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Johann Lippet

Das Feld Räumen

Geschichte versus Geschichten

Lippet: Das Feld räumen (Roman 2005)Der Vermerk mit Kugelschreiber auf der Rückseite des gestochen scharfen Farbfotos gibt dem Betrachter Auskunft über den Anlaß der Entstehung: Juli 1984 Hildes Abschied.

Schon mit dem ersten Satz schlägt Lippet den Ton an, den er bis zum Ende des Romans beibehalten wird – den dokumentarischen Stil der Familiengeschichte des Anton Lehnert.

Dieser hat seine Frau Maria verloren und lebt allein in seinem Haus in Wiseschdia, einem Dorf in der Banater Ebene im Westen Rumäniens. Seine Tage werden bestimmt durch die immer gleichen, seit Jahren gewohnten Gesten und Handlungen. Unterbrochen wird dieser eintönige Ablauf durch den Besuch seiner Tochter Hilde und gelegentliches Vorbeischauen von Nachbarn oder Verwandten. Die meiste Zeit erleben wir Anton allein, mit sich und seinen Grübeleien beschäftigt, während er sich zwischen der hinteren Küche und dem vorderen Zimmer zu schaffen macht.

Anton hatte seine Arbeit gemacht und stellte den Tannenbaum in der hinteren Küche ab. Dort hatte Hilde den Christbaumschmuck sortiert auf den Tisch gelegt. Das Schmücken hätte eigentlich im vorderen Zimmer erfolgen sollen, wo der prachtvolle Baum vor den zwei Fenstern zur Gasse hin seinen festen Platz hatte, aber dort schlief Wolfgang, in der vorderen Küche wiederum war es zu eng.

Maria, seine Frau, ist nicht wirklich tot. Sie kreuzt immer wieder seine Gedanken, und man gewinnt nach und nach den Eindruck, dass sie für ihn nun präsenter ist als zu Lebzeiten. Anton soll und wird auswandern. Zu seinen drei Töchtern nach Deutschland, wie er sich ausdrückt. Als er selbst zu der Einsicht kommt, die Heimat mit dem Tode seiner Frau verloren zu haben, willigt er ein. Der zweite Teil des Buches zeichnet den Weg Anton Lehnerts von der ersten Anlaufstelle für Aussiedler in Nürnberg bis zu seiner Wohnung in der Theodor Körner Straße in Heidelberg. Wir begleiten ihn auf seinen Behördengängen und wundern uns über diesen teilweise weltfremden, sich selbst entfremdeten Bauern, der die Welt nicht anders messen kann als an seinen Maßstäben. Und die wurden durch sein bisheriges Leben bestimmt. Wenn er sich zum Beispiel komisch fühlt, weil er jetzt jeden Tag „Sonntagsgewand“ anhat.

Zwei Wochen waren seit seiner Aussiedlung verstrichen. Und nach den Kleidern, die er nun täglich trug, war ihm, als würden die Feiertage nicht mehr enden …

Was liegt da näher, als nach der Wende 1990 in sein Dorf zurückzukehren und mit einem Kompagnon den Gemüseanbau wieder hochzuziehen. Richtig heimgekehrt ist er aber erst, als ihn auf seinem Acker der Tod ereilt und Anton Lehnert bei seiner Maria beigesetzt wird. Da erst, am Ende weht ein Hauch der Geschichte auf jenem Friedhof, wo Staub und welke Blumen zu den unabdingbaren Requisiten der Vergänglichkeit gehören.

Ein Autor - sagt sinngemäß Marcel Reich-Ranicki - wählt sich nicht sein Thema, sondern das Thema wählt sich den Autor. Johann Lippet ist einer jener Heimgesuchten. Auch ein anderes Zitat des Literaturkritikers trifft auf Lippet zu: „Die Biographie des Schriftstellers ist sein fundamentales Kapital, mit dem er arbeitet - und daraus ergibt sich alles andere.“

Fast obsessiv zieht sich ein Thema durch seine Romane – das Schicksal der Menschen im kleinbäuerlichen banatdeutschen Dorf. Wobei schon die reine Aufzählung der Titel eine Wandlung sichtbar macht. „Das Feld räumen“ sperrt sich dem Leser. Spröde, kantig, kalt kommt es daher, im Gegensatz zu den früheren „Falten im Gesicht“, die Wehmut signalisieren, oder „Die Tür zur hinteren Küche“, die einen persönlichen Bezug ahnen lässt. So gesehen, hält das Buch, was der Titel verspricht. Vergeblich sucht der Leser den Betrachter jenes Fotos von Seite eins. Er braucht ihn aber und fühlt sich allein gelassen wie ein Kind, das die Hand der Mutter vermisst.

Schon Balzac wusste, dass er seinen Zeitgenossen den Spiegel nur deshalb vorhalten konnte, weil er selbst als Erzähler und Interpret des Geschehens zugegen blieb und dem Leser sozusagen einen Stuhl gleich neben sich bereitstellte. Wo aber ist Lippet in seinem neuen Roman? Sucht man ihn vielleicht auf der falschen Seite? Gewiss - man kann doch wohl kaum erwarten, den Regisseur vor der Kamera anzutreffen.

Man könnte vielmehr fragen, ob er uns wirklich einen Spiegel vorhalten will? Wahrscheinlich nicht. Sein Buch erscheint wie ein Dokument und erinnert an seinen früheren Versuch, die Angst vor dem Schwinden der Einzelheiten zu überwinden. Fragt man seine Landsleute, so antworten sie in Bezug auf das Buch: Es ist gut, dass jemand alles aufschreibt, so wie es war. Damals. Und in dem einen Wort schwingt mehr Wehmut mit, als man in viele Sätze gießen könnte.

Sucht man den sentimentalen Bezug des Autors zu seinen Figuren, so findet man ihn in der banatschwäbischen Mundart auf jeder Seite fast exzessiv vorgeführt. Zwingend notwendig, um die Figuren authentisch erscheinen zu lassen? Vielleicht. Dann aber nur in der direkten oder indirekten Rede. Wenn Anton sagt, er gehe „in die Ferma“, dann ist es Anton, der so sprechen muss, um glaubhaft zu sein. Nicht jeder Leser weiß aber, dass die Kolchose gemeint ist. Und in dem Satz „Hast du nicht daran gedacht, dich vom Rauchen zu lassen?“ versteht man zwar den Sinn, stutzt aber bei der eigenartigen Satztopik, die dem Rumänischen entlehnt ist: ‚să te laşi de fumat’. Anton und die anderen Bewohner des Dorfes beziehen ihren Charakter zum großen Teil aus ihrem Wortschatz.

Zu viel des Guten scheint es aber, wenn in erläuternden Sätzen des Betrachters, der Mundart entliehene Worte oder Satzfolgen den Lesefluss behindern. Sprache sollte Inhalt transportieren, ohne auf sich selbst aufmerksam zu machen. Mundart aber zwingt zu ständiger Aufmerksamkeit, zu Übertragung und Interpretation. Der Leser ermüdet und verliert vielleicht das Interesse. Jener aber, der weiterliest, wird an manchen Stellen belohnt mit Beschreibungen, die berühren:

Wenn Anton Lehnert sich an schöne Zeiten erinnerte, war er traurig. Er hatte ein Leben lang Ziele vor Augen, deren Verwirklichung durch Wille und Tatkraft ihm, trotz auftretender Widrigkeiten, Genugtuung bereitet hatte. Das war das Schöne an vergangenen Zeiten, Schwierigkeiten gehörten für ihn zum Leben. Was sich aber in den letzten fünf Jahren an Schwierigkeiten in den normalen Ablauf eines Lebens gestellt hatte, war nicht mehr aus eigener Kraft zu meistern.

Oder er wohnt Szenen bei, die durch die Einflechtung von Erinnerung lebendig werden, wenn Anton Lehnert zum Beispiel, in seinem Heidelberger Schrebergarten sitzend, sich an die erste Rückreise in sein Heimatdorf erinnert:

Plötzlich war ein fremder Hund da. Gerenne entlang des Zauns, wütendes Gebell, gefletschte Zähne, ein Pfiff. Schimpfend kam Alois Binder auf Anton zu, die Hunde ließen voneinander ab. Wer als erster die Geste der Umarmung machte, wußte Anton nicht mehr. Er erinnerte sich aber, wie sie sich danach, an den Oberarmen haltend, gegenüberstanden und anstrahlten.

So gesehen, gelingt es Lippet zwar, seinen Wurzeln verbunden zu bleiben und den Menschen und Orten ein Denkmal zu setzen. Er macht aber gleichzeitig keinen Versuch, sie aus der selbst gewählten Abgrenzung, in die sie sich durch ihr Verhalten, ähnlich dem des Anton Lehnert, hineinmanövrieren, wieder herauszuholen. Der Grundton des Buches gleicht dem abgeräumten Feld. Kahl, stoppelig. Es fehlt ihm vielleicht manches erzählerische Moment, das die Lektüre spannender machen könnte. Es wird weniger eine Geschichte erzählt als Geschichte dokumentiert.

© 13.6.2005  Dorothea Gilde          

Johann Lippet
wurde 1951
in Wels (Oberösterreich)
geboren und wuchs
in Rumänien auf.

Johann Lippet
Das Feld räumen
Roman
Heidelberg: Verlag Das Wunderhorn 2005
ISBN: 3-88423-234-7
23.80 Euro

Weitere Literaturhinweise
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Dorothea Gilde
Interview