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Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner lite­rarischer Gedenks­teine in Form eines Gedichtes jüngst ver­stor­bener Dichter, über­wiegend fremd­sprachiger, aber auch deutsch­sprachiger. Aus­gangs­punkt sind unter ande­rem aktuelle Todes­mel­dungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.

Liste der Stelen   ↓

 

Ásgeir H Ingólfsson
(Akureyri, Island 1976 – ebenda 2025)


Der vergessene Stürmer

Zeit ist Geld. Die Vergangenheit besteht dennoch nur aus Schulden und die Gegenwart aus neuen Schulden. Schulden mit Zinsen. Aber die Zukunft, dort liegt das Geld.

Die Zukunft ist der amerikanische Traum. Die Zukunft gehört uns. Aber Ihr werdet die Zukunft nie bekommen. Ihr bekommt nur ein neues Jetzt mit neuen Schulden.

Die Zukunft, sie gehört uns. Wir sind dieses eine Prozent, das in die Zukunft sieht. Wir sind es, die den nächsten Crash kommen sehen und Euch wertlose Aktien verkaufen. Wir sind es, die die Auflage von diesem Gedichtband kaufen und den Bibliotheken schenken, sodass Ihr Euch das Lesen leisten könnt.

Wir sind es, die die Zukunft sehen. Wir sind es, die den vergessenen Ersatzspieler das Siegtor im nächsten Endspiel schießen sehen. Wir sind es, die sehen, was im nächsten Jahr das Weihnachtsgeschenk sein wird. Die Kinder in den pakistanischen Fabriken haben längst mit der Herstellung begonnen. Dein Kind hat es bereits bestellt. Morgen ist es ein Teil deiner Schulden.

Übersetzt von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer. Aus: Framtíðin / Die Zukunft, Menningarsmygl 2015.

 

»Ásgeir H Ingólfsson hätte zu Lebzeiten die Bekanntheit verdient, die er durch seinen Abschied vom Leben erreichte: Nach einer tödlichen Krebs-Diagnose setzte er dem Tod den Plan einer großen, von Literatur, Musik und Film getragenen Party entgegen, zu der er über die sozialen Netzwerke weltweit einlud. Selbst erleben sollte er diese Party nicht mehr, er starb einen Tag zuvor.«
Wolfgang Schiffer

 

Ásgeir H Ingólfsson, geboren 1976 in Akureyri, gestorben dort am 25. Januar 2025. Aufgewachsen ist er in Island, studierte später aber in Prag, wo er bis zu seiner Krebs-Diagnose Ende 2024, für Jahre zwischen Island, England und Tschechien pendelnd, wieder lebte und arbeitete. Er war Kulturjournalist, Dichter und Übersetzer. Seit vielen Jahren schrieb er in zahlreichen isländischen Publikationen und in seinem Blog Culture Smuggling über Reisen, Kultur, Bücher und insbesondere über Film.


Dank an Wolfgang Schiffer.