Vom Asphaltflimmern des Augenblicks
Über den Prager Dichter Petr Halmay
Halmay im Tschechischen Kulturzentrum Dresden
Petr Halmay
„Es war nur ein
Augenblick.
Nur ein Aufschimmern uns beider in der Zeit.
Wir waren
fortwährend Bewohner des Mythos;
hatten allerdings keine Ahnung davon ...“
Petr Halmay
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In dem Gedicht läuft ein Hund „durch sonnenheißen Staub“. Es muß also Sommer sein. Zwei Zeilen weiter ist von fernher Lallen, Gesang zu hören; und noch einige Zeilen weiter die Frage: „Waren das unsere Stimmen? / Oder vielleicht die Stimme meines Sohnes, / hin- und hergerissen in der Nachmittagsglut?“ In der vorletzten Strophe dann leuchtet die Erinnerung an den Vater auf: „Wir sitzen mitunter gemeinsam auf der Schwelle“.
Welche Schwelle, fragt der Leser sich unvermittelt. Es kann der Treppenabsatz eines Hauseingangs gemeint sein oder die Schwelle der drei Generationen, von denen dieses Gedicht erzählt: die mittlere des Autors, die frühere dessen Sohnes oder die ältere des Vaters des Autors, mit dem zusammen er dort sitzt und gemächlich einen Blumentrog oder einen „Riss im Beton“ betrachtet.
Nicht viel geschieht in den Gedichten des tschechischen Lyrikers Petr Halmay. Warum hat man dann als Leser trotzdem das Gefühl, es könnte in jedem Moment um alles gehen, sich alles verändern? Das hat mit Halmays Poetik zu tun und ein wenig auch mit den Themen und Sujets seiner Gedichte.
Es ist immer das Leben auf der Kippe, das Petr Halmay in seinem ersten, schon 2005 im Original erschienenen und jetzt auf Deutsch vorliegenden Band „Schlusslichter“ (Übersetzung von Christa Rothmeier) heraufbeschwört. Das Leben eines Mittvierzigers, der Bilanz zieht und den wir uns als alter ego des Autors vorstellen dürfen. Der mit großer Beobachtungsgenauigkeit die Welt hölzerner Bootshäuser, trister Wohnanlagen und wenig frequentierter Möbeldepots auf sich wirken läßt, um ihnen die Epiphanien seines Alltags abzugewinnen. Halmay verzichtet auf den hohen Ton, die große Geste. Er läßt die Dinge schwingen, sie zittern im Licht des Juli oder im Licht einer kalten Dezembersonne: „Konkrete Wörter, konkrete Umstände. / Konkrete Bilder tief unter uns – / konkreter anzusehen als was immer ringsum // Leicht wie eine menschliche Stimme, / sinkt langsam das Licht in die Straße...“
Als ich Petr Halmays Gedicht „Waren das unsere Stimmen?“ zum ersten Mal las, war ich beeindruckt von der Art, wie er in wenigen Zeilen drei Generationen miteinander verknüpfte, ohne dem Gedicht damit zu viel aufzubürden. Halmay verbietet sich bedeutungsschwere Anspielungen, nur den Riss im Beton, die Schwelle erwähnt er. Der Leser ist gefordert, sich vorzustellen, wie gut oder schlecht die drei, Vater, Sohn, Enkel miteinander können. Oder eben auch nicht.
Petr Halamys Poesie ist eine Poesie in der Schwebe. Das ist als großes Kompliment gemeint. Die Dinge „ringsum“ erfahren keine Wertung, sondern sind einfach da. Doch gibt es Verbindungen zur Innenwelt, „konkrete Bilder tief unter uns“, die leicht sein können „wie eine menschliche Stimme“ oder schwer wie Regen, der auf Wiesen um eine Wohnanlage fällt: „Der Tag flimmert wie eine Zigarette / auf nassem Asphalt. // Wie ein Schrei / steigt dieser Augenblick auf...“
Ein Schrei, das ist fast schon ein wenig zu laut für diese Art von Gedichten, die so hingebungsvoll den kostbaren Augenblick vergegenwärtigen können, das man gar nicht aufhören möchte, in ihnen zu lesen: „Es war nur ein
Augenblick. / Nur ein Aufschimmern uns beider in der Zeit. / Wir waren
fortwährend Bewohner des Mythos; / hatten allerdings keine Ahnung davon...“
Viele Gedichte Petr Halmays, und das mag ja zur Lebensbilanz eines Mittvierzigers passen, handeln von der Zeit, vom schnelleren Vergehen derselben.
Das Talent dieses tschechischen Dichters, der in seiner Heimat bereits vier Gedichtbände veröffentlicht hat, kommt nicht von irgendwo. Sein Vater, Karel Šiktanc, war ein Protagonist des Prager Frühlings. So dürfte Halmay in einem Umfeld aufgewachsen sein, in dem die Meinungs- und Veröffentlichungsfreiheit als ein Grundrecht angesehen und in dem viel über Politik und Literatur debattiert wurde.
Man darf darüber spekulieren, ob er, der im Jahre 2007 für die Fähigkeit, mit seinen Gedichten „an die beste Tradition und den Geist der mährischen Poesie anzuknüpfen“, den renommierten Jan-Skácel-Preis erhielt, dem Nestor der mährischen Poesie auch selbst einmal begegnet ist. Gemunkelt wird, es habe einmal ein Treffen in einem hölzernen Bootshaus am See gegeben, im Verlaufe dessen Skácel viel geraucht und wenig gesprochen habe. Man wird ihn fragen können, man wird seine Gedichte, von ihm selbst gelesen, hören können. Denn am 8. Oktober um 20 Uhr ist Petr Halmay im Tschechischen Zentrum zu Gast in der Reihe „Literarische Alphabete“ des Literaturforum Dresden.
Am 8. Oktober 2009 kommt Petr Halmay als Gast der Reihe „Literarische Alphabete“ des Literaturforum Dresden ins Tschechische Zentrum und stellt im Gespräch mit Patrick Beck seinen Lyrikband „Schlusslichter“ vor.
Zuerst erschinen in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 6.10.2009
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Volker Sielaff
Prosa
Interview
Kommentar
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