreißt.
  Johannes ist ja auch noch da 3und Haushalt und alles Aber weißt Du, was einfach unfassbar ist? Ich habe mir das so glü­hend gewünscht, als ich jung war und die ersten Marionetten sah, und nie schien das erfüll­bar. Und dann – irgend­wann im Alter – auf einmal ist alles möglich. Das ist Glück und Geschenk und Fügung und alles auf einmal.
  Ich wünsche Euch beiden eine richtig gute ruhige befriedete Zeit und grüBe Euch ganz herzlich und mit Dank für Deinen Brief, Edith


Der Mann in der Mitte wird nicht überleben – Mann rechts überlebt und wird in der DDR Offizier – Gerhard Zwerenz ganz links auf dem Bild war damals stinksauer, konnte nicht per Flieger flüchten, musste zu Fuß türmen



Als der Siebenjährige erfahren hatte, die Bücher in seiner Bodenkammer waren ab sofort verboten, fühlte er sich erstmals in seinem Leben bedroht und erlernte die Technik der Geheim­haltung erwor­benen Wissens. So überstand er Schule, Lehr­lings­zeit und Wehrmacht. Der Plan, bei der Hitler­jugend das Segelfliegen zu erlernen und übers Erz­gebirge nach Prag zu entkommen, scheiterte. In Prag mar­schierte die Wehrmacht ein. Ab also mit 17 Jahren zur Luftwaffe. Was Hitlers Stell­ver­treter Hess konnte, konnte ein Trotzkist schon lange. Her mit der Messer­schmidt und fort in die weite Welt. Wir sehen drei Luft­waffen­rekruten am Tag der Ent­scheidung, abkom­mandiert in die Kaserne nach Utrecht, wo die Luft­waffen­divi­sion Hermann Göring, die bei Rommel in Afrika gerade unter­ging, neu aufge­stellt werden sollte. Zwei freuen sich auf Holland. Der dritte erstarrt zur Eis­säule. Scheiben­kleister ist es mit der ersehnten Flug­schule, er wird nicht wegfliegen, er wird weg­stiefeln müssen. In seinen luftigen Wünschen hatte er sich's leichter vor­gestellt. Kinder­leichter.
  Zweimal missglückte der Versuch, sich von der Truppe zu entfernen. Zwischen Monte Cassino und Gaeta stach ein Rie­sen­kerl von Feind den Begleiter nieder. Ich wollte sein Bajonett nicht auch noch kosten und drückte ab. Das war Schreck, Panik, Angst, Verlust, Wut. Bald gab es Gerede in der Kompanie. Die schiefen Blicke der Verdächtigung. Hatten die beiden abhauen wollen? Da bin ich ganz und gar ein tüch­tiger Soldat. Dumm und gehorsam wie gewünscht. Das wäre ja gelacht. Im Ernst­fall spiel ich den Jünger tagelang bis zum Kotzen. Als sie mir den Orden anhef­teten „Für den Front­einsatz im Erdkampf in mindes­tens drei Gefechten an drei verschie­denen Tagen“ – das Weiße im Auge des Feindes sehen hieß das im Helden­deutsch. Da wusste ich doch, die dritte Flucht musste glücken.

Das Erdkampfabzeichen der Luftwaffe wurde am 31. März 1942 vom Ober­befehls­haber der Luft­waffe, Hermann Göring, gestiftet und konnte an alle Angehörige der Luftwaffe verliehen werden, die sich durch „aus­gezeich­nete Kampf­leis­tungen“ im Erd­kampf bewährt hatten. So der stif­tende Reichsmarschall. Und nun Ernst Jünger in Sturm, Seite 11: „An diesen Gedanken erinnerte sich Sturm, als er vor dem Toten stand. Hier hatte wieder ein Ein­zelner gegen die Sklaven­halterei des modernen Staates nach­drücklich pro­testiert. Der aber stampfte als unbe­küm­merter Götze über ihn hinweg.“ Das ist beim einen wie dem anderen Herren- und Sklaven­sprache, fern jeder Ahnung von Revolte, ein Schweine­schnauzen­grunzen vorm Schlacht­hof.

Im Brief an die Marionetten­märchen­fee Edith steht der Satz: „Mir schien, ich hatte den Krieg als Lek­türe erlebt und bin gar nicht dabei gewesen.“ Löscht das Fixierte die Realität aus oder wird sie damit erst dazu? Im Rückblick erscheint mir mein Leben als wäre es in der Gablenzer Boden­kammer aus den verbo­tenen Büchern geholt worden. Hier fauchen Blitz und Donner vom Obersalzberg herunter. Hartwig Runges Einfall vom Oberzuckerberg konsti­tuiert das Gegenmodell. Vom Gefreiten Adolf, dem Führer Hitler stammt der Satz: „Der Soldat kann sterben, der Deser­teur muss sterben.“ Der Ober­gefreite GZ dementiert das ab August 1944 bis zum heutigen Tag vom Oberzuckerberg aus. Das reicht für klare Rückblicke.

Klaus Gietinger:
Eine Leiche im Landwehrkanal

Jeden Januar gedenken Sozialisten in Berlin der Er­mordung von Luxemburg und Liebknecht im Januar 1919. Intern erfuhr ich von den Um­trieben des dafür verantwortlichen Mannes im Umfeld der Bonner Regierung. Klaus Gietinger dazu in junge Welt vom 10./11. 1. 2009: „Im No­vember 1961 ver­öffent­lichte Gerhard Zwerenz im stern einen Artikel unter der Über­schrift ›Ulbricht lässt die andern schießen‹. Der Beitrag brachte nun aber nicht Ulbricht, sondern den Major a. D. Pabst aus der Wind­scheidstraße in Rage. Denn Zwerenz hatte auch den weißen Terror der Frei­korps 1919 verurteilt und Pabsts Tat Mord genannt. Pabst war außer sich und ging zum Gegenangriff über …“ In seinem Buch Eine Leiche im Landwehrkanal kommt Gietinger darauf zurück.
  In welchen postnazistischen und postheroischen Mörderkreisen die Bonner Elite sich Anfang der sechziger Jahre bewegte, erfuhr ich durch die Folgen und Konsequenzen meiner stern-Serie. Unser Hausarchiv enthält eine Reihe von Belegen zu dem Fall. Hier einige Fragmente davon:




Per Klick zu den Dokumenten


In Gietingers erwähntem jw-Artikel vom Januar 2009 berichtet er, dass der DDR-Rechts­anwalt Karl Kaul die Morde an Luxemburg / Liebknecht in West­deutsch­land zur Anklage bringen wollte: „Als Zeugen nannte Kaul auch Zwerenz. Das wiederum störte Arne Rehhahn vom Zentral­komitee der SED: ›Unter keinen Umständen dürfen wir den republik­flüchtigen Strolch und Erzlügner Zwerenz als Zeugen benennen.‹“ Wer ist Arne Rehhahn vom ZK der SED? Kaul warnte mich streng vertraulich vor diesem Mann. Die Entfüh­rung meines Freundes Heinz Brandt spielte eine Rolle. Eine andere Geschichte oder nicht. Ich werde im Archiv nach­schauen. Damals gefiel es mir, aus allen Schreib­maschinen­tasten zurück­zufeuern. Zum Beispiel in der Kultur, die Zeitung galt als eine Stimme der Gruppe 47 – ich durfte mich in Leitartikeln äußern. Als es jedoch um den Doppelmord an Luxemburg / Liebknecht ging, war der Ofen aus. Das Münchner Blatt wurde am selben Tag eingestellt. Von wem? Viel Feinde gabs in West wie Ost und im Geheimen. Nach diesem Kon­flikt ergab sich noch einer mit Hermann Kant, über den wir uns drei Jahr­zehnte später in einem Leipziger Streitgespräch mit dem Titel Unendliche Wende zu verständigen suchten, erschienen im Dingsda Verlag 1998. Dazu schrieb ich eine Bühnen­fassung, 2. Akt abgedruckt in poetenladen, Folge 75.


Gerhard Zwerenz, Hermann Kant: Unendliche Wende  
H. Kant, G. Zwerenz
Unendliche Wende
Ein Streitgespräch
Dingsda Verlag 1998


In diesem Januar 2012 gedenken wir wieder. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hätten weder Hitler noch Stalin überlebt. Genauso wenig wie der Genosse Trotzki. Da sich der Doppelmord an Rosa und Karl bis heute als fundamentale Differenz zwischen SPD, Linkspartei und anderweitig Engagierten erweist, schlage ich eine Mediation vor. Der PEN, immer auf Suche nach aktuellen Themen, könnte sich dazu bereit erklären. Günter Grass und Hermann Kant sind gewiss in der Lage, ihre früheren Positionen zum Fall zu vertreten oder um der historischen Wahrheit willen zu korrigieren. Das setze ich einfach voraus. Nicht zu vergessen: „Noske selbst sprach von Pabst …als einem ›bewährten Offizier‹ … Im übrigen erklärte Pabst, die Beseitigung von Liebknecht und Luxemburg sei ›anders verlaufen, als sie befohlen war.‹“ (Das Deutsche Wort 1.4.1962) Befohlen war sie.
Gerhard Zwerenz    09.01.2012   

 

 
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz