poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Frank Schulz
Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen

Tri, tra, trullala ... Onno Viets ist wieder da!

In seinem zweiten Abenteuer lässt Frank Schulz seinen Hamburger Detektiv Onno Viets als Personenschützer auf Mittelmeerkreuzfahrt gehen

  Kritik
  Frank Schulz
Onno Viets und das Schiff
der baumelnden Seelen
Roman
Berlin: Galiani Verlag 2015
325 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-86971-106-5


Er hat sich eine post­trauma­tische Belastungs­störung weggeholt bei seinem ersten Fall, der ihn 2012 mit einer Hamburger Kiez­größe namens Tibor Tetropov und dessen stets gewalt­bereitem Bodyguard konfron­tierte, wobei der Showdown an Bord des Alster­dampfers „Saselbek“ ihm fast die Lichter ausblies. Onno Viets und der Irre vom Kiez fanden Kritik und Publikum damals der­maßen gut, dass sich augen­blick­lich eine „Liga zur Beför­derung der Lektüre Frank Schulz'scher Schriften in Mittel- und Süd­deutsch­land“ gründete. Schließlich sollten den Mann nicht nur seine Lands­leute zwischen Flens­burg und Kassel kennen und lieben, sondern auch die ignoranten Preußen und das kaum mehr ein verständ­liches Deutsch sprechende Volk südlich des Weiß­wurst­äquators.
  Nun ist er jedenfalls wieder da. Und sein aktuel­ler Auftrag führt ihn an Bord eines jener Kähne, die, angefüllt haupt­sächlich mit wohl­habenden Senioren bei­der­lei Geschlechts, über die Weltmeere schippern. Also muss Onno auf ein paar Partien Tisch­tennis mit seinen Alte-Herren-Freunden vom BSV Holler­beck Eppen­dorf e.V. ver­zichten und den Vetter seines besten Freundes, Donald Maria Jochemsen, besser bekannt auch unter seinem Künstler­namen „D.J. Sacknaht“, auf die quer durchs Mittel­meer schippernde FLIPPER IV begleiten.Da kann man dann „die Seele baumeln lassen“, wie es so trefflich im Bord­programm für alle sich dem mehr­tägigen maritimen Ver­gnügen hin­gebenden Land­ratten heißt.
  Allein dieses Baumeln der Seele ist des Vetters Sache nicht. Denn zum einen leidet er unter „Viktimophobie“ – der Angst, zum Opfer einer Gewalt­tat bestimmt zu sein, die ihm auf hoher See ohne die Be­kannt­schaft mit den salzigen Fluten nicht vor­stell­bar ist –, zum andern hat er nicht des Müßig­gangs, sondern der Liebe wegen den schwan­kenden Kahn für ein paar Tage zu seinem Lebens­mittel­punkt erwählt. Denn seine „Mail- und SMS-Beziehung“ Kristin Luise hält sich als Mitglied der Enter­tainment-Crew ebenfalls an Bord auf. Da wird sie ihm auch kaum ent­kommen – und dafür, dass er seine Netze ungestört von Ängsten aller Art auswerfen kann, soll sein Personen­schützer Onno sorgen.
  Also Leinen los und rein ins Vergnügen! Das bei Frank Schulz immer auch ein sprach­liches ist. Gilt der Mann seit seiner „Hagener Trilogie“ doch als ein Aus­drucks-Künstler ersten Ranges, ver­siert im Dialek­talen ebenso wie im Brachia­len. Und wenn der sich schon mit seinen Figuren auf eine Mittel­meer-Kreuz­fahrt begibt, dann hört er auch genau hin, was da so an Small­talk abgeht zwischen Backbord und Steuer­bord, Bug und Heck. Klar, dass das Vetter Donald, dem geborenen Misan­thropen, nicht gefällt, genauso­wenig wie die „repräsen­tative Kohorte des bun­des­deutschen Ur- und Neo­spießer­tums“, die sich da zur gemein­samen Urlaubs­ver­bringung in „T-Shirts in allen Primär­farben“ versammelt hat und vor keiner Geschmack­losig­keit zurück­schreckt: „Fiel sein Blick auf Ma­tronen­wülste in Radler­hose, deren Trägerin in gelochten Gummi­botten in Pink über die Dielen auf dem Pooldeck watschelte, verdrehte er die Augen bis zum Anschlag.“
  Doch was hilft all das Gejammer und Augen­verdrehen – schließlich ist der Mann nicht der frischen Seeluft noch der Rundum-Be­spaßung durch ein Enter­tainment-Team unter der Leitung von Mana­gerin Maren Vigoleit wegen oder aufgrund der Tat­sache hier, dass ein Essen prak­tisch das andere ablöst und auch der Alkohol in Strömen fließt – nein, der Schöpfer des ani­mierten Hand­puppen­spiels „Kasper Spacken­nacken“, von dem uns Frank Schulz im An­schluss an jeden der sieben Teile seines Romans eine Kost­probe als „Nach­spiel“ gibt, will nichts weiter als endlich in den Hafen der Liebe einlaufen.
  Derart kon­ditioniert, darf er sich erhaben hinweg­setzen über die Schlemmer­orgien des betuchten Mobs im Restaurant „Calypso“, das er natürlich sofort in „Apocalypso“ umtauft, und dem Augen­blick ent­gegen­fiebern, in dem sie vor ihm stehen wird – Kristin Luise, die Aus­erwählte, die von all dem natürlich nicht das Geringste ahnt und aus allen Wolken fällt, als ihre Netz­bekannt­schaft leib­haftig vor ihr steht.
  Mit Onno Viets, dem 59-jährigen Hamburger, der wenig kann und viel versucht, dem an der Tischtennis­platte alles gelingt und im Leben wenig, der aber dennoch immer zufrie­den und glück­lich scheint, weil ihm das Dasein in der Regel gefällt und nur selten wehtut und er mit seiner Edda eine Frau gefunden hat, mit der er schon im Sand­kasten spielte und die ihm seitdem be­din­gungs­los im Auf und Ab des Lebens zur Seite steht, hat Frank Schulz einen wunderbaren Helden erfunden. Einen, der sich immer durch­schummelt. Der, wenn man ihm die Kneipe zumacht, eine Privatdetektei eröffnet. Ein Stehaufmännchen und einen Hans-guck-in-die-Luft, den nichts zu erschüttern vermag.
  Und doch weht auch ein bisschen Tragik durch das zweite Abenteuer dieses Ritters ohne Furcht und Tadel unserer Tage. Denn als sich Onnos Wege und die seines Auf­trags­gebers schließ­lich trennen – der eine aus seinem Liebes­taumel erwachend, der andere endlich erkennend, wohin er viel mehr gehört als auf das Narren­schiff mit Namen FLIPPER IV, da will es fast so scheinen, als käme diese Erkenntnis für Onno zu spät. Allein wir geben die Hoffnung nicht auf und hoffen, dass in Band 3 alles wieder gut wird.
Dietmar Jacobsen   13.10.2015    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Dietmar Jacobsen