Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Seamus Heaney
(Castledawson/Nordirland 1939 – Dublin 2013)
Der Rutengänger
Von grüner Hecke eine Haselgabel
Schnitt er und hielt sie wie ein V:
Den Grund abtappend nach der Wasserader,
Nervös gespannt, doch profischlau
Und kühl. Der Ruck kam wie ein Stich.
Die Rute fuhr hinab in Krämpfen.
Ein Brunnenquell, der zu uns spricht
Per grünem Draht geheimer Sender.
Die Schaulustigen wollten auch einmal.
Stumm gab das Reis er denen, die es juckte.
Wie tot lag es in ihrer Hand, bis elegant
Er die Gelenke faßte. Die Hasel zuckte.
Deutsch von Richard Pietraß. Aus »Tod eines Naturforschers«. Nobelpreis für Literatur 1995, Coron Verlag Lachen am Zürichsee 1996, Carl Hanser Verlag, München Wien 1996.
»Es ist kein Hirtenidyll, das Heaney heraufbeschwört, sondern vielmehr das mühselige, lethargische Grau des Alltäglichen. Wie Wordsworth gelingt Seamus Heaney sehr wohl die Beschreibung jedes menschlichen Wesens als ›Kind der Erde‹. Für Seamus Heaney muss die Poesie wie der Erdboden immer wieder umgegraben und gepflügt werden.« Östen Sjöstrand
Seamus Heaney, 1939 in Nordirland geboren, veröffentlichte schon während der Schulzeit eigene Gedichte. Von 1989 bis 1994 hatte er den Lehrstuhl für Poetik in Oxford inne. 1995 wurde ihm für sein dichterisches Werk der Nobelpreis für Literatur verliehen. Seamus Heaney starb am 30. August 2013 in Dublin. Zu seinen letzten Bänden in deutscher Übersetzung gehören u.a. Electric Light (Hanser 2002) sowie das Poesiealbum 283 (2009).
08.11.2013