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Nicht zu wissen, wie es weitergeht -
Langes Gedicht mit flachen Passagen

Jetzt, Samstag, etwa 14 Uhr,
sitze ich lesend im Gasthof Engel,
Reichsstraße 10, 86604 Donauwörth.
Um 18 Uhr spielen Deutschland
und Lettland. Das will ich mir ansehen
inmitten der Leute heut abend.

Doch vorerst ein altes Heft „Akzente”,
erschien vor 30 Jahren, darin
meint Walter Höllerer:
Wer ein langes Gedicht schreibt,
muss nicht jedes Wort
mit Bedeutung besonders beladen.
„Flache und hohe Passagen”
spielen zusammen
„wie Katz und Hund”.

Ein Blick zu dem Tisch in der Ecke:
Ein altes Paar. Der Mann
kurzatmig und fröhlich,
er hat, sagt er laut,
die Lisbeth,
da ist er froh.

Der grüne Tee vor mir,
aromatisiert, großblättrige
Sencha und Blüten,
er nennt sich „Morgentau”.
So war in der Karte zu lesen.
Ich habe mir
dieses Beispiel
für Lyrik in Prosa bestellt.

Solo sitz ich, leicht melancholisch,
probiere Verse, treibe den Ball
des Schreibers über die Zeilen,
ich hoffe ein wenig,
es helfe, das lyrische Spiel
ohne Fließtext.

Nicht zu wissen, wie es weitergeht,
ist kein Vorrecht des lyrischen Ichs.
Immerhin aber findest Du selten
ein lyrisches Wir oder Ihr. So setz´
ich mit Zutraun das „Ich”, die Worte,
die Zeilen, die Sätze, den Text.

Und stelle mir vor, beim Lesen,
im Einlass der Verse beugt mancher
den Kopf, nicht demütig, natürlich nicht.
Aber sorgsam, freundlich,
tastet er aus,
was die Zeile so füllt.

Und dort, wo sie anhält, die Zeile,
leuchtet vielleicht eine Spur,
vielleicht grade dort,
wo nichts mehr
weiterzugehen
scheint.

Und schau nur - im Verse -
gleitet des Schreibers Ball durch sein Feld,
hebt ab, er fliegt durch die Luft
wie ein Vogel - über die Spitzen des Waldes.

Und schau nur, das unten bin ich, der alte
Fuchs, im Unterholz schnürend.
Der Boden ist mir ein Buch,
ich lese die Fährte des Hasen.
Ich spüre im Rücken
den Blick des jagenden Dachses.
Kampfeslustig sträubt sich mein Fell,
es zuckt in den Krallen,
und in mir fluten die Bilder
von alten Wunden, von ernstem Spiel.
Das gezauste Fell,
das vernarbte,
es spannt.

Und mit weit zurückgebogenem Halse,
so dass die Bilder im Kopfe fast kippen,
richte ich meine Schnauze zum Himmel.
Dort oben Selene,
die sanfte,
die wilde Göttin,
sie lächelt,
ihr Lächeln
streichelt mein Fell.



Willi Wamser
Lyrik
Prosa