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Michael Köhlmeier
Zwei Herren am Strand

Allianz gegen den schwarzen Hund

In Michael Köhlmeiers Roman Zwei Herren am Strand schließen Winston Churchill und Charlie Chaplin einen Bund gegen das Böse in der Welt

  Kritik
  Abasse Ndione
Michael Köhlmeier
Zwei Herren am Strand
Roman
München: Carl Hanser Verlag 2014
254 Seiten, 17,90 €
ISBN 978-3-446-24603-4

Weitere Rezensionen von
Dietmar Jacobsen zu Michael Köhlmeier:
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So richtig gepasst haben sie nicht zueinander: der Staats­mann und der Lein­wand­star. Auf der einen Seite Winston Churchill (1874–1965) – schwer, rund, hams­ter­backig, auf Bildern gelegent­lich verschmitzt, öfter aber bedroh­lich wirkend. Ihm gegen­über Charlie Chaplin (1889–1977), schmal mit auch im Alter noch voll wirken­dem weißen Haar, zap­pelig und stets in Rollen schlüpfend, ein ewiges Kind, dem man Unglück­lich­sein und Melan­cholie nicht zutraut. Und doch gibt es Bilder von dem großen Schau­spieler und Regisseur, auf denen er – hinaus­geschlüpft aus seiner zweiten Haut, der Maske des Tramp, in der ihn die Welt seit dem gleich­namigen Stumm­film von 1915 kannte und liebte – ernst und in sich gekehrt wirkt, nachdenk­lich und ver­schlossen.

Chaplin und Churchill – seit sie sich 1927 im Strandhaus der Schau­spielerin Marion Davies – zu der Zeit Geliebte des Medien-Tycoons Randolph Hearst – in Santa Monica kennen­gelernt hatten, hielten sie zusammen. Bildeten eine Allianz, auch wenn sie sich jahrelang nicht persön­lich begeg­neten. Doch war der eine in Not und der andere erfuhr davon, war er unver­züglich da, um zu helfen. Denn sie hatten es sich von Beginn ihrer seltamen Freund­schaft an ver­sprochen. In dem Moment, da sie erkannten, dass sie einen gemein­samen Feind besaßen, war der Pakt geschmiedet worden, das Bündnis gegen die Depres­sion, der sie die dunkels­ten Stunden ihres Lebens verdankten.

In seinem neuen Roman „Zwei Herren am Strand“ hat Michael Köhlmeier sich dieser Verbin­dung zweier Großer des 20. Jahrhunderts angenommen. Nach dem umfang­reichen Text „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ (2013) könnte man geneigt sein, dieses Buch als lite­rarische Finger­übung abzutun. Allein da ist viel, was eine enge Verbin­dung zu frü­heren Texten Köhlmeiers her­stellt: das Interesse für die Geschichte etwa, das Inein­ander-Ver­woben­sein von Erfun­denem und Wahrem, die Konstel­lation zweier Menschen, die, aufeinander angewiesen in guten wie in bösen Zeiten, sich gegen­seitig immer wieder zur Seite stehen und natür­lich nicht zuletzt die erzäh­lerische Souve­räni­tät, mit der die Geschichte dieser Freund­schaft den Lesern ser­viert wird.

Was dabei entsteht, ist das Doppel­porträt zweier starker Männer, beide gewohnt, Wider­stände zu überwinden, in ihrem jeweiligen Metier – der Politik hier wie der Kunst da – Maß­stäbe zu setzen und den­noch immer wieder zurück­geworfen zu werden auf ihre menschliche Natur, die ihnen Zweifel, Ver­sagens­ängste und Todes­sehn­sucht eingibt. Hat der „schwarze Hund“, wie sie ihre De­pres­sion in Anlehnung an den Dichter Samuel Johnson nennen, sie erst einmal fest im Griff, ver­schwindet ihre Selbst­sicher­heit von einem Augen­blick auf den nächsten, lässt ihre Eloquenz sie im Stich, verdunkelt sich der Hori­zont und Suizid­gedanken müssen abge­wehrt werden. Churchill setzt sich dann mit seiner Staffelei in die Land­schaft und malt, Chaplin bedient sich der „Methode des Clowns“, die darin besteht, sich vor sich selbst lach­haft erschei­nen zu lassen. Noch besser frei­lich funktio­niert die Rück­kehr in die Normalität des Lebens, wenn der Freund in der Nähe ist oder sofort herbei­eilt, um in langen gemein­samen Gesprächen dafür zu sorgen, dass beide wieder festen Boden unter die Füße be­kommen.

„Zwei Herren am Strand“ erweckt bei Lesern, die sich weniger auskennen in den Bio­grafien der beiden Protagonisten, den Ein­druck, historisch getreu aus zahl­reichen Quellen recher­chiert zu sein, auf die sich der Text auch immer wieder konkret bezieht. Allein die meisten der Gewährsleute, die von Köhlmeiers Erzähler einge­führt werden, halten einer Überprüfung nicht stand. So exis­tieren weder die privaten Auf­zeich­nungen von Churchills angeb­lichem Privat­sekretär William Knott, aus denen reichlich zitiert wird, noch das Buch „Chaplins Tugend“ des Journa­listen Josef Melzer. Und auch der Erzähler, der sich dem Leser als Sohn eines Mannes vor­stellt, der mit beiden – Churchill und Chaplin – bekannt war und mit jenem „privaten Privat­sekretär“ William Knott eine jahrelange Brief­freund­schaft pflegte, stellt eine reine Fiktion dar.

So entsteht jenseits der faktenverbürgten Realität in diesem Buch eine andere, poetische Wahrheit. Raffiniert benutzt der Autor zu deren Herstellung auch Personen der Zeit­geschichte wie Theodor W. Adorno, dem er einen Aufsatz über die „Methode des Clowns“ zuschreibt, oder Henri Bergson, dessen Begriff des Komischen ausführlich in Bezug auf Chaplins filmische Werke dis­kutiert wird.

Die Fluchtlinie des Romans stellt letzten Endes jene Konfrontation dar, in welcher sich der Staatsmann und Literaturnobelpreisträger und der schauspielernde Autor-Regisseur gegen­seitig ergänzen: jene mit dem faschis­tischen Deutsch­land und dessen Galions­figur Adolf Hitler. Köhl­meier lässt Churchill und Hitler in einer chap­lines­ken Szene sogar einmal ein­ander begeg­nen – auf der Herren­toi­lette des Münchner Hotels „Continental“ nämlich, wo Churchill den sich beim Rasieren schneidenden zukünf­tigen Reichs­kanzler über­rascht und beide in einer konsonan­ten­reichen Sprache zu fluchen beginnen, die ein bisschen an das Kauder­welsch erinnert, das Jahre später in Chaplins Film „Der große Diktator“ zu hören sein wird.

Chaplin und Churchill – zwei große Männer des 20. Jahrhunderts, von denen jeder auf seine Weise Geschichte geschrie­ben hat. Ihre Bekannt­schaft ist verbürgt – eine freund­schaft­liche Beziehung wahrschein­lich. Einen Pakt gegen die beide in Abständen heim­suchende Depres­sion schließen sie allerdings nur im vor­liegen­den Roman. Dazu betreibt Michael Köhlmeier einen enormen fiktiven Aufwand. Den verspürt man als Leser allerdings kaum. Zu gut be­herrscht der Autor sein Metier. Zu perfekt greifen Wahrheit und Erfindung in­einander. Zu ein­leuchtend erscheint die Erkennt­nis unter dem Strich, dass, wer den „schwarzen Hund“ zu ver­treiben vermag, sich vor der von Deutsch­land aus­gehenden Schwärze in der Jahr­hundert­mitte nicht zu fürch­ten braucht.
Dietmar Jacobsen   09.01.2015    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Dietmar Jacobsen