12. MDR-Kurzgeschichtenpreis
Was sind Kurzgeschichten für die Beteiligten des Wettbewerb? Was möchten sie für Geschichten erzählen, was möchten sie für Geschichten erzählt bekommen? Eine Vorjurorin, ein Abendjuror und eine Autorin geben während des Wettbewerbs Auskunft.
Franziska Gerstenberg – Vorjury
Franziska Gerstenberg lebt als freie Autorin in Hannover und hat gerade ihren zweiten Erzählungsband Solche Geschenke (Schöffling & Co, 2007) veröffentlicht. In diesem Jahr wurde sie mit dem Heinrich- Heine-Stipendium ausgezeichnet. Sie hat 2002 den zweiten Preis des MDR-Literaturwettbewerbs erhalten und diesmal als Vorjurorin einen großen Stapel Kurzgeschichten gelesen.
Katharina Bendixen: Was ist für dich eine gute Kurzgeschichte?
Franziska Gerstenberg: Eine gute Kurzgeschichte ist eine Geschichte, in der das Thema genau die Länge verlangt. Hier beim MDR-Wettbewerb muss man ja Geschichten von etwa sieben Seiten Länge einreichen. Beim Lesen der Texte fällt auf, dass viele Themen der Texte entweder zu groß oder zu klein sind. Das heißt, der Text verfällt in ein atemloses Stakkato oder er wird langweilig. Ich denke, dass es eine große Kunst ist, immer zu wissen, für welches Thema man welche Länge benötigt. Und wenn ich Kurzgeschichten lese, bin ich außerdem auch immer auf der Suche nach einer Sprache, die herausfällt, die etwas wagt, die sich einprägt.
K. Bendixen: Wie schätzt du das Verhältnis zwischen Sprache und Inhalt in einer Kurzgeschichte ein, was ist dir wichtiger?
F. Gerstenberg: Ich finde, das eine geht mit dem anderen einher. Es nutzt nichts, einen tollen Inhalt zu haben und den nicht erzählen zu können, und umgekehrt gilt das gleiche.
K. Bendixen: Was für Geschichten kann man heute erzählen?
F. Gerstenberg: Prinzipiell kann man alle Geschichten erzählen. Es kommt immer darauf an, wie man sie erzählt. Wenn man heute Geschichten erzählt, mag ich es, wenn sie auch heutig erzählt werden, was auch immer das für den jeweiligen Autor bedeutet. Für mich bedeutet es, dass ich tatsächlich ausschließlich Geschichten erzähle, die im Hier und Jetzt spielen. Dabei ist es mir wichtig, dass meine Figuren auch reden wie Leute, denen ich in der Straßenbahn zuhöre oder die ich beim Bäcker treffe, und nicht wie Leute, die vor hundert Jahren gelebt haben.
K. Bendixen: Welche Art von Geschichten möchtest du persönlich erzählen?
F. Gerstenberg: Ich persönlich möchte Geschichten erzählen, die zu schreiben mich auch weiterbringt im Leben. Das hört sich vielleicht ein bisschen esoterisch an, aber wenn ich das Schreiben auch als eine Art Suche nach Antworten für mich begreife, dann kommen dabei nicht die schlechtesten Texte heraus. Man selbst hat beim Schreiben einen kleinen Erkenntnisgewinn gehabt, ein neues Terrain betreten, durch eine Figur etwas ausprobiert, was man sich selbst noch nicht getraut hat. Solche Dinge reizen mich. Und dann ist es natürlich ein großes Glück, hinterher zu erfahren, dass man ein Thema bearbeitet hat, das nicht nur einen selbst umtreibt, sondern auch den einen oder anderen Leser.
K. Bendixen: Welche Kriterien hast du als Vorjurorin an die Texte gelegt?
F. Gerstenberg: Dass das Thema passt und die Sprache stimmt, wie ich es schon gesagt habe. Natürlich ist man auch auf der Suche nach Texten, die etwas wagen. Bei der Diskussion in der Vorjury geht es dann auch um eine gewisse Bandbreite der Texte. Es ist natürlich hilfreich, nicht sieben Texte zu haben, die sich zum Beispiel mit Frauen um die fünfundsechzig beschäftigen.
K. Bendixen: Gibt es für dich einen Meister der Kurzgeschichte?
F. Gerstenberg: Jetzt sagen natürlich alle Leute Raymond Carver. Ich sage auch Raymond Carver. Aber meine Entdeckung der letzten anderthalb Jahre sind eigentlich die Kurzgeschichten von Alice Munroe. Sie hat ein Leben lang mit Hingabe Kurzgeschichten geschrieben, und das ist mir sehr nahe. Sie hat sich immer wieder neu darauf eingelassen, sie hat immer wieder neue Themen gefunden und dadurch für mich diese Gattung zu einer großen Kunst gebracht.
Bericht zum Wettbewerb
Katharina Bendixen 10.04.2007
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Katharina Bendixen
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