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Die Zwischenlandung der Heimlichtuerei

Herta Müller  –  Die blassen Herren mit den Mokkatassen. Gedichte

Herta Müller | Die blassen Herren mit den Mokkatassen die blassen / Herren mit den Mokkatassen am / Hut hat jeder eine Zündschnur ein / Edelweiß und eine Vogelfeder einer sagt: wir reden / hier nicht nur fundiert über die Fuchsjagd ...

Ob die Collagen von Herta Müller die Fantasie des Lesers auch entzünden können? Sie, die zu den sprachwendigsten Autorinnen der deutschen Literatur gehört, sagte sinngemäß in einem Interview, sie wollte etwas zusammensetzen, kaputt gegangen wäre schon genug in ihrem Leben. Das Zusammensetzen ist dabei wörtlich zu verstehen. Du kannst doch nicht ständig Vokale kaufen. Tut sie auch nicht. Sie nimmt sie sich sozusagen second hand. Improvisieren und Wiederverwerten ist schließlich ein Muster, das dem Leben im kommunistischen Rumänien, wo Herta Müller bis 1987 lebte, täglich seinen Stempel aufdrückte. Was wir in diesem Buch zu sehen bekommen, ist das Werk einer Wortsammlerin. Sie sammelt Worte wie andere Leute Schmuck.

Bunte Schnipsel, Bildausschnitte, zwischen Buchdeckel gebannt, deren Innenseiten bordeauxrot schimmernd ausgeschlagen sind und die optisch in der Tat an eine Schatulle erinnern. Staunend betrachtet man die einzelnen Seiten und lässt die Fragmente, die als Faksimile gedruckt wurden, aufglänzen. Allein schon die Buntheit der Zeilen verleitet zum kindlichen Blick auf das Jonglieren mit Worten, wobei ziemlich schnell der Reim auffällt, eigenwillig wie die Rhythmen, die in ihrer Melodie vergessene Abzählreime heraufbeschwören. Beim lauten Skandieren von Stand ich so am Sommerrand kam ein / aufgeräumter Mann hatte kreideweiße Schuhe / dunkelblaue Hose an … fallen einem unweigerlich Kinderreime ein wie: eine kleine Dickmadam fuhr mal mit der Eisenbahn.

Man kann sich einlassen auf dieses Spiel, und auch bei eigenwilligen Worterfindungen sollte man verweilen: Verandaschreiner, Pelzprobierer, Bleibquadrat, Gehtasche, Knorpeltasse, Fettbüro. Nur trauen sollte man den Worten nicht, wenn man Herta Müllers Prosa kennt. Beim näheren Betrachten bekommen die heiteren Reime Risse und wollen nicht mehr so glatt von der Zunge gleiten. Einmal rasselte die Angst wie sie / nicht soll wie die Streichholzschachtel in der / Manteltasche einmal ging ich unterwegs verloren / einmal kam ich an wo ich nicht war – das hört sich leicht an, doch nistet sich ein vages Unbehagen ein. Sparsam zwar, aber wirksam werden Boten des Unheils gestreut: Gefängnis, Polizisten, der Vater, den sie abholten und der nicht wiederkam. Sie brechen in das scheinbar intakte Schnipseluniversum ein und führen die unschuldige Larve der Collagen ad absurdum. Ganz in der Tradition des absurden Theaters von Ionesco zum Beispiel.

Wer dem wachsenden Unbehagen widersteht und sich von der schrei-bunten Optik nicht blenden lässt, der wird erkennen, dass bei Herta Müller, anders als im Märchen, wo sich das Böse zum Guten wendet, der schöne Vorhang bald reißt und das Hässliche hervortreten lässt. Das Trauma, die Vergangenheit – man kann sie nicht abschütteln und auch nicht tricksen. Man kann Worte ausschneiden und sammeln, um sie wie Lottozahlen zu ziehen. Das Aneinanderlegen und Zusammenstellen aber wird kein Zufall sein, sondern diktiert von inneren Zwängen. Herta Müller hat sie gekonnt gemeistert.

Und doch gibt es eine Stelle, an der ich fast befreiend auflachen konnte. Just, als ich mir einbildete, die Zündschnur der blassen Herren gekappt und den Algorithmus erkannt zu haben, las ich verdutzt eine Zeile, die so gar nicht passte. Mă cam doare bila ist das einzige rumänische Wortschnipsel im Buch. Trotz des verstehenden Lachens unterstellte ich der Autorin, die bila (Galle) nur des Reimes wegen eingeschmuggelt zu haben. Die Laus trinkt Blut in lila / mă cam doare bila.

Auf den ersten Blick sieht man den Collagen die Arbeit nicht an. Eine Ahnung davon bekommt man, wenn man den umgekehrten Weg des Entstehungsprozesses betrachtet. Das Bild vom Jungen drängt sich auf, der sein Spielzeug zuerst auseinanderlegt und dann aus den Einzelteilen etwas Neues baut. Noch eindringlicher wird der kreative Akt, wenn man sich die Richtung und Reihenfolge der schriftstellerischen Arbeit bewusst macht, die Gedanken und Gefühle in Worte fasst. Die Autorin Herta Müller nahm gebrauchte Worte und dachte sich dazu Geschichten aus, an denen sich die Fantasie des Lesers entzündet, wie schon lange nicht mehr.

Herta Müller
Die blassen Herren mit den Mokkatassen
Gedichte / Collagen
München: Carl Hanser Verlag 2005

Herta Müller wurde 1953 im deutschsprachigen Nitzkydorf in Rumänien geboren. 1987 übersiedelte sie nach Deutschland. Sie war Gastprofessorin an in- und ausländischen Universitäten und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Zuletzt erhielt sie den Berliner Literaturpreis und den Würth-Preis für Europäische Literatur. Herta Müller lebt in Berlin.

© 01.01.2006  Dorothea Gilde            Print

Dorothea Gilde
Interview