Der Anteil am Irrtum ist gesichert
Der Ingeborg-Bachmann-Preis ging am vergangenen Wochenende in sein 32. Jahr. In diesem frühzeitigen Midlife-Crisis-Alter musste man agieren, dass man attraktiv bleibt für sein Publikum, das im schnelllebigen, medialen Zeitalter nach präzisierter Raffung ruft. Also hat man zu Gunsten einer erhofften komprimierten Kritik die Juroren von neun auf sieben reduziert und den Bewerb auf zwei Tage verkürzt. Glaubt man dem Flüstern böser Stimmen, könnte dies aber auch einen Grund darin haben, dass der ORF sein Geld lieber in die Fußball-EM steckt. Böse Stimmen. Ist man doch so sehr bemüht mit dem Bewerb der Literatur eine Öffentlichkeit zu schaffen und der Öffentlichkeit zur Literatur zu verhelfen. Bachmann Goes Europe heißt dieses Jahr diese didaktische Dialektik, dank der die Texte nun in sieben Sprachen auf der Internetseite veröffentlicht werden. Vielleicht schafft man es ja so den einen oder anderen EU-Fördercent einzustreichen, wie es Willy Haslitzer, Direktor des Landesstudios Kärnten des ORF, ganz offiziell in der Eröffnung äußerte. Die wichtigste Frage ist nun aber, ob diese neue eingeschlagene Richtung auch tatsächlich richtungsweisend ist. Das hängt wohl von der Progressivität von Oberflächlichkeit und Durchschaubarkeit ab. Die Preisanwärter waren schnell ausfindig gemacht und über den Rest wurde ohne konsequente Wertung ein bisschen palawert.
Wer nicht gerade einen kompletten Zusammenbruch seiner Sinne erlebte, dem war klar, dass der Gewinner nur entweder Tilman Rammstedt, Patrick Findeis oder Markus Orths heißen kann. Diese wurden dann letztendlich neben Clemens J. Setz in einer zu einem Drittel der Zeit verkürzten Preisverleihung durchgewürgt. Die Raffung der Tage der deutschsprachigen Literatur beinhaltet eben auch die Raffung der Spannung. Auffallend ist dabei auch, dass die Kritik der Jury vor allem bei denjenigen Autoren gut ausgefallen ist, die sich bereits integriert haben im Literaturbetrieb. „Nichts, was ich nicht schon kenne.“ Aber wenn die Texte schon entscheidend sein müssen für die ästhetische Gesamtdiskussion des Jahres, dann wendet man sich in seiner ausgeprägten Risikofreude eben den Autoren zu, die ohnehin diskutiert werden. Wirklich hervorstechend waren aber nur zwei von den Preistexten: Tilman Rammstedts Der Kaiser von China und Kein schöner Land von Patrick Findeis.
Rammstedt, der in seinem Text die nervige Unsterblichkeit eines Großvaters und dadurch entstehende Tyrannei für den Enkel abhandelt, hat gezeigt, dass er sich an die großen Themen um Leben und Tod heranwagt. Es ist eine Geschichte, die von Anbeginn an durchgehend sowohl auf eine zutiefst lethargische als auch auf eine pointengejagte Lesart funktioniert, und Rammstedt hat seinen Text in der größten „wpm (words per minute) Rate“, wie Klaus Nüchtern anmerkte, gekonnt inszeniert, weswegen nicht nur der Ingeborg- Bachmann-Preis gerechtfertigt ist, sondern auch der Publikumspreis seine Verständlichkeit findet. Anders der Text von Findeis. Eher akzeptabel, denn überragend. Ein Bauerndrama, in dem sich in der idyllischen Stille moderne Themen um Drogentod und Homosexualität abspielen. In seiner unverwechselbaren Sprache und Rhythmik hat er auch das nötige Potential, den Rezipienten gefangen zu nehmen für diese Geschichte. Man kann die Entscheidung an dieser Stelle nachempfinden, muss es aber nicht. Seltsamerweise wurde diesem, im dritten Wahlgang des Hauptpreises schärfsten Konkurrenten von Rammstedt dann aber „nur“ der 3sat-Preis zuerkannt.
Außer diesen Texten waren nur ein sehr dichtes Mittelfeld und wirklich schlechte Texte ausfindig zu machen. Hierzu gehört für mich eindeutig Der Tod ist ein Postmann mit Hut von Martin von Arndt. Eine gescheiterte Liebesbeziehung mit anschließendem Selbstzerwürfnis und dem Gefangensein in dieser Kreisstruktur. Eine zu-oft-gehörte Begebenheit, die einfach nur abgedroschen ist. Und diese dadurch entstehende Belanglosigkeit wird sogar selber thematisiert, „weil aus mir nichts Eigenes, Eigentliche herauszubekommen sei.“ Vor allem fatal waren aber die Sägespäne auf dem Boden unter Annette Selgs Text, weil er solange gehobelt wurde, bis er spiegelglatt war. Diese konnten aber leider nicht verhindern, dass ich dabei nicht an meiner Müdigkeit ausrutschte. Wer sich in Klagenfurt literarisch mehr Unterhaltung wünscht, dem sei wirklich ans Herz gelegt, die Lesungen des Literaturkurses zu besuchen. Hier sind die Texte noch wesentlich vitaler und ehrlicher und man hat mehr Abwechslung, da sich die Schreibansätze deutlicher voneinander abgrenzen.
Gegenüber den vereinzelt grottigen Texten des Bachmann-Bewerbes war die Jury aber eindeutig zu wenig aggressiv. Zwar widerspricht eine schonungslose Kategorisierung und schwarzweiße Binarität der Literatur an sich, die mediale Darstellung und das Publikum lechzen aber danach. Folglich sollte man sich als Jury mit der zuerkannten Autorität vielleicht auch selber so begreifen: der Autor ist tot – auch im Hintergrund. Das ist der Sinn des „elektrischen Stuhls“ nach Hans-Werner Richter. Solange es konstruktiv bleibt. Deswegen ist Ijoma Mangolds Statement zu Pedro Lenz Inland, „ein nicht unsympathischer Text, aber ich fürchte auch ein völlig unbedeutender“, ein Fauxpas, weil Mangold seine Äußerung unbegründet ließ. Hier hat die Jury wohl sowieso einen Fehlwurf gelandet. Inland ist ebenso unterhaltsam wie tiefgründig. Ein Text, der mit mehreren Zeitebenen eines erinnernden Ichs über seine Zeit als Schweizer Grundschüler und Azubi arbeitet und den direkten Bezug zum Leser sucht und mit ihm spielt. Eine Erzählung mit vielen unangesprochenen akuten Problemen wie Missbrauch, Generationenkonflikt und Sozialkritik, gebrochen durch Ironie. Die performative Wirkung dieses selbstreflexiven Textes und auch Erzählers hat einen unheimlichen Sog. Dass Pedro Lenz nicht unter den Preisträgern ist, ist aber nur eine der Fehleinschätzung des Bewerbes.
Wahrscheinlich muss man auch Angelika Reitzers Super-8 von vornherein zu den Verlierern zählen. Nicht allerdings aufgrund fehlender Qualität des Textes, sondern weil er in seinem Artefakt nicht kompatibel ist mit dem Bachmann-Konzept und weil die Jury unfähig scheint, solche Texte zu besprechen. Lässt sich doch diese Geschichte um eine spannungsreiche Affäre einer neureichen, verheirateten Mutter mit einem Drogenabhängigen am besten durch Werkimmanenz erschließen. Würde man genau lesen, bliebe auch nicht mehr so viel vage und die Kritik würde nicht in einem kollektiven „ich kann mit diesem Text nichts anfangen“ enden. Vielmehr hat Angelika Reitzer einen spannend komplexen Text vorgelegt, bei dem jeder Absatz eine eigene geschlossene Szene darstellt, die durch die angedeutete Atektonik beliebig komniniert werden kann. Einem Kunstcharakter fühlt sich die Bestseller geschulte Jury aber anscheinend nicht gewachsen. Und lieber Herr Mangold, wenn nicht hier ein „ästhetischer Mehrwert“ vorhanden ist – wo dann? Aber an diesem Text zeigt sich wohl am stärksten die Diskrepanz zwischen Eventkultur und Literaturkultur.
Nicht nur hier muss man dem Juror André Vladimir Heiz seinen Respekt zollen, weil er Rückrat für die von ihm vorgeschlagene Autorin bewies und mit allen rhetorischen Mitteln die Jury davon zu überzeugen versuchte, es sei der beste Text der letzten zehn Jahre, sondern auch für seine Gesamtleistung. Er und ansatzweise Klaus Nüchtern ließen sich nicht von der Studiokulisse anstecken und planschten nicht im großen See der Unentschlossenheit. Allen voran schlingerte Alain Claude Sulzer, dem es in seinen Inhaltsangaben nur um Nachvollziehbarkeit ging und der händeringend nach Interpretationen suchte, falls er nicht gerade die bisherige Diskussion schlicht zusammenfassen konnte. Wenn ihm dann wirklich gar nichts mehr einfiel, monierte er, dass man ein Wort wie „Gummibaum“ in der modernen Literatur gar nicht mehr verwenden dürfe. Seltsamerweise kommt aber in Martin von Arndts Text, den Sulzer vorschlug, ein genau solcher Gummibaum dreimal vor. Aber in Lenzens Text konnte er sein Wissen wirklich anwenden. Ist er doch selber in der Schweiz zur Schule gegangen. Deswegen weiß er auch, dass auf keiner einzigen Schule der Schweiz Madame Bovary gelesen wird.
Unser Autor W. F. Schmid anstelle von Ursula März
Diese fundierte Kritik zog sich allerdings durch die ganze Jury. Ursula März erzählte ausgiebig von ihrer Zimmermädchen-Tätigkeit für die Mannschaft von Ajax Amsterdam, Ijoma Mangold entdeckte ein Phallus-Symbol in einem Feuerwehrschlauch, der gar nicht im Text von Sudabeh Mohafez vorkommt, und dass Erzähltexte nun einmal immer fiktiv sind, egal in welchem Grade, wird von der Jury schon gar nicht akzeptiert. Alles wird erst einmal auf seine reale Stimmigkeit hin überprüft, und der Schatten von Burkhard Spinnen hängt sich daran auf, dass Brandopfer nicht ins Obdachlosenheim, sondern in ein Hotel kommen, selbst wenn das noch so notwendig ist für den Text von Mohafez.
Auch wenn sich die Jury lobenswerterweise endlich einmal dazu entschloss, weniger metadiskursive Texte auszuzeichnen, ist das kein Grund seinen eigenen Diskurs komplett abflachen zu lassen. Zugegeben: Das Weltwissen der Jury und die herbeizitierten Texte, mitunter in fließendem Französisch, machen Eindruck. Was allerdings fehlt, ist anscheinend das Bewusstsein für Narrationstechniken. Mit Erzähltheorien und den Wirkungen der verschiedenen Kategorien wird gar nicht gearbeitet. Kann man aber wohl auch nicht bei so einer Textkenntnis. Wie würde diese Jury wohl bei einer Spontankritik ausschauen, wenn man ihnen die Texte nicht vorher präsentieren würde, so wie es ursprünglich einmal war? Aufgrund dieser Vorstellung sollte man die TDDL wieder auf drei Tage ausbauen und den ersten Tag dazu nutzen die Jury in einem Big-Brother-Container bei der Textlektüre und Textexegese zu beobachten. Diese Unterhaltung bringt sicherlich mehr Einschaltquoten. – Es kommen härtere Tage
An dieser Stelle herzlichen Dank für die Tage in Klagenfurt an Prof. Dr. Friedhelm Marx, Prof. Dr. Andrea Bartl und Dr. Christof Hamann.
Walter Fabian Schmid 02.07.2008
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