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Verlegen als Lebenshaltung

Ilse Kilic und Fritz Widhalm im Gespräch mit Petra Ganglbauer
 Ilse Kilic und Fritz Widhalm
llse Kilic, geboren 1958, lebt in Wien und arbeitet als Autorin, Filmemacherin und Zeichnerin von Comics. 2006 verfilmte sie Gedichte von 30 AutorInnen (WZ Film). Fritz Widhalm, 1956 in Gaisberg geboren, ist Autor und arbeitet im Bereich Text, Ton, Bild. Mehrere Gemeinschaftspublikationen mit Ilse Kilic, so zuletzt: Wie wir sind, was wir wurden (edition ch, 2007). Gemeinsam geben sie seit 1986 die Edition Das fröhliche Wohnzimmer  externer Link heraus.
Petra Ganglbauer: Liebe Ilse Kilic, lieber Fritz Widhalm, die Edition Das fröhliche Wohnzimmer ist seit Jahren eine namhafte und verdienstvolle Edition, die zeitgenössische deutschsprachige experimentelle Literatur herausgibt, auch mit einem Schwerpunkt auf zeitgenössischer öster­reichischer Literatur. Ich habe vernommen, dass die Herausgabe von Einzelpublikationen eingestellt werden soll. Warum?

Ilse Kilic: Wir haben circa 80 Einzelpublikationen in den letzten 20 Jahren gemacht und irgendwie haben wir das Gefühl, das genügt. Und wir wollen uns mehr auf Projekte konzentrieren, bei denen mehrere Autorinnen und Autoren gemeinsam ein Buch machen, Themen betreffend, die uns am Herzen liegen, Ideen, die uns am Herzen liegen.

Fritz Widhalm: Wir haben hundert ISBN-Nummern gekauft, und die werden wir auch nützen, und dann wird man sehen ...

P. Ganglbauer: Wann hat eure editorische Arbeit begonnen? Gibt es eine Entwicklung, die ihr feststellen könnt, rückblickend? Gibt es Vorbilder in editorischer Hinsicht, Vertreter der älteren Generation? Einzelkämpfer?

llse Kilic, Fritz Widhalm
llse Kilic, Fritz Widhalm
Wie wir sind, was wir wurden
Edition ch, 2007
Details zum Buch  externer Link
 
F. Widhalm: Angefangen haben wir 1986. Die ersten drei Jahre bewegte sich das Ganze im Freundeskreis, die Bücher entstanden damals noch in handgebundenen kleinen Auflagen. 1989 haben wir richtig begonnen mit der Edition, mit Lektorat, Druckerei ...

P. Ganglbauer: War Das Wohnzimmer Buch die erste offizielle Publikation?

I. Kilic: Ja, genau. Ich möchte das mit dem Freundeskreis ein bisschen relativieren, es war so, dass wir eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen waren von 1986 bis 1989, die sich alternative Vertriebswege überlegten; aus diesen Überlegungen gingen dann handgemachte, handbemalte Bücher hervor; Christine Huber beispielsweise hat damals eine Zeitung gegründet, also es war ein stetes Suchen nach Möglichkeiten, Vertriebswege abseits der großen ausgetretenen Verlagspfade zu finden. Und was die Vorbilder betrifft, wir haben beispielsweise Werner Herbst gekannt. Unsere ersten eigenen Lyrikbände sind ja in der Herbstpresse erschienenen. Wir kannten also Werner Herbst und Gerhard Jaschke (Anm: herbstpresse und freibord), auch die edition neue texte in Linz (Anm.: Heimrad Bäcker), die, so glaube ich, der erste Kleinverlag war, der mit so einer Konsequenz betrieben wurde.

F. Widhalm:Aber es gibt auch Vorbilder aus früheren Zeiten. Es hätte den Dadaismus ohne Kleinverlage nicht gegeben. Die Edition Dada war im Grunde ein Kleinverlag, der in kleinen Auflagen die Bücher der Dadaisten oder Antidadaisten herausgegeben hat.

P. Ganglbauer: Nach welchen Kriterien habt ihr eure Autorinnen und Autoren ausgewählt? Es gibt in eurem Verlagsprogramm auch ganz junge Kolleginnen und Kollegen, Leute, die das erste Mal überhaupt publizierten; eure Funktion war ja auch stets eine des Förderns.

I. Kilic: An sich war die Idee schon, dass wir die uns zugehenden Manuskripte lesen und daraus eine Auswahl treffen, aber zugleich ist es auch so, dass wir gezielt mit Leuten zusammenarbeiten wollten, wo wir versuchten, gemeinsam ein schönes Buch um wenig Geld zu machen.

F. Widhalm: Soweit möglich, trafen wir uns mit den Leuten, und haben versucht, die Bücher gemeinsam zu machen. Manchmal ging das auch nur über Postaustausch, beispielsweise im Falle von Rea Nikonova und Serge Segay, die damals noch in Russland lebten.

I. Kilic: Und natürlich hofften wir auch, dass die Autorinnen und Autoren begreifen, dass es nicht so sein kann: Sie fangen beim Wohnzimmer an, um dann bei Suhrkamp zu sein, dass es schon auch eine Entscheidung bedeutet ...

P. Ganglbauer: Eine Haltung?

I. Kilic: Es geht um Positionierungen. Es geht nicht nur darum, ein Buch zu haben, sondern auch darum, sich innerhalb eines Netzwerks zu bewegen, sich zu interessieren und einzubringen.

P. Ganglbauer: Kommen wir auf eure eigene literarische Arbeit zu sprechen: In welcher Tradition seht ihr euch da?

F. Widhalm: Ich kam zum Schreiben, weil mich die Moderne beeindruckte. Die Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts: Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus bis zur Wiener Gruppe und Heimrad Bäcker in Linz. Ich fing schließlich zu schreiben an, als ich Ilse kennen lernte. Schon mit dieser Traditionskette dahinter.

I. Kilic: Ich möchte dem noch Oulipo (Anm.: Ouvroir de Litératur Potentielle, französische Gruppe) hinzufügen, den Aspekt des Findens und Erfindens von Regelwerken der Sprache.

P. Ganglbauer: Algorithmen?

I. Kilic: Nein, ich nenne es einmal Regelwerke – das ich für mich der weitere Begriff –, die einfach die Regeln der Sprache selbst zum Thema machen und zum Teil neue Regeln aufstellen, nach denen ein Text funktionieren kann, wodurch das Augenmerk auf Regeln überhaupt liegt. Das ist etwas, was mich fasziniert, die Regeln – das betrifft auch die gesprochene Sprache – zu untersuchen. Wiener Gruppe und Mayröcker, Jandl etc. sind sicher für jede Autorin, jeden Autor, die, der experimentell schreibt, ganz wichtig.

F. Widhalm: Außerdem fühlten wir uns immer einem linksautonomen Netzwerk zugehörig. Das ist ganz wichtig.

P. Ganglbauer: Apropos Netzwerk, wir haben von editorischen Strukturen gesprochen; das schlägt sich freilich auch auf die literarische und künstlerische Arbeit nieder. Das fröhliche Wohnzimmer manifestiert und präsentiert sich ja umfassend im Bereich Literatur, Edition, Kunst, Film, Musik. So gesehen eine eigene Welt? Ein eigener Kosmos, kann man das so sehen? Eine Lebensart?

I. Kilic: Für mich ist Das fröhliche Wohnzimmer auch eine Lebenshaltung. Das Wohnzimmer ist der Ort, wo das Private und das Öffentliche einander begegnen. Das war für uns immer wichtig, eine Verbindung zu suchen zwischen privat und öffentlich und auch die Frage zu stellen, was privat und was öffentlich ist. Und auch das zu teilen, was im Wohnzimmer passiert.

P. Ganglbauer: Wie sieht es aus eurer Sicht mit der Überlebensfrage in Deutschland für Editionen in der Größenordnung eurer Edition aus?

F. Widhalm: Ich denke, dass es in Österreich ein bisschen leichter ist, an Gelder, an Subventionen heran zu kommen. Es ist in Deutschland, soweit wir das mitkriegen, schwieriger. Aber es gibt glücklicherweise sehr viele interessante Verlage, oft ganz klein, oft ein bisschen größer, also dann auch wieder alles recht ähnlich wie in Österreich.

I. Kilic: Was das Finanzieren in Österreich betrifft, ist es so: Es gibt Geld, aber wenn man kein Privatgeld hat, kann man es nicht machen. Wir hatten Jobs in den Anfängen und viel Privatgeld floss ein; über die Jahre wurde es besser, einerseits durch mehr Verkauf, andererseits, weil uns die Subventionsgeber kennen. Aber ohne Fixjobs wäre es nicht gegangen.

P. Ganglbauer: Wie soll der Freiraum genutzt werden, der dadurch entstehen wird, dass ihr keine Einzelpublikationen mehr herausgeben werdet? Wollt ihr eine bestimmte Facette eurer Arbeit vertiefen?

I. Kilic: Der Vertrieb bleibt ja, der adminstrative Aufwand auch, und wir haben ja das Glückschweinmuseum, die Wohnzimmer-Galerie. Und das ist freilich eine Möglichkeit für uns, unsere Bücher im öffentlichen Raum zu präsentieren. Dort finden auch kleine Veranstaltungen statt. Das macht uns Spaß und ist sowohl für die Edition als auch für uns gut. Und Anthologien machen ja mehr Arbeit als Einzelpublikationen.

F. Widhalm: Es ist viel zu Routine geworden und es ist für uns wichtig, da etwas zu ändern, um es nach 20 Jahren auch für uns selbst interessanter zu machen; viele der Arbeiten sind reine Routine; bisweilen erinnert das an Fließband-Arbeit, man sitzt am Computer und setzt, dann geht man in die Druckerei.

P. Ganglbauer: Automatisiert.

F. Widhalm: Wir haben uns überlegt, das Ganze umzugestalten und wieder etwas Spannendes hineinzunehmen. Es muss auch irgendwann Schluss sein. Es kommen Jüngere nach. Neuere Kleinverlage, wir werden weiterhin etwas machen, aber es wird sich ändern.

P. Ganglbauer: Ich danke euch für das Gespräch.

(gekürzte Fassung)
poet nr. 4 Das vollständige Gespräch erscheint in
poet nr. 4
Das Magazin des Poetenladens
poetenladen, 15. Januar 2008
176 Seiten, 8.80 Euro

Petra Ganglbauer     04.01.2008    

Petra Ganglbauer
Lyrik
IM SCHONUNGSLOSEN
Gespräch