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Literatur in Cafés und Kneipen

Helheim – Leipzig Plagwitz
  Reportage von Johanna Hemkentokrax | 3. Teil

Johanna Hemkentokrax besuchte für die aktuelle Ausgabe des Magazins poet (nr. 11) vier literarischen Kneipen und Cafés und hielt ihre Eindrücke in einer Reportage fest. Die Illustrationen besorgte Miriam Zedelius.

  Teil 1 – Kaffee Burger
Teil 2 – Rumbalotte continua
Teil 3 – Helheim Plagwitz
Teil 4 – Literaturweinstube Apolda
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Dämmerlicht, Zigaretten­rauch, Alkohol: Plätze, an denen Menschen sich zum Trinken treffen, bereiten seit jeher die besten Böden für Literatur. Bars, Absteigen und Spelunken. Orte, nicht explizit der Kultur verschrieben – aber sie kann hier entstehen. Orte zwischen Tag und Nacht; wer sie betritt, bringt seine eigene Geschichte meist schon mit; Himmel und Hölle liegen wohl nirgendwo auf dieser Welt so dicht bei­ein­ander wie am Tresen der Stamm­kneipe. Es gibt auch Kneipen, die sich explizit der Literatur ver­schrie­ben haben. Die litera­rische Kneipe kann ein Ort für Lesungen sein, an dem man sich aus­tauscht oder sogar schreibt. Eins ist sicher: Die Kneipe ist ein Schutz­raum. Und sie ist einer der litera­rischsten Orte dieser Welt. Johanna Hemkento­krax hat sich auf eine lite­rarische Kneipentour begeben und viel Spaß gehabt.


»Helheim, so heißt eine sehr gute Black-Metal-Band aus Norwegen«, hat Bert Papenfuß mir auf den Weg zur nächsten literarischen Kneipe mit­gegeben. Helheim ist tatsächlich eine Black-Metal-Band, aber auch der Name einer Metalkneipe, versteckt in einer Neben­straße im Leipziger Stadtteil Plagwitz. Wirt Markus hat die langen Haare erst vor ein paar Monate abge­schnit­ten, die Musik ist krass und laut (für ungeübte Ohren viel­leicht schmerz­haft), den Gästen gefällt’s – die meisten hören zu Hause auch nichts anderes. Dass an diesem Ort irgendeine Form von Literatur existieren kann, ist für Außen­stehende schwer zu glauben, jedoch Teil des Konzepts. Auch wenn die Einrichtung in ihrer ganzen impo­santen Rusti­kalität – holzvertäfelte Wände, Kachel­öfen und klobige Sofagarnituren – eher an eine typische Eckkneipe erinnert, fällt das Helheim eindeutig in die Kate­gorie Subkultur – und die ist ent­gegen aller Vorurteile literarisch interessiert.
  Markus Böhme schreibt selber. Als der 34jährige das Helheim im Oktober 2005 mit seiner Geschäftspartnerin Steffi gründete, war für beide klar, dass hier nicht nur Metal laufen soll, sondern eben auch Literatur. Erste Le­sungen wurden organisiert. »Nach einem halben Jahr kamen schon die ersten Leute, die selber lesen wollten«, sagt Markus. Seitdem gehört der lite­rari­sche Donners­tag zum Helheim wie das Mittwochs­futter, der Arma­geddon über Plagwitz, die wechselnden Bilder­aus­stel­lungen an den Wänden und das Aquarium neben der Bar, das besonders hässliche Exem­plare der Gattung Wasser­bewohner (zum Beispiel weiße Frösche) beher­bergt. Am Anfang standen viele Besucher dem Lite­ratur­programm in der Metal­kneipe eher skeptisch gegenüber. Doch das hat sich mittlerweile geändert. »Relativ schnell ist dann aber auch die offene Lesebühne dazu­gekommen«, sagt Markus. Die gibt es einmal im Monat und ist eine feste Instanz im lite­rarischen Programm. Die Kombi­nation aus Subkultur und Literatur ist aus Markus’ Sicht für das Helheim Fluch und Segen gleich­zeitig. Viele Leute in der Szene würden selber schreiben, wer allerdings das Helheim als reine Metalkneipe wahrnehme, dem würden die lite­rarischen Pro­gramme natürlich erstmal merkwürdig anmuten, denn zu den Lesungen kommt heute nicht nur das sub­kulturelle Publikum. »Ich find’s spannend, wenn da was auf­einander prallt«, sagt Markus, der früher als Sozial­pädagoge in der offenen Jugend­arbeit gearbeitet hat. Päda­gogisches Geschick ist gefragt, wenn man die Interessen so verschie­dener Gruppen unter einen Hut bekommen will. Am Anfang sei die Lesereihe vorwiegend von Leuten aus der Gruftiecke bestritten worden, erklärt Markus. Romantik- und Düster­ästhetikfans stehen den schönen Künsten eben aufge­schlossener gegenüber als der Trash-Metaller von nebenan. Markus freut sich darüber, dass mitt­lerweile auch Leute zu den Lesungen kommen, die mit Metal gar nichts am Hut haben. »Irgend­wann hat sich’s von ganz alleine geöffnet.« Gerade zur offenen Lese­bühne sind Publikum und Autoren bunt gemischt. »Ich lass mich da selber gern über­raschen«, sagt Markus. »Viele Leute nutzen das als Ein­stiegs­bühne.«
  In der Sozialpädgogik würde man die Helheimbühne wohl als niedrig­schwelliges Angebot bezeichnen: Keine Voranmeldung, keine Lese­zeiten, kurze Anmode­rationen, jeder der will, darf lesen. »So eine offene Bühne hat viele Reize«, sagt Markus. Einer dieser Reize sei zum Beispiel ein konstanter Austausch der jungen Autoren unter­einander, die oft nach den Veran­staltungen ins Gespräch kämen und über das Gelesene diskutierten. Über lange Sicht könne man Weiter­ent­wick­lungen beobachten, gerade bei den jungen Autoren, die zum ersten Mal ihre Texte in der Öffent­lich­keit präsen­tieren. Und dazu gehört auch der ein oder andere Misserfolg. »Vieles ist eben auch großer Unfug, wo man den Literatur­begriff schon sehr weit spannen muss.« Markus lacht. Manchmal seien aller­dings auch echte lite­rarische Augen­öffner dabei. Viele haben auf der Helheim­bühne ihre ersten Schritte in die Literaturszene gemacht. Social Beat, Düsterromantik, Lokal­poeten und sogar Lesungen aus Schüler­zeitungen hat es im Helheim schon gegeben. Die Hochkultur würde bei vielen Texten vermut­lich die Nase rümpfen, aber Clemens Meyer, Leipzigs wohl bekann­tester Schrift­steller jüngerer Generation, hat im Helheim eben auch schon gelesen.
  Mit der Zeit ist das Lesungs­programm vielfältig geworden. Volly Tanner, Lokal­matador in Sachen schräger Literatur, hat gerade eine neue Reihe im Helheim vorgestellt. Tanners Terrasse, eine Art Literatur­show mit wechselnden Gast­autoren. Die sei immer bis zum letzten Platz gefüllt, sagt Markus. »Ich finde, so eine Art von Literatur gehört auch in die Kneipe.« Die Kneipe sei der einfachste öffentliche Raum, wo Kultur stattfinden könne. »Vielleicht ein alter­tüm­liches Konzept.« Markus grinst und wird dann ernst. »Was man sich aus dem Kopf schlagen muss, ist, dass die Literatur­schiene eine kluge Geschäfts­idee ist.« Das könne man nur machen, wenn man wirklich Lust darauf habe. Meist fragen die Autoren selbst bei ihm an. Der organisatorische Aufwand ist zu groß, dafür dass der Durch­schnitts­besucher ein Bier während der Lesung trinkt und dann wieder verschwindet. Beim lite­rarischen Programm könne es auch nicht auf den Umsatz ankommen, sagt Markus. Er will keine Event­gastronomie, sondern einen Lebens­raum schaffen und Leute mit­einander ins Gespräch bringen. »Aber dafür sind wir hier eben auch in einem Stadtteil und nicht in irgendeiner Fuß­gänger­zone.«


 

Diese Reportage
und weitere Reportagen
zum Thema in poet nr. 11.





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Johanna Hemkentokrax    17.01.2012     

 

 
Johanna Hemkentokrax
Prosa
Reportage