Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer Gedenksteine in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
(São Paulo 1955 – Rom 2025)
Gesten
Gesten wiederholen sich
Berührungen wiederholen sich
Blicke
verwandeln die Sonne
Auf Stecknadelköpfen
erneut die Blätter
des Sonnenhutes
wiederholen sich nur
Nervöse Stimmen
Schritte wiederholen sich
Bewegungen wiederholen sich
und immer gibt es
An jedem Ort
einen Interpreten
der unablässig sagt
dass die Vogelstimmen
Inmitten des Autolärms
als
Laute des Morgens
sich nur wiederholen
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Hans Thill. Aus: Ossos de borboleta, Editora 34, São Paulo 1996
»... Poesie von rauer Schönheit und roher Bildlichkeit, aber auch von Akribie. Sie seziert trocken die kaleidoskopische Hässlichkeit der Stadtwelt und der urbanisierten Welt. Schließlich nähert sie die zeitgenössische brasilianische Poesie an die Welt an, rührt sogar an ihre Wunden. «
Luís Dolhnikoff
Régis Bonvicino wurde 1955 in São Paulo geboren und studierte an der dortigen Universität Jura. Ab Mitte der 1970er-Jahre veröffentlichte er erste Gedichtbände wie Bicho Papel (1974) und Régis Hotel (1978). Er war Herausgeber der Literaturzeitschrift Sibila und übersetzte u.a. Jules Laforgue und Charles Bernstein. Obwohl er in seinem eigenen Land relativ wenige Auszeichnungen erhielt, gehörte er zu den brasilianischen Dichtern, deren Werke im Ausland übersetzt und veröffentlicht wurden. In seiner Lyrik verband er vielfach das Thema der urbanen Situation mit formaler Strenge und gesellschaftlicher Analyse. Régis R. Bonvicino starb im Juli 2025 in Rom im Alter von 70 Jahren.