es ist ein weitverbreiteter irrglaube, dass jedem ende auch ein anfang innewohnt: es gibt durchaus dinge, beziehungen oder träume, die knall auf fall enden und dem zurückgelassenen keinen neuen anfang anbieten. richtig hingegen ist, und dies mag der verfasser dieser redewendung gemeint haben: irgendwie geht es immer weiter. oft bleiben reste, in der erde, in der luft, in einer schale auf dem fensterbrett. oft bleiben reste in der hosentasche, die erst später herausfallen, zufällig und unbestimmt. und auch nach gesprächen verbleiben reste, unabhängig von dauer und intensität; niemals ist alles gesagt. und auch nach briefen verbleiben reste, die sich der ungeduld, dem versäumnis oder dem baldigen wiedersehen schulden. auch prosa und songtexte lassen ihre reste zurück, und auch bei der arbeit an einem gedicht entstehen überbleibsel, überschüssiges material, welches vom geübten wortklempner gesäubert und dort gelagert wird, wo es für späteren bedarf wiederauffindbar ist.
im günstigsten fall lässt sich diese resteverwaltung kanalisieren und professionell kontrollieren, lässt sich ein solcher rest als brücke in die nächste session nutzbar machen. reinhard mey, seines zeichens liedermacher vorzüglicher güte, hat dieses vorgehen vor jahren in einem interview erläutert: den letzten guten gedanken eines tages zu konservieren, um ihn am nächsten tag als ansehnlichen einstieg nutzen zu können.
eine einträgliche (wort)reuse, in der sich, und hier schließt sich der kreis, ein ende in einen neuen anfang zu wandeln vermag – dies jedoch nur, wenn sich der nutzbare rest auch wirklich in den maschen verfängt und greifbar wird, fassbar wird. wenn er sich zeigt, sich zu erkennen gibt. viel häufiger jedoch vagabundiert der verbliebene rest eines textes, ein wort oder eine zeile, als okkulter begleiter umher – er steht wie alte luft im raum, steht in den ohren und der nase und lässt sich nicht herausschnäuzen.
schnitt:// eine frische brise könnte klarheit bringen, und so öffne ich das fenster. sofort ist der kopf leer, der gedanke hat sich verflüchtigt, doch ich weiß, dass er noch nicht weit sein kann. ich denke es nicht, ich ahne es nicht; ich weiß es, denn die arbeit an einem gedicht ist arbeit und nur an allerletzter stelle und mit viel wohlwollen eine glaubenssache wie die frage mit dem ei und dem huhn –
ein zufälliger blick in die fernsehzeitung, und so schnell er verschwunden war, so schnell kommt der gedanke wieder ins zimmer – ?, nein, er war seit langem dort und übte sich in geduld. ein schnelles flackern der lider, ein heimatfilm mit lieselotte pulver neben den vorberichten zum fußballereignis des jahres: pieroschka und bierofka.
mit dem stift die ersten worte, und zu späterer stunde eine höhere schlagzahl. und es ist nicht so, dass die schreie tagsüber nicht hörbar, nicht spürbar wären; es ist nur so, dass die schreie mit dem abend lauter werden, fordernder, dass sie nachts stärker auf den amboss schlagen, sich gehör verschaffen und jene aufmerksamkeit einfordern, die ihnen im laufe eines alltags nicht dauerhaft entgegengebracht werden kann.
nicht selten erscheinen die schreie als ungebetene gäste, sie rauschen aus den seiten der bücher, sie quellen aus dem radio, der frühstückszigarette, sie sprechen aus der erinnerung an etwas, das nach bestem wissen und gewissen als abgeschlossen galt. also weiter im text, den stift in den handrücken stechen und die gedanken mit dem blut herauslaufen lassen – so beschrieb ich den vorgang des schreibens, als ich vor gut zwanzig jahren von einem mitschüler danach gefragt wurde. weniger haare (zumindest auf dem kopf), wohlstandsbauch, die nacht ist in vollem gange, schon fast bereit, den stab an die morgendämmerung weiterzureichen, ein erstes licht, in den höheren etagen wird es langsam hell; die ersten vögel regen sich, der gedanke an durchwanderte, sternklare nächte. schreib das auf, stefan! Je später der abend, desto ...
schnitt:// das babyphon schlägt an – so schnell sie gekommen sind, sind die gäste auch wieder verschwunden, lassen die schreie nach, kriechen die schreie in ihr echo. andere muskeln spannen sich an, entspannen sich bei entwarnung.
ein sattes grün oder
ich denke oft an pieroschka bierofka
ein erstes licht, in den höheren etagen wird es
langsam hell, ohne eile der aufbruch in den
neuen tag; ein schöner tag zum sterben leben /
der himmel ist blau, wir halten es für ein gutes
zeichen, vernachlässigen das schuhwerk und
wärmende kleidung, nach kurzem zögern heißen
wir den abschied willkommen, begrüßen die
elstern zwischen den fichten und ihren herab-
gebogenen zweigen, darunter die schatten von
steinen und brennholz, geschichtet // ein sattes
grün, wir benehmen uns wie kinder, wir treten
gegen bienenkörbe, lassen uns von lächelnden
frauen die stiche versorgen und kühlen: glücklich
vor schmerz, so als wenn das gar nichts wär
auf dem papier, denn noch immer entstehen meine texte in ihrer ursprungsfassung auf papier, die ringe der abgestellten, noch halbvollen (nicht halbleeren) gläser; unter dem schreibtisch die worthülsen jener kugeln, die sich selbst aus dem text schossen. der blick ins magazin, und anschließend der blick in die bar. es ist noch genug für alle da – doch nur einen trottel mag dies beruhigen.
und später ein weiterer murmeltiertag, das warten auf die ungebetenen gäste, auf die fremden, die wir später als freunde nicht mehr gehen lassen –