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Ilija Trojanow
Macht und Widerstand

Das Ergebnis aufrechter Haltung ist nicht messbar

Mit Macht und Widerstand kehrt Ilija Trojanow nach Bulgarien, ins Land seiner Vorfahren, zurück und fragt danach, was sich dort seit 1989 verändert hat

  Kritik
  Ilija Trojanow
Macht und Widerstand
Roman
Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 2015
479 Seiten, 22,95
ISBN 978-3-10-002463-3

Weitere Kritik von Dietmar Jacobsen
zu Ilija Trojanows: Eistau  externer Link



Die beiden Helden, deren Schicksale Ilija Trojanow in seinem aktuellen Roman miteinander verknüpft, heißen Konstantin und Metodi. Als Knaben die Schulbank miteinander teilend, macht das Leben die Männer in späteren Jahren zu unerbittlichen Feinden. Aus Metodi wird ein opportunistischer Geheimdienstmann im Bulgarien Todor Žiwkows. Konstantin landet unter dem Vorwurf der Gründung einer kriminellen Vereinigung zum Sturz der gesetzmäßigen Ordnung der Volksrepublik als Dissident und Staatsfeind für Jahre in Gefängnissen und Arbeitslagern.
  Mit Macht und Widerstand kehrt der 1965 in Sofia geborene Trojanow ins Land seiner frühen Kindheit zurück, aus dem die Familie 1971 über Jugoslawien in die Bundesrepublik floh, um dort politisches Asyl zu erhalten. Der Weltensammler – wie auch das Buch hieß, für das der heute in Wien lebende Trojanow im Jahre 2006 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde – hat praktisch bei all seiner Umtriebigkeit und den erdumspannenden Interessen, wie sie sich in seinen zahlreichen Büchern seit 1993 widerspiegeln, zu keinem Zeitpunkt aufgehört, sich für das Land zu interesssieren, in dem er geboren wurde. Dass bei diesem Interesse vor allem auch die Frage, welche Verhältnisse daran Schuld trugen, dass es ihm verwehrt blieb, dort aufzuwachsen, wo seine Vorfahren aufgewachsen waren, eine Rolle spielte, hat nach dem Reportageband Die fingierte Revolution. Bulgarien, eine exemplarische Geschichte (2006) und dem Fernsehfilm Vorwärts und nie vergessen – Ballade über bulgarische Helden (2007) nun zu diesem monumentalen Roman geführt.
  Die Ereignisse, die seine beiden Hauptfiguren – Konstantin Scheitanow, den Widerständler, und Metodi Popow, den auf Seiten der Macht seine Karriere Vorantreibenden – zu unerbittlichen Gegnern werden ließen, schildert der Roman dabei in Erinnerungen seiner Helden an die vergangenen Jahrzehnte. Seine Gegenwartshandlung hingegen spielt in der Nachwendezeit. Das gibt Ilija Trojanow die Gelegenheit, neben einer Kritik an den realsozialistischen Verhältnissen, wie man sie aus vielen anderen Texten kennt, die sich mit der jüngeren Geschichte auseinandersetzen, noch ein zweites, höchst brisantes Thema anzuschlagen, jenes der Aufarbeitung der Vergangenheit nämlich.
  Allein dass das Verhältnis, in dem Konstantin und Metodi während der Jahre des Staatssozialismus in Bulgarien zueinander standen, nach dessen Ende weder verschwunden ist noch sich in sein Gegenteil verkehrt hat, zeigt, dass hier wenig geschehen ist. Immer noch ist der eine oben und der andere unten. Immer noch ist der Weg zu seinem Recht für Konstantin lang, während sich Metodi keinerlei Vorwürfe machen muss, ist er doch unbeschadet von der einen Nomenklatura in die nächste gerutscht. Und so beunruhigt es den Mann zwar enorm, dass plötzlich eine junge Frau auftaucht, die behauptet, seine uneheliche Tochter zu sein, gezeugt während eines Besuches des Staatssicherheitsoffiziers in einem Arbeitslager mit einer dort inhaftierten Frau. Doch andererseits verfügt er noch über genug Mittel und Wege, den sich in dieser Geschichte verbergenden Skandal von sich und seiner aktuellen Familie fernzuhalten.
  Macht und Widerstand bedient sich zur Charakterisierung seiner beiden Hauptfiguren auch unterschiedlicher sprachlicher Mittel. Während der nach der Wende weiterhin sein Recht suchende Konstantin Scheitanow einen manchmal allzusehr das Pathetische streifenden hohen Ton bevorzugt – „Verrat, wie lautet dein Name? Deine Adresse, deine Kragenweite? Beziehst du Rente? Wirst du dich jemals zur Ruhe setzen?“ –, lässt Trojanow den Opportunisten Metodi in einem schludrigen Idiom sprechen, das lässig-volksnah wirken soll, aber nur schlecht verdeckt, dass hier einer von oben herab spricht: „Gibt so einige, die halten mich für 'nen Ewiggestrigen. Modernisierer, da lach ich ja, selbstgefällige Prahlböcke. Tradition ist für die Ballast, der über Bord gehört.“ Mit diesem Mittel versteht es der Autor zwar, eine klare Grenzlinie zwischen seinen Protagonisten zu ziehen, nimmt ihnen damit allerdings auch zu einem Gutteil die Möglichkeit, innere Ambivalenzen durchscheinen zu lassen. Beide, Konstantin wie Metodi, sind von Anfang an festgelegte Typen ohne wirkliche Entwicklungsmöglichkeiten. Aus ihren Rollen kommen sie nicht heraus.
  Um die Geschichte von Konstantin und Metodi über den subjektiven Widerstreit zwischen einem Täter und einem Opfer des bulgarischen Staatssozialismus zu einer paradigmatischen Erzählung über das Bulgarien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu machen, hat Trojanow zwischen jene Abschnitte des Romans, in denen sich seine beiden Hauptfiguren aneinander und an ihrer Geschichte abarbeiten, kurze Passagen geschaltet, in denen jeweils ein ganz bestimmtes Jahr – es beginnt mit 1944 und endet mit 2007 – kurz charakterisiert wird. Äußerst intensive Recherchearbeit im Vorfeld der Publikation belegen desweiteren zahlreiche Originalzitate aus Akten der bulgarischen Staatssicherheit. All das zusammen ermöglicht einen weitgehend authentischen Blick in das Innere eines Systems, das sich mit dem Zusammenbruch des so genannten sozialistischen Lagers Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts keineswegs so transformierte, wie das viele erhofften. Altkadern gelang es relativ schnell, im „neuen Bulgarien“ Fuß zu fassen und die Nachwendegeschicke zu ihren Gunsten zu lenken. Damit dürfte Trojanows Roman dort, wo er spielt, auch weitaus mehr Staub aufwirbeln als da, wo er geschrieben wurde.
  Macht und Widerstand endet mit der Niederlage Konstantin Scheitanows. Sein Kampf um die Öffnung der Archive der Staatssicherheit, um endlich Gerechtigkeit für sich und viele andere zu erlangen, scheitert, weil er keine Mehrheit von ehrlich an der Vergangenheit Interessierten zusammenbekommt. Wichtige Positionen im Staatsapparat nehmen schon wieder jene ein, denen an einer Offenlegung ihrer jeweiligen Rolle im Žiwkow-Sozialismus nicht gelegen ist. Und die schrecken auch nicht vor einer Denunziation Scheitanows als KGB-Agent zurück, um sich ihn und seine unangenehmen Fragen vom Leibe zu halten.
  Am Ende bleibt Konstantin wieder nur ein anarchistischer Akt wie 1953, als er mit einem Sprengstoffattentat gegen ein Stalin-Denkmal im Sofioter Park der Freiheit seinen Protest gegen das Regime zum Ausdruck brachte. Mit ein paar wenigen Gleichgesinnten macht er sich auf zum Begräbnis seines Erzfeindes Metodi Popow. Widerstand trotz allem will er leisten, indem er nach den offiziellen Reden auf den Verstorbenen über Megaphon seine Anklagen gegen ihn vorbringt. Er wird niedergeschrien, aber hinterlässt ein Vermächtnis, mit dem Ilija Trojanows Roman schließt: „Wahrer Geist ist Widerstand gegen den Geist der Macht.“
Dietmar Jacobsen   23.04.2016    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Dietmar Jacobsen