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John von Düffel
Goethe ruft an

Auf der Jagd nach der Goethe-Formel

John von Düffel erkundet in seinem satirischen Roman Goethe ruft an das Geheimnis des schrift­stelleri­schen Erfolgs

  Kritik
  John von Düffel
Goethe ruft an
Roman
Köln: Dumont Buchverlag 2011
320 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-8321-9649-3


Nein, der Beruf des Schriftstellers hat auch heut­zutage seine Faszi­nation nicht ein­gebüßt. Und mögen die Kultur­pessi­misten noch so laut verkünden: Niemand liest mehr! Schreiben wollen sie trotzdem alle. Und das nicht irgendwie, sondern richtig, profes­sionell. Nicht für die Schublade, sondern für den Buch­markt, die Best­seller­liste und den welt­weiten Ruhm. Dafür schlägt man sich die Nächte um die Ohren, sucht monate­lang nach Dramen in der eigenen Biografie, die sich gewinn­bringend „ver­plotten“ ließen, und meldet sich schließlich aus reiner Verzweiflung in einem „Schreiben-leicht-gemacht“-Kurs an, wie ihn inzwi­schen jede Volks­hoch­schule im Programm hat.

Aber natürlich geht es auch edler. Wer sich das leisten kann, schöpft direkt aus der Quelle. Wie jene vier Möchtegern-Autoren, denen der namenlose Erzähler in John von Düffels neuem Roman Goethe ruft an in einem Lausitzer Hotel begegnet. Die genießen seit Jahren die Annehm­lich­keiten eines Schreib­kurses, den der große Goethe selbst jeweils eine Sommer­woche lang abhält. Wobei Goethe natürlich nicht „der“ Goethe ist, sondern ein Groß­kopferter im heutigen Literatur­betrieb, der es an Ausstoß, Prominenz und Publizität locker mit seinem klas­sischen Vorbild auf­nehmen kann. Allein in diesem Jahr ist der vielgefragte Mann leider ander­weitig verbucht – und so kommt von Düffels Ich-Erzäh­ler zu einem lukra­tiven Vertre­tungsjob und in den Besitz jenes sagenum­wobenen Manu­skripts, in dem der literarische Krösus Schritt für Schritt den Weg zum schrift­stelle­rischen Erfolg skizziert hat.

Den hätte sein Stellvertreter liebend gern selbst beschritten. Doch nach einem ersten Roman, den die Kritik ordent­lich ver­rissen hat, sitzt er nun seit Jahr und Tag an „etwas Größerem“ und findet kein Ende. Dass er der Falsche ist, um des Meisters Kurs mit dem Titel „Leicht­schreiben“ zu leiten, steht deshalb von Beginn an fest. Aber zum einen kann er sich der Goethe­schen Über­zeu­gungs­kraft am Telefon nicht entziehen und anderer­seits könnte es ja sein, dass die Kenntnis von dessen Geheimnissen ihn endlich selbst auf die Erfolgs­spur führte. Also lässt er sich von der Sekretärin des Maestros – er nennt sie Frau Eckermann – noch kurz instruieren und mit dem Notwen­digsten ausrüsten, ehe er sich auf den Weg zum Tagungs­ort im Spreewald macht.

Dort entwickelt sich der Schreib­lehrgang im Laufe der nächsten fünf Tage zu einem wahren Desaster für alle Beteiligten. Und zu einer Gelegenheit für den großartigen Stilisten John von Düffel, sein Können unter Beweis zu stellen. Zahlreich sind deshalb die gelungenen Dialoge zwischen den vier Literatur­adepten – einem Kritiker, den die eigenen hohen Maß­stäbe daran hindern, auch nur einen Satz aufs Papier zu bringen, einer attraktiven Viel­schreiberin, die sich nach Tiefe sehnt, sowie einem skurrilen Autoren­pärchen – und ihrem zunehmend hilf­loser wirkenden Mentor. Der verschusselt schon kurz nach seinem Ein­treffen vor Ort das Goethe-Manuskript, verschläft die erste Sitzung und ist bei den fol­genden Treffen eher der hilflos Danebensitzende, als dass er die nach Erkenntnis Lech­zenden auf die Erfolgs­spur führen würde.

Naturgemäß arbeitet Goethe ruft an als Satire mit überzeichneten Charakteren. Keiner der Figuren des kleinen Romans dürfte man jemals in der Realität begegnen. Und das ist auch gut so – denn Herr Schwamm, das gestrenge Fräulein Rottenmeier, ihr verdruckster Gatte Hermann, die schönbeinige Unter­haltungs­autorin Hedwig und nicht zuletzt von Düffels tumber Held selbst, der sich mit unzäh­ligen „Äh“s durch die Diskuss­ions­stunden windet und in jedes Fett­näpfchen tritt, das zum Betreten einlädt, sind wahr­lich anstren­gende Protagonisten. Und je länger das Hin und Her um erste Sätze, spektakuläre Wenden und Final­spannungen dauert, umso weniger will gelingen, wonach sich jeder Einzelne sehnt. Panta rhei,alles fließt – nur nicht die Tinte aufs Papier.

Wer John von Düffels bisheriges Werk kennt, weiß um die Affini­tät dieses Autors zum Wasser. Kein Wunder deshalb, dass er seinen Promi­nenten-Schreib­kurs im Spreewald stattfinden und in einer früh­morgend­lichen Kahnfahrt kulminieren lässt. Auch wird viel geschwom­men im Hotelpool, ganz nach der Goethe­schen Devise: „... alles, was man über den Fluss des Schreibens lernen könne, lerne man vom Wasser.“ Vierzig Bahnen sind dabei das empfoh­lene Pensum. Am Ende schafft die auch der Ich-Erzähler in seiner bestän­dig knei­fenden Badehose. Dem Leser des Romans freilich wird die Lektürestrecke mit der Zeit gar lang. Und wenn er schließlich auf Seite 320 anschlägt, dann mit dem festen Vorsatz, sich in der nächsten Zeit keiner Satire mehr anzuvertrauen, die länger als hundert Seiten ist – selbst wenn sie sprachlich so zu brillieren versteht wie diese.
Dietmar Jacobsen   11.11.2011   

 

 
Dietmar Jacobsen