Kirsten Fuchs wurde 1977 in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geboren und wuchs in Berlin auf. Sie war Mitglied verschiedener Lesebühnen (Marabühne, Multimediabühne, Berliner Lesebühne) und Kolumnistin für die taz. 2003 gewann sie den Open Mike. Ihr Romandebüt Die Titanic und Herr Berg erschien 2005 bei Rowohlt Berlin.
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Rebecca Salentin: Danke, dass Du das Interview mit dem Poetenladen machst.
Kirsten Fuchs: Keine Ursache.
Salentin: Was an Deinem Roman
Die Titanic und Herr Berg auffällt, ist der gekonnte Wortwitz. Ist es Deine Art zu denken, die sich da widerspiegelt, oder war es das Hineindenken in die beiden Erzählfiguren, in ihren Charakter, das diesen O-Ton gebracht hat?
Fuchs: Dieses Herumassoziieren ist schon eher meine Art zu denken, das zynische von Herrn Berg dann eher nicht und das überromatische und verpeilte von Tanja auch nicht. Das haben die Figuren mit sich gebracht, aber es war schön, sich in diesen Tonfällen auszutoben.
Salentin: Dieser Wortwitz ist auch das, was die Kritiker als positiv empfinden, während der Aufbau des Romans ab der Mitte des Buches als etwas schwach gesehen wird. Hattest Du Schwierigkeiten, den Erzählfaden über diese lange Spanne zu halten?
Fuchs: Tja, es ist die Frage, ob das Buch einen Erzählfaden hat. Das Buch deckt ja nur nach und nach Abgründe auf und stellt damit beide Figuren dar, genau in der Zeitspanne, in der sie miteinander zu tun haben. Ich brauchte diese Zeit, um die Figuren vorzustellen, weil sie sich nicht schneller kennenlernen ließen. Wenn sich jemand für diese Figuren weniger interessiert, als ich es getan habe, dann kann das natürlich nerven, zumal der klassische Erzählfaden eben fehlt. Ich habe das beim Schreiben immer nur in Abschnitten gesehen, in Einzelszenen und darum gar nicht so die „lange Spanne“ bemerkt. Mich haben die beiden jedenfalls bis zum Schluß gefesselt.
Salentin: War es schwieriger, die zweite Hälfte des Romans zu schreiben?
Fuchs: Nur insofern, als dass ich dazwischen den Open Mike gewonnen hatte und dem unfertigen Buch damit eine Veröffentlichung versprochen wurde, die es am Anfang nicht gab. Ich habe tatsächlich auf der Hälfte eine Pause eingelegt, weil ich mich erstmal davon frei machen mußte, dass an meinem Text, der ja immer nur meiner war, auf einmal ein Interesse von außen bestand. Das fand ich belastend. Ich denke, wesentlich anders wäre das Buch aber auch nicht geworden, wenn ich bis zum Schluß alleine rumgewerkelt hätte und dann erst eine Veröffentlichung in Aussicht gestanden hätte. Es ist ja eher so, dass ich von professioneller beratender Seite um ein gefälligeres Ende gebeten wurde und das blöd fand, weil es ruhig auch anstrengende Bücher geben kann.
Salentin: Schreibst Du chronologisch oder stellst du einzeln herausgearbeitete Szenen zusammen?
Fuchs: Die
Titanic habe ich einigermaßen chronologisch geschrieben, aber es gibt darin auch Szenen, die ich als Skizzen/Beobachtungen schon vorher hatte. Außerdem gibt es natürlich immer irre viele Notizen, die einfließen, also Material, das viel älter ist als der Stoff, in den es dann endlich mal reinpasst.
Salentin: Mir selbst ist aufgefallen, dass am Ende ein leichtes Rätselraten entsteht. Für mich war der Bruch, der Umschwung in der Geschichte zu unerwartet, als dass ich ihm wirklich folgen konnte. Als Autor kennt man seine Protagonisten, ihre Gedanken und ihre Geschichte genau, der Leser wird ohne das Hintergrundwissen, das der Autor im Kopf hat, an die Geschichte geführt. Findest Du, dass es Aufgabe des Lektorates ist, auf Unstimmigkeiten und Unklarheiten hinzuweisen?
Fuchs: Na klar ist das Aufgabe des Lektorats, aber da sind auch nur Menschen, die Geschichten und Menschen in Geschichten subjektiv empfinden. Ich wurde von vielen beraten und habe deshalb zu Tanja und Herrn Berg und der gemeinsamen Geschichte so viele Meinungen gehört, dass es eigentlich gar keine gibt. Darum mußte ich dann doch alleine entscheiden. Es hat auch viel mit einem selbst zu tun, wie man eine Geschichte aufnimmt, ob man ähnliche Erfahrungen gemacht hat, was für Abneigungen, Zuneigungen, Menschenkenntnis, Verklemmungen und Humor man hat. Was für Bücher einige gelesen haben, die mir dann darüber erzählt haben, da habe ich gestaunt, dass das mein Buch sein soll. Gerade gestern sagte mir der Bruder einer Freundin, dass die zweite Hälfte des Buches für die erste entschädigt. So unterschiedlich kann man das sehen. Also Unstimmigkeiten, tja, ausgedachte Menschen müssen ja nicht komplett logisch und hundertprozentig nachvollziehbar sein, weil reale Menschen es auch nicht sind.
Salentin: Du hast an mehreren Literaturwerkstätten teilgenommen. Für wie wichtig hältst Du es, das Handwerk des Schreibens in solchen Werkstätten oder Schreibschulen zu lernen?
Fuchs: Eigentlich ist es immer dieselbe Werkstatt, an der ich teilnehme, so dass ich auch nur mit der Erfahrungen habe. Dort wird viel geredet, gespielt und angeregt. Das ist nicht Literaturbetrieb oder so was, das ist viel Freude. Ich habe das Handwerk auch nur so nebenbei gelernt und das wichtigste war, zu sehen, dass man alles machen darf, was man will, dass es irre viele Möglichkeiten gibt, mit Sprache und Geschichten umzugehen. Es ist also insofern kein Handwerk, als dass es nicht eine Art gibt, wie etwas stabil wird oder hält oder funktioniert.
Salentin: Was sagst Du zu dem oft gehörten Vorwurf, es entstände dort ein literarischer Einheitsbrei?
Fuchs: Das passiert meiner Meinung nach nur, wenn man „Autoren“ ausbildet, obwohl Autoren welche sind oder nicht. Ich glaube auch, dass es den Stil behindert und verfälscht, wenn der Literaturbetrieb zu früh seine Finger im Spiel hat, weil es ja doch darum geht, zu verkaufen, ein aktuelles Thema abzudecken oder den Leser zu befriedigen. Ein Autor sollte auch viel herumprobieren dürfen, ohne dass er weiß, wie man es richtig macht, denn wenn er es richtig macht, so wie alle es richtig machen, dann entsteht zu wenig Seltsames, Eigenes, Sperriges und Neues. Aber da muß man schon unterscheiden zwischen den Workshops und den Gruppen, die sich treffen, und den Literaturschulen, die das alles ernsthafter angehen.
Salentin: Außerdem bist Du Mitglied bei mehreren Lesebühnen. Wie wichtig sind Lesungen für Autoren?
Fuchs: Ich weiß doch nicht, wie wichtig das für andere ist… Ich mache es gerne. Und natürlich ist es gut, zu merken, ob einem zugehört wird, ob einem auch zugehört wird, wenn man es ohne Humor versucht, ob man verstanden wird…
Salentin: Denkst Du, dass der Text an sich überzeugen muss, oder dass der Autor durch seine Art des Vortrages den größeren Zugriff auf das Publikum hat?
Fuchs: Es ist für das Publikum einfacher zuzuhören, wenn der Autor gut zu verstehen ist und vielleicht auch noch charmant oder interessant liest, aber da ein Autor kein Sprecher oder Schauspieler ist, muß er das eigentlich gar nicht. Ich habe schon sehr schöne Texte gehört, die eher schlecht vorgelesen wurden, aber es war trotzdem schön, den Autor zu sehen, und ich habe schon sehr schlechte Texte gehört, die sehr gut vorgelesen wurden, und das hat dann auch nichts mehr gerissen. Der Text ist definitiv wichtiger. Ich jedenfalls interessiere mich dafür, was man mir erzählt und wie. Ob jemand eine leise Fistelstimme hat oder nicht, ist egal. Dann muß ich mich mehr konzentrieren als Zuhörer.
Salentin: In einigen Rezensionen hieß es, dass Du Deinen persönlichen Stil, der auf den Wort- und Satzspielereien basiert, auf eben diesen Lesebühnen gefunden hast. Stimmst Du dem zu?
Fuchs: Ach, das hatte ich schon vorher. Darum habe ich ja prima auf die Lesebühnen gepasst. Es ist natürlich stärker geworden durch die Lesebühnen mit ihrem vor Publikum immer wieder erprobten Unterhaltungsstil, was ich nicht abfällig meine. Ich finde es ohnehin absurd, den Lesebühnenautoren vorzuwerfen, sie würden nur Unterhaltung machen, denn Unterhaltung ist doch ne schöne Sache und eigentlich ein liebevoller Umgang mit Mitmenschen. Was soll man denen immerzu traurige Geschichten erzählen? Jedenfalls ist die Lesebühnenszene in keiner Krise und Lyrikabende verlaufen manchmal eher traurig, ratlos und beklemmend. Das war jetzt gar nicht die Frage, aber es ist mir gerade aufgefallen.
Salentin: Was denkst Du, wie man als noch unbekannter Schriftsteller den Fuß in die Tür des Literaturbetriebs bekommt?
Fuchs: Viel Schreiben und nicht immerzu daran denken, wie man den Fuß in die Tür des Literaturbetriebs bekommt. Wenn es dann soweit ist, hat man schön viel Material und kann sich voller Berechtigung Autor nennen.
Salentin: Hat dir der
Open-Mike, den Du 2003 gewonnen hast, weitergeholfen?
Fuchs: Ganz ungemein! Das war doch der Urknall überhaupt. Ich wäre auch mit den Lesebühnen weitergekommen und habe ja zu der Zeit schon für die taz geschrieben, das wäre auch so irgendwie gegangen, aber der
Open Mike war der direkteste Weg.
Salentin: Du hast wie viele Autoren eine eigene
Homepage. Wie wichtig ist das Netz für die Literatur?
Fuchs: Für mich ist es wichtig, weil so Veranstalter am unkompliziertesten Kontakt zu mir aufnehmen können und Freunde immer mal kucken können, wo ich herumlese, um dann mal vorbeizuschauen. Das sind die Vorteile, die ich für mich sehe. Wie wichtig das Netz für die Literatur ist, weiß ich überhaupt nicht. So wichtig wie eine Zeitung, das Radio und ein kleines Steak.
Salentin: Woran arbeitest Du gerade, was ist Dein nächstes Projekt?
Fuchs: Ich schreibe weiter Lesebühnengeschichten, habe die Kolumnen überarbeitet, weil die gesammelt als Buch rauskommen, schreibe an einer Kindergeschichte, werde wohl ein Hörbuch mit der
Titanic mache und schreibe Kurzgeschichten, wenn ich gerade nicht am nächsten Roman arbeiten will. Klingt jetzt gerade total viel und fleißig, aber eigentlich warte ich die ganze Zeit nur auf den Frühling.