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Michael Köhlmeier

Idylle mit ertrinkendem Hund

„Worte sind das Werkzeug des Narren“

Michael Köhlmeiers Novelle Idylle mit ertrinkendem Hund ist große Kunst und berührende Trauerarbeit in einem

Kritik
  Michael Köhlmeier
Idylle mit ertrinkendem Hund
Wien: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag 2008
109 Seiten, 12.90 Euro


Kunst ist Kunst und Realität Realität. Wer Literatur macht, ist sich dessen in der Regel bewusst und genießt es, die tristen Gegebenheiten des Daseins auf ein paar Dutzend oder Hunderten von Seiten einmal beiseite lassen zu können, sich zum Demiurgen einer Parallelwelt aufzuschwingen, in der die Kontraste schärfer, die Figuren konturierter, die Konflikte tödlicher sind. Dessenungeachtet steht das eine mit dem anderen über geheime Kanäle natürlich trotzdem in Verbindung, ja, scheint der Kosmos auf dem Papier oft nichts weiter zu sein als die sichtbar gemachte Innenwelt desjenigen, der ihn schuf. Sein Innerstes – nach außen gestülpt, verwandelt und doch wieder­erkennbar.

Am 22. August 2003 verunglückte auf einer Bergwanderung die ein­und­zwanzigjährige Tochter des Schriftstellerehepaares Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Paula Köhlmeier, tödlich. Spätestens ihre postum unter dem Titel Maramba (2005) im Wiener Paul Zsolnay Verlag erschienenen und von den Eltern benachworteten Kurzgeschichten – eigentlich Vorarbeiten zu einem geplanten Roman – machten deutlich, dass mit dieser jungen Frau eines der größten und ernsthaftesten literarischen Talente der in den 80ern geborenen Generation verstorben war. Ohne Wehleidigkeit und mit klar-prä­zisem Sprachgestus schildert die Autorin in ihnen eine raue Welt, in der das Glück sich für gewöhnlich verborgen hält und die kurzen Augenblicke, in denen man seiner dennoch ansichtig wird, später mehr als teuer zu bezahlen sind. Die absurde Tragik von Paula Köhlmeiers Tod – eine zusammen mit ihr abstürzende Freundin erlitt lediglich leichte Blessuren – wirkt im Zusam­men­hang mit ihrem hinterlassenen Erzählwerk fast wie erfunden für eine jener melancholischen Geschichten. Und sie machte es den Eltern wohl doppelt schwer, mit dem aus heiterem Himmel über sie hereingebrochenen Unglück zu leben.

Idylle mit ertrinkendem Hund, zugeeignet seiner Frau, seinen drei lebenden Kindern und der toten Tochter, deren Œuvre die Novelle auch ihr Motto verdankt, ist Michael Köhlmeiers Versuch, dem nicht Versteh­baren dennoch einen Sinn zu geben, zu imaginieren, „was weiter gewesen sein könnte“, wie es an einer Schlüssel­stelle des Textes heißt, und dem seine Gedankenwelt seither vergiftenden Tod exemplarisch Paroli zu bieten. Ganz unverstellt nimmt er dazu den Leser mit in seine Familie und sein Hohenemser Heim. Erzähl­technisch wird dazu die – erfundene? – Figur des Frankfurter Lektors Dr. Johannes Beer bemüht, eines Mannes, den man in Fachkreisen „Mister Genauigkeit“ nennt und dessen Skur­rili­tät die Atmo­sphäre in einem Haus, in dem seit drei Jahren niemand mehr durchschläft und die Einnahme von Anti­depressiva zur Tages­ordnung zu gehören scheint, zunächst durchaus auf­lockert.

Doch das währt nicht lange. Denn der skurrile Dr. Beer, der sich, darin den trauernden Eheleuten gar nicht unähnlich, als Alleinwanderer entpuppt, vermag dem Autor in seiner Lebenskrise keine große Hilfe zu sein. Am Ende läuft der Versuch, zwischen Schriftsteller und Lektor eine neue Art von Nähe herzustellen, indem man sich duzt, mehrere Tage unter einem Dach – dem des Autorenehepaars – verbringt und Intimstem Einlass in die bis dato stets sachlich und zweckgebunden gebliebenen Gespräche gewährt, sogar auf eine Trennung hinaus: Lapidar und per Brief teilt der Verlags­angestellte mit, ein jüngerer Kollege werde ihn in Zukunft ersetzen.

Da hat er allerdings die Aufgabe, die ihm von Anfang an zugedacht war, schon erfüllt, ohne es auch nur zu ahnen. Auf einem einsamen Spaziergang entlang des Alten Rheins – der Schriftsteller hat ihm generös seine tägliche Spazierroute überlassen – ist ihm nämlich ein großer schwarzer Hund begegnet. Irritiert von der Zutraulichkeit des Tiers, das keinem der ihm Begegnenden angehörte und sich voll und ganz in seine Macht begab, hat er sich nach und nach von der Kreatur erweichen lassen und ihrem Schicksal notgedrungen Interesse entgegengebracht. Mehr als die Vermutung, der Hund verwechsele ihn aufgrund eines erlebten Schocks mit seinem wahren Herrn, kommt ihm allerdings nicht in den Sinn. Und als das Tier nach mehreren Stunden der Gemeinsamkeit genauso von ihm lässt, wie es sich ihm angeschlossen hat, bereut er bald nur noch, dass die schwarze Bestie sich über seine Schinkenbrote hergemacht hat und er deshalb hungrig bleiben musste.

Eine Geschichte voller novellistischer Symbolhaftigkeit hat man hier vor sich. In ihr deutet sich an, in welchem Verhältnis Beer tatsächlich zu dem Autor steht. Während der sich ihm nämlich öffnet und auf menschlichen Widerhall hofft, kontert der Lektor diese Vertraulichkeit im zentralen Gespräch des Textes – interessanterweise ist es ein fingiertes Gespräch, ein Dialog, den der Gastgeber in seiner Not gern geführt hätte, der aber in Wirklichkeit nie zustandekam – mit dem Rückzug auf seine Funktion als Berater allein in literarischen Angelegenheiten. In Lebens- und Überlebensfragen hingegen will er nicht in Anspruch genommen werden. Von da an ist der aufkeimende menschliche Kontakt zwischen den beiden Männern zerstört und es leuchtet ein, dass der Schriftsteller es nicht nur als Verrat an dem Hund, sondern an sich selbst und seiner Familie auffasst, wenn Dr. Beer nicht müde wird, das Erlebte in einer geselligen Abendrunde immer und immer wieder zum Besten zu geben.

Allein das Hundeabenteuer ist damit nicht zu Ende. Denn am nächsten Tag begeben sich beide Männer noch einmal auf die obligatorische Spaziertour des Hausherrn, der Lektor wohl in der Hoffnung, sein denkwürdiges Erlebnis in freier Natur ein weiteres Mal erzählerisch reproduzieren zu können, der Schriftsteller eher widerstrebend, doch, einmal unterwegs, intuitiv die Strecke einschlagend, auf der die Begegnung mit dem Hund nahezu unausweichlich wird. Als es tatsächlich dazu kommt, ist die Freude des Tiers so groß, dass es mit gewaltigen Sätzen über einen zugefrorenen Baggersee auf die Männer losstürmt – und dabei ins Eis einbricht.

Auf mehr als zehn Seiten beschreibt Michael Köhlmeier im letzten Drittel seiner Novelle den Kampf des Autors um das Leben des ertrinkenden Hundes. Und je länger der dauert und je klarer wird, dass der Mann dabei sein Leben aufs Spiel setzt, umso deutlicher wird auch, dass hier um mehr gerungen wird als nur um eine fremde Kreatur. Einmal, so darf man wohl verstehen, hat man den Tod nicht abwehren können. Seit jenem Tag ist nichts mehr, wie es war. Nun aber wirft man sich ihm voller Verzweiflung entgegen, als sei es die allerletzte Chance, die Versäumnisse der Ver­gangen­heit wieder­gutzumachen.

Idylle mit ertrinkendem Hund ist ein Text voller großartiger und sprachlich brillant gefasster Bilder, die den Durchblick erlauben auf eine eingetrübte Seelenlandschaft. Ganz novellentypisch mit minimalem Personal, einem genau umrissenen Schauplatz sowie einer dramatisch sich zuspitzenden Handlung daherkommend, geht es im Kern der Geschichte um den Versuch der Verarbeitung eines traumatischen Erlebnisses. Das wirklich Grandiose daran aber ist, dass es Michael Köhlmeier gelingt, noch das Privateste an- und auszusprechen, ohne es im selben Moment an die Neugier seiner Leser zu verraten. Dezenter als in dieser Novelle wurde selten über einen ver­zehrenden Schmerz geschrieben.
Michael Köhlmeier wurde 1949 in Hard (Vorarlberg) geboren und wuchs in Hohenems auf, wo er auch heute lebt. Für sein Werk wurde der österreichische Autor unter anderem mit dem Manes-Sperber-Preis, dem Anton-Wildgans-Preis und dem Bodensee-Literaturpreis ausgezeichnet.
Dietmar Jacobsen     22.05.2009   
Dietmar Jacobsen