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Kai Weyand
Schiefer eröffnet spanisch

„... Strukturen des Unglücks“

In Kai Weyands Romandebüt kommt das System Schule auf den Prüfstand und fällt durch

Kai Weyand | Schiefer eröffnet spanisch
Kai Weyand
Schiefer eröffnet spanisch
Roman
Wallstein, 2008
Es wird viel getrunken in Kai Weyands Roman­erstling. Schiefer, der Ex-Lehrer, Schach­spieler und Gelegen­heits­musiker, trinkt ebenso wie die Frau, von der er getrennt lebt, weil seine private Beziehung die beruf­liche Pleite nicht über­lebte. Sein Partner am Brett, der in der Nachbar­schaft wohnende und sich mühsam als Privatdetektiv durchschlagende namenlose Ich-Erzähler, trinkt. Und irgend­wann trinkt auch Theo Mal, Schiefers Unter­mieter und Versuchs­kaninchen. Weil man im Badischen wohnt, trinkt man mehr Wein als Bier. Aber auch Cognac und Wodka werden nicht verachtet, wenn es im Schmalen Wurf, der Kneipe um die Ecke, mal wieder richtig hoch hergeht.

Weyands Prota­gonis­ten sind allesamt Ge­schei­terte. Rand­existen­zen mit einem letzten Funken Stolz, der sie davor bewahrt, so tief zu fallen wie der Obdachlose Ketchup, dem der Roman nicht einmal mehr einen eigenen Namen zugesteht. Irgend­wann angetreten, um Herr der Umstände des eigenen Lebens zu werden, hat es nicht lange gebraucht, sie vollkommen zu desil­lusio­nieren. Nun versuchen sie zwar, die Dinge noch halbwegs auf die Reihe zu bekommen, aber so richtig klappen will das nicht.

Dafür aber besitzen sie reichlich Erfah­rungen. Erfah­rungen, die Schiefer und der Ich-Erzähler schließlich in ein Spiel, ein gesellschaftliches Experiment einfließen lassen, in dessen Mittelpunkt der naive, mit viel theoretisch-didaktischem Schnickschnack ausgerüstete und seinem ersten Schultag als Lehrer voller Optimismus entgegenfiebernde Dritte in diesem Männer­bund stehen soll. Denn Schiefer weiß nur zu genau, was auf den grünen Jungen zukommt, haben doch wenige Jahre im Schuldienst genügt, um sein Leben gründlich zu ruinieren.

Das mag verdächtig nach PISA-Test und Rütli-Terror klingen, ist unterm Strich aber eine über weite Strecken gut funktionierende und flott geschriebene Satire auf ein Teilsystem unserer Gesellschaft, in das man lieber gar nicht erst geraten möchte - die Schule. Hier sitzen bei Weyand verknöcherte Pauker ohne einen Funken Enthusiasmus gelangweilten Schülern gegenüber, die nur auf eines aus sind: die da vorn bloß­zustellen. Ein Miteinander gibt es nicht, Solidarität unter Kollegen: Fehlanzeige. Wenn sich die Türen am Morgen hinter Lehrern und Schülern geschlossen haben, verbringt man Stunde um Stunde in hässlichen, herunter­gekommenen Räumen, verweigert sich gegen­seitig den notwendigen Respekt und atmet erst wieder auf, wenn die letzte Unterrichts­einheit vorbei ist. Niemand kommt gern hierher. Keiner bleibt länger als vorgeschrieben. Ideen, die für eine lebendige Kommunikation zwischen dem Innen der Institution und dem Außen der Gesellschaft sorgen könnten, gibt es nicht.

Natürlich ist das alles übertrieben. Doch jene Lehrer, die nach der Lektüre von Schiefer eröffnet spanisch empört aufspringen wollen, um auf das geradezu familiäre Verhältnis aufmerksam zu machen, das sie zu ihren Schülern pflegen, dürfen erst einmal sitzen bleiben. Denn mit seinen – für Insider wahrscheinlich weniger lustigen – literarischen Vergröberungen will der Autor ja auf etwas hinweisen, das, zumindest im Kern, sehr wohl existiert. Das Scheitern von Theo Mal, dem jungen Lehrer voller Tatendrang, erweist sich jedenfalls als unvermeidlich. Und während das Schiefersche Experiment, für das der Ich-Erzähler nachts jede Menge Spionage­technik in die Unterrichts­räume einbaut, nur herausbekommen will, wer nun die Schuld trägt an der allgemein bekannten Misére, der Hamster oder das Rad, in dem er sich bewegt, ohne von der Stelle zu kommen, ergibt sich für den Leser unterm Strich eine etwas kompliziertere Sachlage.

Denn so genau ist die Rolle des Buhmanns am offensichtlichen Nichtfunktionieren von Schule heute nur einer ihrer vielen Seiten nicht zuzuweisen. Schuld an dem offensichtlichen Dilemma sind eben nicht nur junge Lehrer wie Theo Mal, die das System nicht verstehen und sich dementsprechend fehlverhalten. Und anzukreiden ist die Lage andererseits auch nicht allein einem erstarrten Organismus, in dem kein Raum ist für frische Ideen und der deshalb all jene gnadenlos scheitern lässt, die nicht im Gleichschritt mitmarschieren. Stattdessen existieren viele Faktoren, welche die altehrwürdige Institution im Moment so schwerfällig erscheinen und alt aussehen lassen. Und von mehr als einer Seite – so legt es Weyands Roman nahe – muss gebessert und erneuert werden, will man die Sache in den Griff bekommen. Dass das unabdingbar ist, um nicht auf Dauer die Kräfte der ganzen Gesellschaft zu lähmen – dem dürfte auch Kai Weyand zustimmen. Der legt die Symptome für eine unbefriedigende Situation unters Ver­größerungs­glas, damit sie deutlich wahrgenommen werden können – an wirksame therapeutische Vorschläge freilich wagt er sich nicht. Aber das ist natürlich auch nicht die Aufgabe von Literatur.
Kai Weyand wurde 1968 geboren. Für Am Dienstag stürzen die Neubauten ein (Wallstein, 2005) ist er mit dem 1. Preis beim open mike ausgezeichnet worden. Der Autor lebt in Freiburg.
Dietmar Jacobsen     30.12.2008   
Dietmar Jacobsen