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Michael G. Fritz

La vita è bella

„Alle Städte sind gleich, nur Venedig ist ein bissl anders“

Michael G. Fritz macht mit seinen Prosaminiaturen Lust, wieder einmal gen Süden zu reisen

Kritik
Michael G. Fritz | La vita è bella   Michael G. Fritz
La vita é bella
Miniaturen aus Venedig
Mitteldeutscher Verlag 2010


Die literarische Miniatur stellt eine Kunstform dar, die sich wachsender Be­liebt­heit erfreut. Ihre Haupter­ken­nungs­merk­male sind Kürze und apho­ris­tische Prägnanz. Mit Miniaturen twittert man sozusagen in der Welt des geschriebenen Worts. Sarah Kirsch ist eine Meisterin auf diesem Gebiet. Aber auch Franz Kafka, Bertolt Brecht und Wolfgang Hilbig schrieben zu ihrer Zeit Miniaturen. Und Autoren wie Peter Bichsel, Thomas Hürlimann und Paul Nizon haben ganze Text­gebäude aus diesen fragilen Bau­steinen ge­türmt.

Nun also auch ein Band mit Prosa­miniaturen von Michael G. Fritz, der zuletzt mit zwei wunderbar hinter­sinnigen Romanen – Die Rivalen (2007) und Tante Laura (2008) – zu überzeugen wusste. Ein kleines Buch, das sich ganz auf Venedig zu konzentrieren scheint, jene Stadt mit dem Romantik-Touch, deren Atmosphäre man sich kaum entziehen kann. Ist man in ihren Gassen unterwegs, vergisst man die Gegenwart. Jede Ecke, jede Brücke, jeder Kirchturm ein Zitat. Wo immer man steht – man steht in Filmkulissen. Erwartet, Trauer tragende Gondeln die Kanäle hinab- oder gar Roger Moore in einem dieser prachtvoll geschmückten Wasser­fahr­zeuge mitten über den Markus­platz hinweggleiten zu sehen. Denkt an Hemingway, Richard Wagner und, ja, jenes schöne Heft von Hannes Hegens Mosaik, in welchem man zu DDR-Zeiten den Ritter Runkel von Rübenstein nebst seinen gewitz­ten Knap­pen Dig und Dag zur symbolischen Hochzeit des Dogen mit dem Meer begleiten konnte – es handelt sich dabei um das Heft 102 aus dem Jahre 1965. Damals, beim Anblick des gezeichneten Wunders einer wie eine Fata Morgana auf den Wassern schwebenden Stadt voller Brücken und Paläste, muss sie ent­standen sein: meine eigene Venedig­sehnsucht. Und als sie sich knapp 30 Jahre später endlich erfüllen durfte, da hatte sich kurz vorher in Bezug auf jene, die mir weismachen wollten, der Süden würde in Suhl nicht nur beginnen, sondern – zumindest für mich – auch enden, eine jener Regeln des Ritters Runkel bewahr­heitet, die wir als Kinder aus­wendig hersagten: „Wer sich böser Tat erfrecht, dem ergeht es meis­tens schlecht.“

Natürlich bedeutet es ein Risiko, über Venedig zu schreiben, wenn man origi­nell sein will. Die Stadt ist klein und jeder Pflaster­stein literarisch bereits umgedreht. Gustav von Aschenbach, Lily Käsebier, Tom Ripley und der inzwischen unver­meidliche Guido Brunetti – sie und noch viele andere haben ihre fiktiven Spuren auf den Straßen und Plätzen mit den klang­vollen Namen hinter­lassen. Pionier zu sein in der Lagunen­stadt: ein Ding der Unmög­lich­keit. Es sei denn, man machte sich nicht nur auf zu den viel­beschrie­benen archi­tek­tonischen und histo­rischen Attrak­tionen, triebe nicht nur mit im breiten Strome der Touristen zwischen Seufzer­brücke und Piazzale Roma, sondern lauschte vor allem auf das Echo all des funkelnden Außen im Innern seiner selbst.

Und genau das tut Fritz. In einer sinnlichen, nicht nur das Sicht­bare beschreibenden, sondern auch Gerüche und Geräusche evo­zierenden Sprache lädt er seine Leser ein, ihm in das Gewirr der vielen Gassen zu folgen. Kleine Moment­aufnahmen stellen seine Miniaturen dar. Präzise werden Augen­blicke fest­gehalten, ihre Vergänglichkeit ins Bild gebannt, fast still­lebenhaft. Ein Lichter­spiel über der Lagune, ein brauner, eleganter Männerschuh, der neugierige Blick eines Kindes aus einem Kahn herauf zu dem Fremden, der am Brücken­geländer steht und sein schwarzes Notiz­buch mit Sätzen füllt – das alles kann Anlass sein, um dem Denken und Sin­nieren Räume zu öffnen, die weit hinaus­reichen über die Gegen­wärtig­keit des erlebten Moments.

Da fließt ineinander, was räumlich und zeitlich weit aus­einander­liegt. Gerät die Schil­de­rung eines Bads am Lido zur Reminiszenz an die kälteren Gewässer der heimischen Spree. Öffnen sich Türen in die Vergangen­heit des DDR-Bürgers, wenn einem beim Einkaufen statt des italienischen Worts für eine Sache plötzlich das russische in den Sinn kommt, in einem Zug mitreisende Soldaten den alten Freund-Feind-Anta­gonismus wachrufen oder einen plötzlich der Schrecken durchfährt, es könne beim nächsten Versuch einer Reise ans Mittelmeer die ummauerte Heimat plötzlich in guter alter Manier das Visum verweigern. Heimsuchungen durch die eigenen Figuren stehen neben Erinnerungs­splittern an den viel zu früh verstorbenen Vater, einen inzwischen ebenfalls toten Freund und Frauen, die man vorzeiten gekannt oder begehrt hat.

„Alle Städte sind gleich, nur Venedig ist ein bissl anders“, heißt es bei Friedrich Torberg in Die Tante Jolesch. Das würde Michael G. Fritz mit Sicherheit unter­schreiben. Seine Liebes­erklä­rungen an die Lagunen­stadt durch­dringen deren post­kartenbunte Oberfläche mit ihrem subjektiven Blick, der im Fremden das Vertraute, im Fernen das Nahe und im Detail das Ganze auszumachen vermag – übrigens kongenial ergänzt durch die wenigen über den Text verstreuten Fotos von Irene Daum. Und natürlich macht das alles Lust, bei nächster Gelegenheit die Koffer zu packen, um sich wieder einmal den Reizen der Serenis­sima hinzugeben – diesmal mit einem Reise­führer der etwas anderen Art im Gepäck.
Dietmar Jacobsen   02.04.2010   
Dietmar Jacobsen