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Stefan Petermann
Ausschau halten nach Tigern

Ans Gegenteil vom Meer
  Kritik
  Stefan Petermann
Ausschau halten nach Tigern
Erzählungen
asphalt & anders 2011
160 Seiten, 16,90 €


Der schönste erste Satz war 2007 ein Wettbewerb der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen. Günther Grass gewann. Sein Roman Der Butt beginnt nämlich so: »Ilsebill salzte nach«.

Erzählbände taugen an und für sich sehr gut für starke erste Sätze. Aber möchte man in Stefan Petermanns Erzählband Ausschau halten nach Tigern den schönsten ersten Satz küren, wird es schwierig. Sechzehn mal vergibt Petermann die Chance auf den schönsten ersten Satz. »Wenn ich länger die Hand eines anderen halte, spüre ich dessen Herzschläge«, der Satzanfang der ersten Erzählung Außer Atmen, tritt da an gegen »Heute ist die Katze gestorben« aus der Geschichte Heute lernen wir Tschüss zu sagen. Und »Ich stelle mir vor, ich wäre die Explosion in einem Kinofilm« aus Carola Schachmann springt auf Tische versus »Als meine Schwester herausfand, dass Pferde auch zu Hundefutter verarbeitet werden, war ihre Kindheit beendet« aus Hundefutterpferde. »Die Mutt schlägt die Kelle in den Topf«, der erste Satz aus der Erzählung Schweineholger, passt schließlich auch noch hervorragend zu einer nachsalzenden Ilsebill und die Geschichte Gefühlte Sicherheit beginnt sogar mit dem Satz: »Jeder sucht das schönste Wort«. Na also.

Ausschau halten nach Tigern ist der erste Erzählband vom 1978 in Werdau geborenen Stefan Petermann, der 2009 mit dem Roman Der Schlaf und das Flüstern – ebenfalls im Hamburger asphalt & anders Verlag – debütierte. Sechzehn Erzählungen sind darin versammelt und auf manche könnte man gut verzichten. Weil sie kein deutliches Gefühl hinterlassen und, nachdem man sie gelesen hat, nichts anders ist als vorher. Nichts passiert, nächste Geschichte. Das ist aber nicht so tragisch, denn die Geschichten in Petermanns Erzählband sind kurz und zahlreich. Wenn man sich langweilt, dann bloß für wenige Seiten und dann kommt sie auch schon, eine dieser Erzählungen, für die es sich auf jeden Fall lohnt, Ausschau halten nach Tigern zu kaufen und etappenweise zu lesen. Und davon gibt es über den Erzählband verteilt so viele, dass das Buch Spaß macht.

Schwingt man sich also von einer Geschichte zur nächsten oder liest mal hier und dann wieder dort, begegnet man in Außer Atmen einem Jungen, der abends am Fingergeruch seiner Großmutter erkennen kann, welche Käsesorten sie tagsüber verkauft hat, der aber vor allem besonders lang unter Wasser die Luft anhalten kann. Das beweist er dem Bademeister, dem Schwimmlehrer, den Mitschülern und sogar Thomas Gottschalk.
  In Mit Glufke begegnet man Glufke und »Glufke ist ein seltsamer Typ. Einer, der immer sagt, was er denkt, und deshalb meistens wirr spricht. Glufke ist so ein Typ, den will man im Fernsehen anschauen und nicht zu Hause haben. Der hat jederzeit ein Bett frei für dich, wenn du mal in der Stadt bist«. Ein Typ, mit dem man nicht ans Meer will, mit dem will man ans Gegenteil vom Meer. Dabei ist er bloß ausgedacht, dieser Glufke, weil »wenn ich meine Gedanken jemandem anhängen kann, wirkt das gleich viel plastischer. Man erfindet kurzerhand einen Typen wie Glufke und lässt den all die Dinge sagen, die man sich selbst nicht auszusprechen traut«. Geniale Idee, so als Schriftsteller …
  Man begegnet Hager, dem geht´s nicht so gut, denn genau genommen ist er tot. Mit Eiskristallen im Haar und festgefrorenem Hemd sitzt er so lange in der Küche, bis ihn ein Junge in einem Karren zum Spielplatz zieht. Und in Blaues Kleid begegnet man einer jungen Frau, die sich um einen alten Mann kümmert, den Schmuck und die Kleider dessen verstorbener Frau geschenkt bekommt und schließlich mit ihm den gemeinsamen Hochzeitstag feiern soll.

All die so klar gezeichneten und einsam wirkenden Figuren in Stefan Petermanns Erzählungen halten Ausschau nach Tigern. Und finden: zerbröckelte Zitronenfalter in der Handkuhle, ein Zara-Outlet mitten im osteuropäischen Nichts oder eine Bierflasche, die man besonders gut gegen Köpfe schleudern kann. Erfinden können sie auch besonders gut – aber das hatten wir ja schon.

Mindestens drei Viertel der Geschichten sind traurig. Entweder, weil etwas Schlimmes passiert: Zuerst stirbt die Katze, dann stirbt Iffi und man lernt, Tschüss zu sagen. Oder sie sind traurig, weil eben nichts passiert: Weil Paul und Stasja bloß aneinander denken oder weil Kathie seit Monaten einfach nur daliegt und man sich ein Leben für sie ausdenken muss. Und zumindest drei Viertel der Geschichten sind so lesenswert, dass man über die paar schwachen Momente hinwegsehen beziehungsweise einfach hinweglesen kann.

 

Kathrin Bach    06.05.2011   

 

 
Kathrin Bach
Lyrik