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Werner Bräunig
Rummelplatz

Aus dem Nachlass einer verschwundenen Gesellschaft
Werner Bräunigs unterdrückter Großroman zum Leben im Osten ist ein Meisterwerk mit kleinen Rissen

Werner Bräunig | Rummelplatz
Werner Bräunig
Rummelplatz
Roman
Aufbau 2007
Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann im Osterzgebirge die Suche nach Uranvorräten, die die sowjetische Besatzungsmacht benötigte, um im atomaren Wettrüsten mit den USA nicht hoffnungslos zurückzufallen. Die ersten Standorte um Johanngeorgenstadt und Schneeberg waren dabei nicht zufällig gewählt. Bereits vor 1945 war hier mit Erfolg Uranerz gefördert worden. Mit der Gründung der SABM (Staatliche Aktiengesellschaft der Buntmetallindustrie) Wismut 1947 wurde der Uranerzabbau im Osten Deutschlands komplett sowjetischer Kontrolle unterstellt und zur Abdeckung von Reparationsansprüchen genutzt. Erst ab dem 1. Januar 1954 durfte sich die DDR zu 49 Prozent an der nun Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) beteiligen.

Arbeiten für die Wismut brachte viele Vorteile mit sich. Freiwilligen – die Ende der 40er/ Anfang der 50er Jahre die zunächst von der Besatzungsmacht Zwangsverpflichteten ablösten – winkten hohe Löhne, zusätzliche Verpflegungseinheiten und andere Privilegien, von denen man jenseits der gut bewachten Baracken- und Zeltlager nur träumen konnte. Geradezu sprichwörtlich waren die Schnapsdeputate für die Bergleute, welche das „Kumpeltod“ genannte, hochprozentige Gesöff häufig für gutes Geld „nach draußen“ weiterverkauften. Welche Umweltsünden durch die Wismut AG begangen wurden und wie wenig die Gesundheit der Arbeiter im Uranbergbau eine Rolle spielte, wurde zu DDR-Zeiten offiziell nie thematisiert.

Werner Bräunig, 1934 in Chemnitz geboren, war in den frühen 50er Jahren dabei, als eine äußerst heterogene Gesellschaft von – hauptsächlich – Männern sich in den erzgebirgischen Gruben aufmachte, den Wettlauf um die Atomenergie für ein System zu führen, das ihnen die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg übergestülpt hatte ohne großes Wenn und Aber. Gelernter Schlosser, den die Nachkriegswirren in „Schwarzhandel und ähnliche Freizeitgestaltungen“ trieben und bald auch mit dem Gesetz in Konflikt brachten, schaute er genau hin, als er zwischen 1951 und 1955 unter anderem in der Wismut AG Johanngeorgenstadt arbeitete, teilweise untertage, nicht immer freiwillig, sondern auch als Strafgefangener im Arbeitseinsatz.

Der jetzt erstmals vorliegende, sorgfältig edierte und informativ benachwortete Großroman Rummelplatz ist das Ergebnis dieses Hinschauens. Zu seiner Entstehungszeit konnte er nicht erscheinen. Zu viel „Sozialismusuntypisches“ fanden die Bitterfelder-Weg-Erfinder auf seinen Seiten. Das ist umso tragischer, als sich Bräunig durchaus bemühte, dem Sozialismus auf deutschem Boden gerecht zu werden. Dass Staat und Partei nicht mehr von einem intelligenten Autor verlangten, als verbal die schwarz-rot-goldene Fahne mit Hammer, Sichel und Ährenkranz zu schwenken, ging ihm nicht in den Kopf. Und so stieß sein ungeschminktes Portrait einer Gesellschaft im Aufbruch allenthalben an Grenzen, deren Borniertheit das Nachwort von Angela Drescher deutlich macht. Ob „Buchminister“ oder ehemaliger Freund, dem über der lawinenartig anschwellenden, zentral organisierten „Kritik“ die Füße kalt geworden waren: Fast alle wandten sich nach dem Erscheinen des Kapitels, das dem Roman seinen heutigen Titel gab, von Bräunig ab, die Stimmen für den Autor wurden, auch wenn sie von prominenten Zeitgenossen kamen, in der DDR unterdrückt.

Dabei hat der Roman in der jetzt vorliegenden Fassung durchaus seine Schwächen. Die aber liegen da, wo sein Autor gelegentlich noch allzu willig den Propagandaabsichten, die sich hinter dem bekannten Slogan „Greif zur Feder, Kumpel!“ verbargen, entgegenkam – etwa in der ziemlich linientreuen Beurteilung der Arbeiterunruhen um den 17. Juni 1953 herum, die in der Lesart des Romans nichts als ein faschistischer Putschversuch waren, oder in jenen wenigen Kapiteln, in denen er auf gar zu schlichte Weise versucht, den zweiten Nachkriegsstaat auf deutschem Boden allein aus seinem manifesten Antagonismus zum östlichen Antipoden zu verstehen.

Wer um diese Schwachstellen weiß und sie mit der nötigen Skepsis – und mit Verständnis für einen Autor, der seinen Platz in der Gesellschaft suchte, wohl auch – liest, hat mit dem größten Teil von Rummelplatz aber in der Tat ein Jahrhundertbuch vor sich. Eine gewaltige literarisch-künstlerische Anstrengung, die schon mit dem ersten Satz aufs Ganze zielt und in der Folge mittels großartiger Bilder und Konstellationen, eines die ganze Breite des gesellschaftlichen Spektrums jener Jahre abdeckenden Figuren-Ensembles und detailliertesten Einblicken in die Welt der Arbeit, wie sie wirklich war, etwas schafft, was keinem anderen Roman jener Jahre – weder den offiziell bejubelten noch den heimlich von Hand zu Hand gereichten – auch nur annähernd gelang.

In seiner raffinierten Vernetzung von einem guten Dutzend Lebensläufen, deren Schnittpunkt das fiktive erzgebirgische Dorf Bermsthal darstellt, versteht es Bräunig, sowohl die Aufbruchsstimmmung jener Jahre einzufangen, als auch die Fragwürdigkeit, sich in den Dienst des nächsten Ismus zu stellen, nachdem der voraufgehende soeben katastrophal gescheitert ist, leise anklingen zu lassen. Alle seine Figuren sind beschädigt durch die unmittelbare Vergangenheit. In die harte körperliche Arbeit stürzen sich viele wie in ein reinigendes Bad, das Vergessen schenken und Schande abwaschen kann. Das feierabendliche Vergnügen auf dem Rummelplatz erscheint ihnen nach der Hölle des Bergs dann schon fast wie ein Vorschein des Paradieses.

Dabei dringt der Roman so detailreich in das Tun seiner Protagonisten ein, ist so dicht an ihrer Seite im Schacht, so durch und durch dem selbst Erlebten seines Autors verpflichtet, dass praktisch kein Platz bleibt für das einen hohen Prozentsatz der sogenannten Ankunftsliteratur kennzeichnende Schematisieren. In der Welt, die Bräunig schildert, gibt es nicht hier die fortschrittlichen Kräfte und da die Zweifler und Kontraproduktiven, die überzeugt oder überwunden werden müssen. Hier sabotiert die Normerfüllung durchaus einmal ein nach Außen sich ansonsten stramm gebender Genosse, und wenn ein Großteil der Leitung der Bermsthaler Papierfabrik sich in den Westen absetzt, bleibt der dem bürgerlichen Humanismus anhängende und die neuen Herren leise belächelnde Produktionsleiter fraglos auf seinem Posten.

Dass diese den Roman durchdringende Wahrhaftigkeit dort Anstoß erregen musste, wo die Kulturdoktrin die vollkommene Unterordnung von Literatur und Kunst unter politisch-gesellschaftliche Zwecke forderte, dürfte keinen heutigen Leser mehr überraschen. Bräunigs Figuren – zu den eindrücklichsten zählen der Steiger Hermann Fischer, Kommunist, aber kein Dogmatiker, der Professorensohn Christian Kleinschmidt, vor dem Studium zur Bewährung in die Produktion geschickt und anfangs dort fast zerbrechend, sowie Fischers Tochter Ruth, die sich selbstbewusst eine Position erkämpft, wie sie bis dato nur Männer innehatten – waren zu lebensnah, um dort Gefallen zu finden, wo man mit sozialistisch-realistischen Abziehbildern die Wirklichkeit überklebte. Von dem ursprünglich auf zwei Bände angelegten literarischen Großunternehmen Rummelplatz blieb als in der DDR angedruckter Torso der Band 1. Nachdem sich als Letzter auch sein Verlag von dem Unternehmen zurückgezogen hatte, gab Bräunig 1967 die Arbeit daran auf. Er starb am 14. August 1976 in Halle-Neustadt, gerade 42-jährig.

Dietmar Jacobsen     11.12.2007

Dietmar Jacobsen