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Michael Buselmeier stellt ein Gedicht von Michael Speier vor
MICHAEL SPEIER
joggen im vondelpark

feinmalerei: januarmorgen mit sprühregen
aquarien die schuhe, licht-brüche, radlerinnen
blühen (sehn so vermeer-mädchen aus?), ein gelb
dem 17. jahrhundert geschuldet, spezieller grünton der die
hautpartien bestimmt, und das aus lapislazuli gewonnene
teure ultramarin, sein luxurierender gebrauch, da war noch
der einigermaßen unbeholfne schal, ihr auftritt
auf meiner persönlichen altmeister-auktion blieb
unzugeschlagen, durchsichtig die völlig entlaubten bäume

Michael Buselmeier
Grachtenglimmer

Sehr wahrscheinlich habe ich Michael Speier im Herbst 1976 an der Universität Heidelberg kennengelernt. Ich leitete damals einen Arbeitskreis linker Germanisten, der sich mit der neuesten Alltagslyrik beschäftigte, während er gerade dabei war, eine Zeitschrift für Gedichte zu gründen, deren erste Nummer im Dezember 1976 erschien. Er taufte sie Park, ein Titel, der nicht nur mir in diesen streng politischen Jahren irritierend zeitfern vorkam, zumal er auf einen Vers des uns ebenso obskuren Stefan George anspielte: „Komm in den totgesagten Park …“

Doch Speier druckte in den ersten Ausgaben nicht nur Gedichte von Autoren, die George geistig nahe stehen mochten, sondern auch den kruden Alltag feiernde Verse von Jürgen Theobaldy, Bodo Morshäuser und mir. Bald kamen Texte von Rose Ausländer, Walter Helmut Fritz und Christoph Meckel hinzu sowie neue Gedichte aus dem Ausland in guten Übertragungen, später auch Essays und Rezensionen. So wurde die Zeitschrift Park, die Michael Speier bis heute herausgibt, zu einem ermutigenden Beispiel für den Über­lebens­willen der Lyrik in poesieferner Zeit.

Als Literaturwissenschaftler hat Speier sich vorrangig um Paul Celans Werk bemüht, was man seinen eigenen Gedichten ebenso wenig anmerkt wie den frühen George-Bezug. Stattdessen scheint der Lyriker bestrebt, diver­gierende Sprachtöne, Farben und Gesten, die ihm begegnen, spontan in den eigenen Kosmos einzubeziehen, aus welchen Traditionen sie auch immer stammen mögen. So entstehen komplexe, assoziativ gesteuerte Textgebilde aus flüchtigen Eindrücken, künstliche Welten, nicht im streng geformten Sinn Georges, vielmehr wird Literarisches, Musikalisches, auch Triviales locker einzitiert (Fremdsprachen, Modewörter, Wortspiele, Gemälde wie Comics), oft sprunghaft und ohne auf herkömmliche Verständlichkeit zu achten. Speiers Lyrik hat etwas Schwebendes, Elegantes, sie lebt von Andeutungen und Ahnungen. Während der Dichter ständig in der weiten Welt unterwegs ist und Raum und Zeit sich aufzulösen scheinen, flimmern dem Leser die artifiziellen Zeichen vor den Augen.

Ein von Speier häufig besuchter und bedichteter Ort ist das Szenenparadies Amsterdam mit seinem „grachtenglimmer“, eine enge, unruhig bewegte Stadtlandschaft voller Geschichte(n), in der vieles simultan geschieht und die Farbtöne impressionistisch changieren. Das vorgestellte Gedicht ist im Unterschied zu anderen Texten Speiers knapp gefasst und so kaum mit willkürlichen Assoziationen befrachtet. Auch die Szene selbst stellt sich einfach und leicht nachvollziehbar dar: Ein hellgrauer nasser Januarmorgen im zentral gelegenen Vondelpark; die Bäume sind kahl und lassen „licht-brüche“ zu. Die Farben zum Winterbild liefern indes die „radlerinnen“, die wie höhere Wesen am joggenden Beobachter vorübergleiten. Sie „blühen“ auf unterm hellen Licht der Poesie, in Jan Vermeers altmeisterliche Farben gekleidet, eine Art „feinmalerei“ aus Gelb, Grün und Ultramarin und ein Plädoyer für die Schönheit des Augenblicks.
 
Michael Speier wurde 1950 in Renchen/Baden geboren. Er lebt als freier Schrift­steller, Über­setzer und Literatur­wissen­schaftler in Berlin. Er ist Gründer und Herausgeber von Park. Zeitschrift für neue Literatur. Das vor­gestellte Gedicht stammt aus dem Band welt / raum / reisen, Aphaia Verlag Berlin, 2007. Vorwort von Ulrike Draesner.

Michael Speier im Poetenladen

Michael Buselmeier     10.12.2008   
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