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Alek Popov

Für Fortgeschrittene

»Werri-najß to mit ju!«

Die ausgewählten Erzählungen des Bulgaren Alek Popov werfen grell-groteske Lichter auf die Nachwendezeit im Balkanland

Kritik
Alek Popov: Für Fortgeschrittene   Alek Popov
Für Fortgeschrittene
Residenz Verlag 2009
282 Seiten, 22,00 Euro


Auch im heutigen Bulgarien bieten sich bessere Job-Perspektiven für Män­ner und Frauen mit Englisch­kennt­nissen. Doch weil Englisch im ehe­maligen Ostblock nicht die Fremd­sprache Nummer 1 war, müssen viele, die an ihrem Weiterkommen im Beruf interessiert sind, nach Feierabend noch einmal die Schulbank drücken. Aber was, wenn unter den Kursanten, die sich da auf eigene Rechnung fit für die Zukunft machen lassen, jemand ist, der mit seiner grauen­haften Aus­sprache dafür sorgt, dass die Lern­erfolge aller übrigen ausbleiben? Jemand, der mit „Wudju gif mi dad buk?“ und „Nekst tjusdi aj-em-gojing to bisnes trrip?“ so nervt, dass ihm schon nach ein paar Stunden der pure Hass entgegenschlägt? Hier ist es Lana, eine „gut ausgestattete“ Halbukrainerin, die ihren Marktwert als Callgirl durch perfekte Sprach­kennt­nisse verdoppeln möchte, aber nicht die geringste phonetische Begabung besitzt. Also legt man in der Klasse zusammen, um ihr die Kurs­gebühren zu erstatten und beauftragt den Ich-Erzähler – Banknachbar und heimlicher Bewunderer der Dame –, ihr die Summe aus­zuhändigen mit der Bitte, den gemeinsamen Unterricht fortan im Interesse aller zu meiden. Aber Lana ist unein­sichtig und die 300 Dollar, die sie nicht nimmt, verspielt ihr Verehrer daraufhin in einem Spielsalon. Am nächsten und allen noch folgenden Tagen erscheint sie dennoch nicht zum Kurs. Erst als Lanas Leiche gefunden wird und die Polizei auf Mord erkennt, erschließt sich den Kursteil­nehmern der Grund. Und fortan versichern sie dem Erzähler unent­wegt, wie hart sie alle an ihrer Aussprache arbeiten würden: „Donnt wori! Bi hepi!“

Alek Popov, Jahrgang 1966, ist Bulgariens Satiriker Nummer Eins. Nach­dem im Residenz Verlag zwei Romane des Sofioter Autors erschienen sind, enthält der Sammelband Für Fort­geschrittene nun 20 kürzere Texte aus den Jahren 1992 bis 2007. Im Original finden sie sich verstreut über sie­ben Bände mit Erzählungen. Man darf also wohl davon ausgehen, dass Popovs deutscher Übersetzer, Alexander Sitzmann, mit diesem Band eine Art „Best of short stories“ des bulgarischen Best­sellerautors zu veranstalten vorhatte.

Und das ist ihm auch gelungen: Bis auf wenige Ausnahmen – die „Konferenz“-Erzählung Derrida kommt gehört für mich ebenso dazu wie die Geschichte der putzwütigen Meister-Proper-Gefolgsfrau Kamelija mit dem Titel Saubere Arbeit – weiß Alek Popov durch schwarzen Humor, groteske Einfälle und überraschende Pointen zu überzeugen. Da versucht zum Bei­spiel einer, den freien Markt im Nachwendebulgarien als Scharfrichter zu erobern und findet für fünfzig US-Dollar tatsächlich Kunden, die an einer „Abtrennung des Kopfes vom Rumpf mit einem einzigen Schlag“ interessiert sind. Wenn die dann freilich endlich den Ernst der Lage begriffen haben und von dem vorher per Unterschrift besiegelten Vertrag zurück­zutreten be­gehren, präsentiert ihnen der clevere Geschäfts­mann die wahre Rechnung. Sein Tun wird nämlich finanziell unterstützt von der „Euro­päischen Stiftung zum Schutz der Tradi­tions­handwerke“ und die steuert ihren Beitrag nur bei, wenn der Henker auch Vollzug meldet. Absagen gehen auf Kosten des Klienten und das bedeutet für den dann, nicht mehr nur 50, sondern 1500 Dollar aufbringen zu müssen oder eben den Kopf zu verlieren.

Ähnlich frappierend kommen Geschichten daher, die sich mit den Mög­lichkeiten der Internetnutzung – hier vor allem den erotischen – beschäftigen, amerikanisch-russische Animositäten beim Wettlauf um die Eroberung des Kosmos verspotten oder in den kommunistischen Spitzelstaat Bulgarien zurück­blenden, um auf kafkaeske Weise davon zu erzählen, dass sich IM-Berichte damals fast wie von Geisterhand schrieben. Am beißendsten aber ist Popov immer dann, wenn er seine Aufmerksamkeit der unmittel­baren Gegenwart zuwendet. Dann wird eine Reise in das auseinander­gefallene und vom Krieg gebeutelte Ex-Jugoslawien zu einem Horror­trip in die Unwirk­lichkeit. Und der zunehmenden Armut in seiner Heimat widmet der Autor eine Geschichte, in der eine Großfamilie den Hunger dadurch be­zwingt, dass man zuerst die Alten auf den Speisezettel setzt.

In ihrem letzten Roman hat die in Stuttgart geborene Autorin Sibylle Lewitscharoff kein gutes Haar an der Heimat ihres Vaters, Bulgarien, ge­lassen. Apostoloff (2009) war Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit und illusionsloser Blick auf ein Land, das seine Identität beim Run auf die neuen, westlichen Werte bedenkenlos preisgab, zugleich. Das fanden wir, als wir es vor Jahres­frist mit ein paar schönen Erinnerungsfetzen an das Schwarze Meer bei Warna, das Rila-Kloster und die einsamen Gipfel des Balkangebirges im Kopf lasen, ein wenig ungerecht. Destilliert man aus Alek Popovs Erzäh­lungen nun dessen Bulgarienbild heraus, wird es freilich nicht besser. Denn auch bei diesem Autor wünscht jeder sich weg aus einer Weltgegend, in der nur zu leben vermag, wer alles Fremde tapfer ignoriert. „Schwäch­lichkeit“ und „Mangel an nationaler Würde“ sorgen dafür, dass niemand über die eigene Person hinausdenkt. Das öffnet Korruption und Speku­lantentum Tür und Tor und zieht die Armut breiter Schichten und weit verbreitete depressive Stimmungen nach sich. Dem mit Literatur zu begeg­nen, scheint für Popov zunächst zu bedeuten, die Zustände kenntlich zu machen, indem er sie so weit wie möglich – und in manchen Texten sogar noch ein Stück darüber hinaus – auf die Spitze treibt. Und diese Methode beherrscht der 44-Jährige wahrlich meisterhaft.

Wobei ein nicht geringer Teil von Alek Popovs Spotts sich auch über die Reihen, denen er sich selbst zugehörig weiß, ergießt. Schriftsteller mit durch nichts gerecht­fertigten hohen Ansprüchen bekommen ihr Fett in seinen Er­zählungen genauso weg wie jene, die sich von „alten Bekannten“ Stipendien zuschanzen lassen, die sie weit weg vom Elend ihrer Heimat führen. Welch Stellenwert man im neuen Bulgarien der Literatur zumisst, belegt am schönsten der kurze Text Perlen vor die Säue. In ihm zieht tatsächlich einmal einer der vielen Schrift­steller im Lande das ultimative Preislos. Ein „agrikultureller Großproduzent“ verspricht die für den Dichter Teofanov un­vorstell­bar hohe Summe von zehn­tausend Euro dafür, dass er dessen ge­sammelte Schriften herausgeben darf und ihm auf zehn Jahre die Urheberrechte an jedem einzelnen Gedicht übertragen werden. Natürlich willigt der Poet beglückt ein und macht sich auf den Weg, um seinem Mäzen zu danken. Der betreibt, wie sich herausstellt, die größte Schweine­farm auf dem Balkan. Und hat fest­gestellt, dass, wenn er seinen Schweinen die Gedichte Teofanovs vorlesen lässt, diese um Einiges fetter werden als bei normaler Mast. Erschüttert von dieser Art Prag­matismus kehrt der Poet seinem Wohltäter schließlich den Rücken: „Irgendwo hinter ihm, in der bläu­lichen Dämmerung des Schweine­stalls, erklang immer noch die Poesie seiner Verse.“
Dietmar Jacobsen   10.06.2010   
Dietmar Jacobsen