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Das Orange ist anders jetzt.
Nachruf auf einen Dichter

Ron Winkler
Nachruf auf Thien Tran

Und draußen: die Nacht. Ich und die Nacht, könnte ich sagen. Oder die Nacht bei mir zu Besuch. Und Orange als die Farbe dieser Nacht.
Ein warmes, weiches Orange, das den Raum erfüllte. Ein orangefarbener Raum, sage ich jetzt. Oder die orangefarbene Nacht. Die orangefarbene Nacht, und ich mittendrin. Ich, inmitten der Farbe Orange, die mich aufatmen ließ. Und sie ließ mich genau so aufatmen, wie man nach einer langen Reise aufatmet. Oder nach einer langen Busfahrt. Denn die Vergangenheit ist vergangen, und dem Moment steht nichts mehr im Wege. Von Momenten umgeben, könnte ich sagen. Momente oder Augenblicke pur. Oder von Gegenwart umgeben. Ich könnte sagen: die Momente der Gegenwart so, wie sie sind. Meistens farblos. Aber für diesen Moment, und für diesen Augenblick, waren sie orange. Orange, also nur in diesem Zeitraum, für diese Zeitspanne. Während ich am Schlafzimmerfenster saß, eine Zigarette rauchte, und auf die Straße hinunter blickte: alles orange. Oder fast alles.
Thien Tran, aus dem Prolog von fieldings. Verlagshaus J. Frank, Berlin 2009

  Thien Tran
Gedichte
Verlagshaus J. Frank 2009

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Thien Tran im poetenladen  externer Link



Am 16. Dezember, lautete kurz vor Weihnachten die bittere Botschaft an seine Freunde und Bekannten, ist Thien Tran verstorben. Thien Tran. Einer von denen, die es vorziehen, mit dem Kopf durch Gebirge zu gehen, und all das damit verbundene Straucheln in sanfter bis distanzierter Distan­ziertheit an sich selbst zu notieren. Ein Dichter, dem es gegeben war, tief ins Wirrnis-Herz der Poesie vorzu­dringen und heiß-kalte Hypothesen darüber zu äußern, wie es um uns und unsere Gegenwart bestellt ist. In zart­fühlender Hybris und schneidender Emphase. Mit großer Lust daran, laboratorisch zu singen und wenigstens sequenzweise daran zu laborieren.
  Man kann jetzt vieles zum Indiz nehmen: den melancholischen Druck im Kontrast zu einem schwierigen Irgendwie, die Häufung von Wörtern wie brüchig, verletzlich, unpersönlich, lahmgelegt, übertönt, in die Enge getrieben. Gerecht wird man ihm damit nicht werden. Und nicht einer Lyrik, die sich an einem als Limbus erfahrenen Jetzt rieb. Wie schrieb er doch zuletzt? „eine langanhaltende, tiefgreifende und nicht / zu unter­schätzende Normalität macht sich breit“. Dort war er, wirkte er, war zu kommentieren bereit. Die Normalität, ihr unaus­rottbares (und damit produktives) Myzel. Das Endloskino mit seiner Unterversorgung an Perspektiven, an Erfüllung. Die Gedichte, die dieses harte Popcorn kauten und wiederkäuten, Inklusionen. Was bei Thien oft hieß: gepfercht ins Korsett eines maschinell organisierten, von Automation und Auto­maskierung ausgezehrten Seins. Das Ich musste mühsam freigekratzt werden, aus diesem Leben und diesem Wir, was nicht immer gelang. Daher auch die nüchterne Beteiligt­heit-durch-Unbetei­ligtheit-Stimmung in vielen der Texte. Wiewohl er sie sich wünschte, mehr Harmonie, führte sein Weg durch irritante Volten, isolationistische Sätze, Aussagen, die sich selbst thematisieren. So schrieb er Gedichte, die vom Unge­sagten genauso weit entfernt sind wie vom Unsagbaren. Als Strategie. Und die dort am besten scheinen, wo er das Profane ins Irreale schwingen ließ und nicht bloß dessen pathogene Energien ausstellte, „als ob Raum und Zeit nun für immer / verloren sind, ununterschieden, aufgelöst // trinkbar, wie ein grüner Tee.“ Was er noch wusste und hätte wissen können von Raum und Zeit und Tee, bleibt verborgen. Uns, nun. Ob wir Freunde waren: mir. Er sprach einmal von einem Kontaktgefüge. Gespeist wahrscheinlich von einem fraktalen Strom. Das Gefüge wandelte sich. Briefe und Begegnungen: mal Euphorien, Zauber­gespinste, Kollegen-Bettgeflüster, dann wieder brüchig, verletzlich, lahmgelegt.
  Es zog ihn eher ins Einzelne (halb sank er dorthin.) Er konnte nicht anders, konnte nicht Masse. Er hatte wohl eher eine Katalysator­persönlichkeit als ein promiskes Ego. Ritter Eisenherz, wie er sich in einem seiner Briefe nannte.
  Bei all dem schien eines immer wieder durch: Er wollte mitreißen und mitgerissen werden – von Außerge­wöhnlichem, vom Neuen, von den schönen Seiten des Diskursiven. Mitgerissen werden vom Mitreißen an sich. Der Energie, die sich an jenem Horizont bildet, wo das Individuelle in etwas Kollektives übergeht. Einer möglichst poetischen Energie, vor allem aber einer frappierenden Energie.
  Die Träume, die er hatte, waren Teilträume jenes einen großen Traums, der für jeden anders ist und dem sich jeder anders nähert. Dass wir daran nicht mehr teilhaben können, dass wir an dem so fragilen Menschen und begabten Dichter Thien Tran nicht mehr teilhaben können, trifft mich, bestürzt mich schwer. Vergessen wir nicht ihn noch seine Gedichte. Nicht nur, weil sie uns erlauben, bei ihm zu sein.

Gefühlte Minute für Thien Tran | Mara Genschel / Martin Schüttler  externer Link

Ron Winkler    04.01.2011   

 

 
Ron Winkler
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