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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 37. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  37. Nachwort

Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien


  Zwei Genossen auf dem Weg zu Goethes Stuhl?

Nikita S. Chruschtschow
und Walter Ulbricht


Goethe saß darauf, als er am Ort die Szene Auerbachs Keller in Leipzig konzipierte: Zeche lustiger Gesellen. Will keiner trinken, keiner lachen? Ich will euch lehren Gesichtermachen.

 

Der tüchtige Wirt kerbte den Stuhl und reservierte ihn für hohe Gäste zum Gesichtermachen. Nietzsche trieb vorbei. Wollte Faust 3 und 4 schreiben. Setzte sich auf den Goethe-Stuhl. Sprang euphorisiert auf und in die Stadt, wo er sich die für ihn bestimmte Lues holte. Kehrte masochistisch erleuchtet auf den berühmten Sitz zurück, entwarf den Zarathustra. Walter Ulbricht, flotter Pleißenjunge, kam, von General Mielke, der alle und jeden liebt, begleitet, zum Wirt: Den Stuhl – Genosse! Der Wirt holt das historische Künstlermöbel aus dem Séparée. Walter Ulbricht sitzt auf. Der Geist Goethes und Nietzsches erfüllt den Kellerraum. Was tun? fragte Lenin, erinnert Ulbricht sich. Mielke lässt sich ein Zarathustra-Exemplar bringen, schlägt das Buch auf und findet den Satz „… wir wissen, dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir selbst mit, und dass wir schon einige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit uns.“ Eine ewige Wiederkehr des Gleichen? schimpft Ulbricht, das klingt nach CIA. Sie beraten sich mit einem gewissen Schalck-Golodkowski, der verscheuert den fabulösen Stuhl über geheime Kanäle an einen amerikanischen Milliardär, der, heißt es, das hochpreisige Stück seither im atombombensicheren Bunker für die Zeit nach dem Weltuntergang aufbewahrt. So teuer kann ein Holz von der Pleiße sein.

 

Mein Pseudonym Nr. 1 Gert Gablenz hockt in unserer alten Studentenbude im Mendelssohn-Bartholdy-Haus und schreibt seine alternative DDR-Geschichte weiter, die er in Folge 12 skizziert hatte. Jetzt strickt er einen modernen Roman daraus und der sieht so aus:

 

Erst schaffte Prag den Visumzwang für Bundesdeutsche ab, dann schloss Warschau sich an. Die Wessis drangen, wir wissen es, übers Erzgebirge in die DDR ein, durchschwammen Oder und Neiße, landeten mit Schiffen in Rostock und Stralsund, um die Segnungen des Sozialismus genießen zu können. Die DDR rief die UNO um Hilfe, der Welt­sicherheits­rat trat zusammen, Moskau protes­tierte in Bonn, weil die DDR nicht alle 60 Millionen Bundes­bürger aufnehmen könne. Bonn müsse endlich Reformen wagen, Washington mit dem harten Dollar die weiche D-Mark stützen. Da nichts geschah. stiegen die Westdeutschen zu Hunderttausenden über die Mauer, schon gab es nur noch 30 Millionen Bundesbürger und stattdessen 47 Millionen Menschen in der DDR.

 

Dem Chaos zu begegnen, bot Bonn die Übergabe an. Lothar de Maiziere als DDR-Ministerpräsident schloss mit sich selbst als Bonner Minister ohne Geschäfts­bereich einen Deutschland­vertrag. Die unge­sungene Becherhymne wurde zum Deutschlandlied, am Bundeskanzleramt wehte die Flagge mit Hammer und Zirkel, die Währungsreform gestattete den Umtausch von 10 D-Mark in 1 Ostmark, die Volksarmee schluckte die Bundeswehr und Mielke ließ alle seine U-Boote in BND, Verfassungsschutz und MAD auftauchen, so dass nur sieben unangeheuerte Westgeheimdienstler übrigblieben, und das waren Doppelagenten für CIA und KGB.

 

Natürlich gab es einige Ungereimt­heiten. Helmut Kohl musste wegen hohen Blutdrucks in ein US-Army-Lazarett. Willy Brandt fuhr zu Schiff nach Schweden und nur Lafontaine blieb im Amt, denn, so Bundes­präsident Honecker: Kein Saarländer krümmt dem andern eine Locke auf dem Kahlkopf.

 

Wirtschaftlich gesehen wirkte die Vereinigung als Kon­junktur­spritze. Jeder Merce­des-Por­sche- und BMW-Fahrer tausch­te sein Auto schnell gegen einen Trabi um. Die KfZ-Bauer von Zwickau schaff­ten 48 Stunden am Tage. In den west­lichen Super­märk­ten gingen nur noch Ost­waren. Den Bayeri­schen Rund­funk über­gab ein gewisser Herr Mühlfenzl, die weiße Fahne schwenkend, an einen gewissen Herrn von Schnitzler. Mühlfenzl: Ich bin schon immer Sozialist gewesen! Franz Schönhuber: Ich genauso! Worauf­hin Dieter Hildebrandt ebenso bayerisch wie schlesisch anzüg­lich lachte.

 

Jetzt ging alles blitz­geschwind. Das ND übernahm den stern, ein gewisser Diethelm Schröder löste wegen früherer Verdienste im Spiegel Alt­heraus­geber Augstein ab, Egon Krenz wurde Chef­redakteur von Penthouse und Reich-Ranicki von Playboy. Von einem Tag zum andern malten alle west­deutschen Wilden real­sozialistisch.

 

Inzwischen stand auch die neue Regierung mit Schalck-Golodkowski als Wirtschafts­minister, Guillaume als Innenminister, Mielke als Justizminister. Bischof Dyba wurde Botschafter beim Papst, Rita Süßmuth Bürgermeisterin von Bitterfeld, nur Stoiber blieb im Amt, um dem neusozialistischen Freistaat Bayern die gefährlichen PDS-Romantiker vom Leib zu halten. Aus Gründen der Information und Propaganda schloss er sofort ARD, ZDF und das DDR-tv zusammen zum geeinten Schwarzen Kanal. (Leitung Mühlfenzl/Schnitzler)

 

Eine Woche danach stand vor dem Frankfurter Römer ein Marx-Engels-Denkmal. Franz Josef Strauß erhielt postum das Banner eines Helden der Arbeit und Heino durfte sich Verdienter Sänger des Volkes nennen. Um der Mensch­lich­keit willen verstaatlichte Minister Mittag die bundes­deutsche Industrie, damit die Arbeiter mehr Ruhepausen erhielten. Der Landwirtschaft wurden sämtliche Sub­ventionen gestrichen, was sie auto­matisch kollekti­vierte. Umtriebige Vorsitzende der land­wirt­schaft­lichen Genossen­schaften von Pleiße und Mulde er­steigerten westdeutsche Höfe fürn Appel und zwei faule Eier.

 

Um den Sieg des Sozialis­mus perfekt zu machen, löste der Schrift­steller­verband der DDR den der BRD auf und nahm die Kollegen Autoren, die schon im Kapitalismus für den Sieg des Sozialis­mus gekämpft hatten, in den DDR-Verband auf. Wer nicht drei Zeugen für seine Verdienste um die Literatur der Arbeiter­klasse vorweisen konnte, musste in den vor­zeitigen Ruhestand. Vormalige DDR-Autoren, die geflüchtet oder ausgereist waren, gelangten in den Genuss geistiger Quarantäne. Präsident des gesamt­deutschen Schrift­steller­ver­bandes wurde Goethe, Schiller Stell­vertreter. Beim PEN-Klub ebenso, aber umgekehrt. Alle nicht aufge­nommenen Schrift­steller bildeten frei­willige Arbeits­kolonnen, die jedes westdeutsche Haus neu tapezierten. (Leitung Prof. Kurt Hager)

 

Am Tag, an dem Genosse Harry Tisch den DGB übernahm, um ihn dem wesentlich erfolgreicheren FDGB einzuverleiben, trat der bundesdeutsche Sportbund wie ein Mann dem DDR-Sportbund bei, der sich in Lokomotive Anabolica umbenannte. Fortan wurden alle deutschen Sportler Weltmeister und Olympiasieger. Übrigens flossen vom Tag der Vereinigung an alle deutschen Ströme in umgekehrter Rlchtung, sodass Nord- und Ostsee gesundeten, während Schweiz, Österreich, Tschechoslowakei und Polen gewisse Probleme in den Quellgebieten feststellten. Sie seien aber trotzdem über die deutsche Vereinigung froh, beteuerten die ausländischen Anrainer, und alle Welt wusste, sie lebten längst von üppig gespendeten Ostmark-Krediten.

 

Was aber tat nun die neue freie Regierung des großen Deutschland? Ganz einfach, sie rief umgehend die Monarchie aus und erklärte als einheitliches Kaiserreich Moskau den Krieg, um die Sowjetunion, das große Vaterland aller Werktätigen, endlich von der Perestroika zu befreien. Das besorgte Gorbi im Bund mit Pastor Gauck im Namen der Arbeiterklasse und ihrer unendlich siegreichen Partei.

 

Ein Dutzend westdeutscher Dichter, die im Kollektiv den Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU studierten, übergaben der VEB-Presse eine Erklärung, wonach sie sich riesig freuten, dass es so und nicht etwa umgekehrt gekommen sei, denn: Ein Sieg der Imperialisten hätte die ganze Welt in mindestens fünfzig furchtbare Kriege und Bürgerkriege gestürzt. Von der Weltwirtschaftskrise gar nicht zu reden …

 

Soweit die realen Phantasien des Gert Gablenz, der mich damit in Zugzwang bringt. Weil sowieso schon von Goethes Stuhl die Rede ist, fällt mir die Story von drei ehemaligen Freunden ein:

 

Im Jahr 1956 beschlossen in Auerbachs Keller drei Männer, voll auf Chruschtschows Kurs der kommunistischen Erneuerung zu gehen. Der erste, Erich Loest, durfte dafür sieben Jahren in Bautzen brummen, der zweite, Gerhard Zwerenz, entkam in den Westen, wo er mehr als 100 Bücher schrieb und sich schließlich in den Hochtaunus zurückzog. Der dritte, Conrad Reinhold, starb 1974 an dem von ihm und seiner Frau gegründeten Frankfurter Kabarett Die Maininger.

 

Neujahr 1989 beschlossen die drei Freunde, am 18. März im Maininger Keller eine Abschiedsvorstellung zu geben. Erich Loest reist aus Godesberg an, Gerhard Zwerenz fährt vom Feldberg runter in die Stadt. Conrad Reinhold kriegt vom Offenbacher Friedhof Freigang für eine Nacht. Denn das Trio hat beschlossen, der Welt zu geben, was sie sich verdient hat: Einen Schlag in die Fresse. Gesagt – getan. Ab dem nächsten Morgen geht jeder seines Weges. Loest streitet gegen alles, wofür er vorher stritt. Zwerenz schreibt für die permanente Revolte. Reinhold findet sein Grab in Offenbach nicht wieder und begibt sich in der Frankfurter Paulskirche zu Bette, wo schon viele Tote unruhen. Nicht zu vergessen: Jeder der drei Exil-Leipziger hatte früher schon mal auf Goethes Stuhl in Auerbachs Keller gesessen, bevor Walterchen das ruhmreiche Möbel nach Amerika verscheuern ließ. Seitdem halten wir es mit Karl Mays Indianern.

 

Gert Gablenz schickt den 2. Teil seines Romans aus Saxanien:

 

In diesen turbulenten Zeiten setzte es einiges Aufsehen wegen einiger Gerichtsbeschlüsse gegen verdiente Feinde des Volkes:

 

  1. Biedenkopf, zehn Jahre wegen Trotzkismus – er trotzte Kohl
  2. Blüm, zwei Jahre wegen Kranken­kassen­sabotage, er weigerte sich, dem Volk sozialistische Brillen zur realsozialistischen Durchschau zu verschreiben
  3. Bahr, zwölf Jahre wegen Geheimbündelei mit den Sowjets zum Nachteil der DDR
  4. Leonhard, lebenslänglich wegen konter­revolu­tionärer Wahr­heits­bericht­erstattung über die Gruppe Ulbricht
  5. Brandt Willy, Haus­arrest wegen Zusammen­wachs-Hetze in die falsche Richtung
  6. Koestler, ewiges Vergessenwerden wegen Frühdiagnose
  7. Trotzki, Entfernung aus allen Dokumenten, Fotos, Geschichts­büchern, literarischen Werken wegen Gefährdung des Klassikers Stalin
  8. 17. Juni 1953, spurlose Entfernung aus allen Kalendern
  9. Chruschtschow, Verurteilung zur Nichtexistenz im Nachhinein wegen des konterrevolutionären Verbrechens, einen Stein ins Rollen gebracht zu haben
  10. Perestroika, Umbenennung des Begriffs in allen Wörterbüchern und Lexika. Neue Bedeutung: Wiederherstellung ursprünglicher Zustände
  11. Königsberg, Aberkennung der deutschen Vergangenheit, Aberkennung der nationalistischen Umbenennung in KaIiningrad, Umbenennung in Erich-Honecker-Stadt
  12. Harich, Wolfgang, dreifacher Partei­ausschluss wegen Wieder­ver­eini­gungs-Aktionen (1956) mit prinzi­piell falscher Tendenz

 

 
 


Hartwig Runge / Ingo Graf
Das Lied der Deutschen: Hymnen-Mix *

1

Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland.
Danach lasst uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand.
Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand.
Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland.
Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland.

2

Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt,
lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen, und wir zwingen sie vereint.
Denn es muss uns doch gelingen, dass die Sonne schön wie nie,
dass die Sonne schön wie nie über Deutschland, aber Deutschland scheint.

3.

Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand,
dass ein gutes Deutschland blühe wie ein andres gutes Land.
Und nicht über und nicht unter andern Völkern wolln wir sein
von der See bis zu den Alpen, von der Oder bis zum Rhein,
von der See bis zu den Alpen, von der Oder bis zum Rhein.



* Aktuell

Neues Deutschland verneldet in dieser Woche, dass Platzeck für eine DDR Strophe in der Nationalhymne sei. Wäre die Politik, so Platzeck, von Mut und Weitsicht geleitet gewesen, dann hätte sie für den Eindruck bei den Menscheln (in der DDR) gesorgt, beim Übernommenen sei auch von mir was dabei. Eine solche Geste wäre die Übernahme der ersten Strophe der DDR-Hymne in die bundesrepublikanische Hymne gewesen.
 


Doppelter Genitivbeschluss des Komitees des ZK der SED zur Wie­der­herstellung der National­hymne:

 

Das Verbot, den Text zur Nationalhymne des National­preisträgers Johannes R. Becher zu singen und zu sprechen wird mit sofortiger Wir­kung auf­gehoben.

 

Der Text ist vollständig zu singen. Die Worte DEUTSCHLAND EINIG VATER­LAND sind mit doppelter Laut­stärke zu singen. Verstummen an dieser Stelle ist als besonders schwer­wiegende Boykott­hetze mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren zu ahnden. Der Beschluss wurde in der Ver­einigten Volks­kammer auf Antrag der SED mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD, Bauernpartei. REP, NPD gefasst.

 

Danach wurden alle Parteien in der Nationalen Front unter Absingen der Natio­nal­hymne zusammen­geschlos­sen. Die den Gesang verwei­gernde PDS wurde wegen Vaterlandsverrat zur ewigen Stummheit verurteilt. Sie heißt jetzt Die Linke und wird von Pastor Gauck definiert.

 

Sonder­anordnung Fußball: Die Natio­nal­hymne ist vor und nach jedem Fuß­ball­spiel abzu­singen. Aus­ge­nommen bei Nieder­lagen, die nicht mehr vor­kommen dürfen. Das Fernsehen hat die sin­genden Fußballer genau ins Visier zu nehmen. Spieler, die den Text nuscheln oder ein un­interes­siertes Gesicht ziehen, sind solange auf die Re­serve­bank zu setzen, bis sie dort perfekt mit­singen. Die Aufsicht darüber wird der Bild-Zeitung anver­traut.

 

Verordnung zur Medien-Neuordnung:
  1. Jede Zeitung, die in einer Ausgabe weniger als drei Honecker-Fotos bringt, ist auf drei Tage zu verbieten.
  2. Redaktionen, die in der Vergangenheit derjenigen bürgerlichen Politiker herumrühren, die sich dem Aufbau des sozialistischen Deutschland zur Verfügung stellten, sind bis zur Putzfrau auszuwechseln.
  3. Kameramänner, die führende Politiker der Partei der Arbeiterklasse und der Nationalen Front (CDU/CSU, FDP usw.) schlecht ausgeleuchtet, in unvorteil­haften Posen oder bei nicht vorher schriftlich angemeldeten Terminen zeigen, verlieren ihren Kamera­führungs­schein.
  4. Redakteure und Journalisten, die Mißstände aufzeigen, sind als Mißstände abzuschaffen.
  5. Freiheit ist immer die Freiheit des Genausodenkenden.
  6. Katastrophen und große Unglücks­fälle haben nur im noch kapi­talis­tischen Ausland statt­zufinden. Sollte derlei aus­nahmsweise im Inland statt­finden, handelt es sich um Sabotage.
  7. Sonderanweisung für Literatur: Eine Zensur findet nicht statt. Wer falsch dichtet, fliegt aus dem Schrift­steller­verband. Wer geflogen ist, kann immer noch dichten. Der Verlag, der ihn verlegt, fliegt aus dem Verleger­verband. Der Drucker, der ihn druckt, aus dem Drucker­verband. Wer dann immer noch nicht geheilt ist, erhält drei Jahre lang ein Frei-Abonnement der soziali­sierten Bild-Zeitung zum Auswendig­lernen und Vortragen bei der zustän­digen Volks­polizei­dienst­stelle.
    Mitglieder der IV. trotz­kistischen Inter­nationale sind durch volkseigene Pastoren zwangszutaufen. Widersetz­liche werden in die Baubataillone der NVA eingezogen und solange umgeschult, bis sie den Trotzkismus für eine alt­tibetanische Religion halten. Wenn sie sich dazu bereit finden, vor dem Leipziger Stalin­denkmal, früher Völker­schlacht­denkmal, Stalins epochales Werk über die Sprach­wissenschaft fehlerlos auswendig zu zitieren, dürfen sie entlassen werden und in der volkseigenen Müllabfuhr Verwendung finden. Unter Kontrolle der Müll­abfuhr-Polit-Kommissare mit wöchent­lichem Bericht an die Stasi-Bezirksverwaltungen, Abteilung Ideologieüberwachung.
    Leitende Feuilleton­redakteure der früheren groß­bürgerlichen Presse Die Welt, FAZ, Spiegel usw. werden ungeprüft übernommen, denn sie wissen immer, wie und was sie zu schreiben haben.

 

 


Herr Graf und die Metaphysik

Vor uns liegt das in Buch­form heraus­ge­brachte Pro­tokoll der Darm­städter Gespräche 1953. Titel von Buch und Ge­spräch: „Indi­vi­duum und Or­gani­sa­tion“. Zu dem Gesamt­komplex dieser Gespräche wird noch manches zu bemer­ken sein, jetzt nur etwas, das mit der Dienst­stel­le Blank zu tun hat.

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Kompletter Gerhard-Zwerenz-Artikel kann auf Wunsch und Klick gelesen werden.



Soweit also Gert Gablenz, dessen Lust an der Satire wir freien Lauf lassen mussten, um den Sancho Pansa nicht zu frustrieren. Fällt mir ein, am 17. November 1954 saß ich selbst in Auerbachs Keller auf Goethes Stuhl und feierte das Erscheinen der Weltbühne Nr IX 46 vom selbigen Tag. Neben einem Artikel von Carl Andrießen, der unter dem Titel In der Kaserne 1939 mit der Wehrmacht abrechnete, stand Der Herr Graf und die Metaphysik, meine Abrechnung mit der Bundeswehr, lange vor ihrer Aus-Geburt. Wer Lust hat, kann das per Klick und Zoom nachlesen. Eine Satire? Nein, empiristische Prophetie. Der gerade erst in Gang kommenden Bonner Armee sagte ich ihre künftigen Welt-Kriege voraus und trug dabei noch ein paar Eisensplitter vom 1945 angeblich vergangenen Krieg in Arm und Bein.

 

Dass diese Weltbühne mir dann bald von einigen Ober-Genossen ver­schlos­sen wurde, steht auf einem anderen Blatt der Abrech­nung. Bis dahin jedenfalls war die DDR für mich das bessere Deutsch­land. Und Goethes Stuhl stand auch noch in Auerbachs Keller. Wer darauf Platz nahm, hörte den Herrn Geheimrat flüstern. Collage in Auerbachs Keller – Büchner: Den 20.Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Faust: Ein Sumpf zieht am Gebirge hin. Büchner: Es ist ein früher, dämmernder Abend, ein einförmiger roter Streifen am Horizont, halbfinster. Faust: Ein Sumpf zieht am Gebirge hin. Büchner: Am Tisch war Lenz wieder in guter Stimmung: man sprach von Literatur, er war auf seinem Gebiete. Die idealistische Periode fing damals an. Faust: Ein Sumpf zieht am Gebirge hin, Verpestet alles schon Errungene. Biederkopf: Es gibt keinen Sumpf! Ich war König Kurt von Sachsen! Herr Tillich, mein Nachfolger kann's beschwören! Kein Sumpf! Nirgends! Tillich: Bei Gott! Ich war weder FDJ noch Stasi. Faust: Den faulen Pfuhl auch abzu­ziehn, das wär' die höchste Lust – ich eröffne Freiheits­räume für Millionen, nicht sicher zwar, doch tätig frei zu wohnen. Gert Gablenz: Der will uns klonen! Faust: Grün das Gefilde fruchtbarer Landschaften. Gablenz: Das sind die Kohlschen Be­kannt­schaften. Büchner: Man spricht von Literatur, das ist mein Gebiet, die idealis­tische Periode fängt an. Da hilft nur die Flucht ins Ausland, wohl dem, der kann. Faust: Grün das Gefilde, fruchtbar Mensch und Herde und ganz behag­lich auf paradie­sischer Erde, da rase draußen der Sumpf herum. Biederkopf: Es gibt keinen Sumpf in Sachsen. Faust: Da rase des Sumpfes Flut bis hoch zum Bergesrand, dies ist und bleibt ein paradiesisch Land. Büchner: In der Luft ein gewal­tiges Wehen, nirgends eine Spur von Menschen. Gablenz: Das Erz­gebirge überm Sumpf läuft leer, ins Vogtland kommt kein Zuzug mehr, die Hoch­haus­bauten auf Hütten verkürzt und blühende Phan­tasien steil abge­stürzt. Faust: Im Vor­gefühl von solchem hohen Glück – Genieß' ich jetzt den höchsten Augen­blick. Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn. Es darf die Spur von unsern Erden­tagen nicht in Krieg und Krisen unter­gehn.

 

Von Goethes Faust auf unsere futuristische Gegenwart zurück­gebracht er­fahren wir, der histo­rische Goethe-Nietzsche-Ulbricht-Stuhl wurde inzwi­schen von zwei tapfren Stasi-Kund­schaf­tern aus Amerika an die Pleiße heimgeholt. Nähere Auskünfte kann Pastor Gauck er­teilen. Wenn er will.

Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 06.09.2010, geplant.

Fotos zur Lesung mit Gerhard Zwerenz aus der Sächsischen Autobiographie am 19.11.2009 im Haus des Buches, Leipzig   externer Link

Lesungs-Bericht bei Schattenblick  externer Link

Interview mit Ingrid und Gerhard Zwerenz bei Schattenblick  externer Link

Gerhard Zwerenz   30.08.2010   
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz