Mein Leben als Doppelagent Neulich erzählte mir der Verleger Joachim Jahns vom Dingsda-Verlag am Telefon, auf der letzten Leipziger Buchmesse habe ihm am Stand sozusagen aus dem Stand ein Professor mitgeteilt, beim Aktenstudium im Universitäts-Archiv sei herausgefunden worden, dass Zwerenz in den fünfziger Jahren bei der Kreisleitung war. Und Ernst Bloch sei in Leipzig keineswegs verfolgt worden, was man demnächst durch die Publikation von Unterlagen beweisen wolle.
Am 10. Februar antworteten wir: „... auf Ihre Anfrage vom 5.2. teilen wir Ihnen mit, dass wir zum Thema Ernst Bloch zwei Bücher herausbringen werden. Das erste zur diesjährigen Buchmesse im Herbst in Frankfurt/Main. Zu Ihrer Information folgen auf diesen Brief einige Seiten, aus denen Sie Näheres erfahren.“ In einem zweiten Schreiben vom 29. Februar boten wir an:
„... nachdem wir auch von anderer Seite auf Ihre geplante Bloch-Ausstellung verwiesen wurden, möchten wir unserer Antwort vom 10.2. einige Informationen hinzufügen. Es gibt hier im Hause Fotos aus der Leipziger Zeit, Briefe von Bloch an Zwerenz, Bücher des Philosophen mit handschriftlichen Widmungen sowie hunderte Seiten auf ihn bezogener Materialien. Gerhard Zwerenz berichtete in Zeitungen, Zeitschriften und Radiosendungen über Bloch in Leipzig. An Büchern sind zu nennen Kopf und Bauch, S. Fischer Verlag 1971, Der Widerspruch, S. Fischer Verlag 1974 (die Aufbau-
Soviel zur „erweiterten Kreisleitungssitzung“ vom 30.10.1956 – es war die Kreisleitung des Kulturbundes. Im übrigen ist Zwerenz wie Loest ein „feindlicher Charakter“, der „öfter nach Berlin fährt“, morgens seine „Brötchen beim Bäcker über der Straße holt“ und „mit einer gewissen Ingrid Hoffmann verlobt ist, die im selben Haus wohnt“ und „durch Referat 1 aufgeklärt“ werden soll oder „an die bei moralischen Schwächen ein geeigneter GI auf der Linie Universität anzusetzen“ sei. Zusammenfassend heißt es: Zwerenz ist wie Loest „kein Schriftsteller, sondern eine Missgeburt“, ruft „feindliche Diskussionen“ hervor, teilt „die revisionistischen Anschauungen aus Ungarn und Polen“ und unterstützt „die Gruppe Harich“, weshalb gilt: „ ...gegen Leute, die ... bei uns konterrevolutionäre Tätigkeit entfalten, gibt es nur eine Schlussfolgerung: Sie müssen eingesperrt werden. ..“
Natürlich ist das alles nur Tarnung zur Bildung einer Legende. Denn am 8.12.1956 soll Zwerenz vom MfS als Agent für den Westen angeworben werden und schlägt sogar noch Loest dafür vor, wie ein Ob.Ltn. Simon protokolliert. Allerdings teilt Zwerenz diesem Loest den Anwerbungsversuch sogleich mit und spricht am nächsten Tag lauthals öffentlich darüber in einer Sitzung des Schriftstellerverbandes, was die anwesenden Dichter-Agenten dem Bezirks-Chef des Schwertes der Partei sofort flüstern, der den GZ am nächsten Morgen in seine Dienststelle holen läßt und das veranstaltet, was bei Genossen und Kameraden „zusammenscheißen“ heißt. Zwerenz ist damit als Agent „verbrannt“, also wertlos. Doch auch dieser Umweg zählt zur geheimen Legendenbildung, denn offenbar dienen die allerschmutzigsten Tricks nur dazu, Zwerenz zum allergeheimsten Geheim- und Doppelagenten aufzubauen.
Was nun die vom Archiv-Professor W. erwähnte Leipziger Kreisleitung betrifft, genügt die des Kulturbundes augenscheinlich nicht. Meine Lektüre eines weiteren Zentners Akten ergibt, dass sowohl jener Loest wie ich als „KP für die Kreisdienststelle Leipzig geführt“ worden sind. KP heißt Kontaktperson. (Akte Lpz. - AOP 90/58 und BsTU 000029 und 000119). Das steht so verzeichnet und hat also Beweiskraft. Irgendwelche eifrigen Kerlchen schrieben eben irgendwas nieder. Ich räume ein, wir wurden Mfs-Agenten. Nur wollte der sächsische Patriot Loest nicht im kapitalistischen Ausland verkommen und ging freiwillig für sieben Jahre ins Zuchthaus Bautzen, während ich tapfer den westlichen Sumpf wählte, wo ich ja dann vom Lemmer-Ministerium bis zum SPD-Ostbüro, von der Frankfurter Rundschau bis hin zu Spiegel und stern meinem sozialistischen Vaterland als Doppelagent treue Dienste leistete. Aus Tarnungsgründen wurde ich auch aus der Partei ausgeschlossen und mit Haftbefehl gesucht.
Was aber unseren Professor Ernst Bloch angeht und wie er es fertigbrachte, in der DDR unverfolgt zu bleiben, das verrate ich euch, liebe Leser, beim nächsten Mal. Wir wollen doch ruhig abwarten, was der tüchtige Leipziger Universitäts-Archivar W. über unser aller geheimdienstliche Umtriebe weiter herausfindet.
Soweit Ossietzky in Heft 8. In Heft 9 folgte der 2. Teil: Im vorigen Heft zitierten wir aus einem Brief der Kustodie an der Universität Leipzig, in dem man uns um Unterstützung bei der Ernst-Bloch-Ausstellung bat, die am 13. Mai in der Messestadt eröffnet werden soll. Unsere offerierte Bereitschaft fand kein Echo, stattdessen signalisierte der dortige Archivar Prof. W., er habe durch Aktenstudium herausgefunden, Zwerenz sei in der Leipziger Kreisleitung und Ernst Bloch keineswegs verfolgt gewesen. Zur Kreisleitung äußerten wir uns bereits per gebotener Ironie, zum Philosophen zitieren wir kurzum aus dem Waschzettel unseres Buches über den Bloch-Kreis, das im Herbst erscheinen wird. Es heißt da: Ernst Bloch war die letzte Chance der DDR. Sie wurde leichtfertig vertan. Für die Bonner Republik aber entwickelte sich der von Leipzig nach Tübingen übergesiedelte Denker zur hochverehrten Verlegenheit. Wie gehen Kapital und Philosophie zusammen? War die DDR einer falschen Philosophie gefolgt, verzichtet die Berliner Republik auf alle Philosophie und zieht das Chaos neoliberaler und konservativer Irrealitäten vor. Bloch ist der Klassiker einer erneuerten Existenzphilosophie, der Archetyp der neuen Alten, die als neue Jugend antraten und es blieben. Der früheste politische Eingriff und Angriff Blochs war sein Protest gegen den Ersten Weltkrieg. Daraus erwuchs sein Paradigma des Aufrechten Ganges trotz partieller Sklavensprache und temporärer Niederlagen.
Wer war Bloch? Als Knabe entdeckte er in der prächtigen Mannheimer Schlossbibliothek die märchenhaften Abenteuer der Philosophiegeschichte. Revoltierte gegen Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich und die Fehler der DDR. Liebte reiche Frauen, auch wenn sie durch Revolutionen, für die er votierte, verarmten. Verstarb zweiundneunzigjährig unversöhnt. Wer war Bloch? Laut Georg Lukács bediente Bloch sich der „Muttersprache ... im Geist der alten Philosophie.“ Max Weber meinte, Bloch hielte sich „für den Vorläufer eines neuen Messias.“ Hitlerdeutschland bürgerte ihn aus. Franz Josef Strauß gratulierte zum 90. Geburtstag. Bundeskanzler Schmidt erinnerte sich nach dem Ableben des Philosophen, er habe schon seit langem mit ihm über Utopie sprechen wollen. Hitlerbiograph Joachim C. Fest ernannte noch den toten Bloch zum lebenden gefährlichen Revolutionär, und Walter Ulbricht beschuldigte ihn glatt der Konterrevolution, während Joseph Ratzinger vor Blochs „atheistischer Frömmigkeit“ und „marxistischer Versuchung“ warnte. Der so vielfach Belobigte und Beschuldigte wurde 1885 in Ludwigshafen geboren und verstarb 1977 in Tübingen. Dort auf dem Bergfriedhof liegt er begraben. Seiner eigenen Philosophie nach ist es eine Wartestellung. Es ist zugleich der Platz des verfolgten, zu Tode verehrten, missverstandenen, missgedeuteten und miesgemachten deutschen Juden.
Dies also der Text, den wir unserer Antwort an die Universität Leipzig beifügten. Inzwischen begreifen wir die dortige Sprachlosigkeit. Augenscheinlich tendiert die geplante Ernst-
Prof. W. erinnert zu Recht in einer Broschüre von 1999 an mehrere junge Männer und gegen sie verhängte Todesurteile, mit denen die sowjetische Besatzungsmacht nach Kriegsende studentischen Widerstand an der Leipziger Universität ahndete. Doch wenn er pauschal von den „Opfern beider deutscher Diktaturen“ spricht, sollte er zur Nachhilfe die Vorlesung eines Kollegen Mathematik-
Lassen wir Ernst Bloch selbst sprechen. 1971 von Butzbacher Schülern befragt, antwortete er per Brief: „Am Ende des 1. Weltkrieges ging ich in die Schweiz und habe dort gegen den deutschen Militarismus, gegen den Krieg, für den Frieden geschrieben. Die Oktoberrevolution war für mich das bedeutsame Erlebnis. Während der Weimarer Zeit stand ich der KPD nahe. In der Nazi-Zeit habe ich in der Emigration, vor allem in der Prager Weltbühne, publizistisch gegen den Faschismus gekämpft. 1949 folgte ich dem Ruf an die Leipziger Universität, in der Hoffnung, in dem sozialistischen Teil Deutschlands mithelfen zu können, eine menschenwürdige Gesellschaft aufzubauen. Meine Hoffnung wurde enttäuscht. Das hat aber meine Überzeugung, dass ein wahrer Sozialismus, trotz russischer und benachbarter Entartungen, in der Zukunft möglich ist, nicht erschüttert. In diesem Sinne steht meine Philosophie unter dem revolutionären Stern.“
1961 war in der Leipziger Volkszeitung unter der Überschrift „Verräter Zwerenz in der Gosse“ zu lesen: „Schmach und Schande und Verderb denen, die wie Kantorowicz, Kasten, Zwerenz, Hertwig, Zöger und Konsorten zu erbärmlichen Verrätern wurden.“ Verfasst hatte den Schmäh-Artikel der damalige LVZ-Chefredakteur Prof. Hans Teubner. Selbst attackiert und tief in der Tinte sitzend, versuchte er damit gegen sein Verderben anzuschreiben. Im selben Jahr beschimpfte die Leipziger Universitätszeitung Ernst Bloch als „Deserteur“ sowie „Verräter“ und fuhr fort: „Der völlige geistige, moralische und menschliche Bankrott ist das Schicksal aller Renegaten. Mögen die Möpse Zwerenzscher und Zehmscher Art im westdeutschen Blätterwald bellen, die Karawane zieht ruhig weiter.“
Die Karawane zog weiter, bis sie im Wüstensand parteilicher Hybris versank. Ein Archiv-Professor sucht nun den Kalten Krieg in munterer Unwissenheit fortzusetzen, was uns nicht hindert, im Sinne Ernst Blochs unterm Signum des revolutionären Sterns zu antworten. Bisher allerdings ist Ernst Bloch in Leipzig Unperson.
Von Prof. Gerald Wiemers, der auf unsere Anfrage nach den Quellen seiner Kühnheiten beziehungsvoll schweigt, wird über vier Ecken kund, seiner Ansicht nach blieb Bloch in der DDR unverfolgt, weil nicht verhaftet. Charles de Gaulle pfiff 1968 Polizei und Justiz zurück mit den Worten: Einen Sartre verhaftet man nicht. Ähnlich verhielt sich Walter Ulbricht 1956 gegenüber Ernst Bloch. Wer das nicht begreifen kann, ersetzt Stilgefühl durch blamable Unwissenheit.
Soweit unsere Erwiderungen in Ossietzky Heft 8 vom 17.4.2004 und Heft 9 vom 1. Mai 2004. Inzwischen verwandelte sich der von uns verteidigte einstige Leipziger Oppositionelle und nachmalige Bautzenbub Erich Loest in einen unglücklich verbissenen Feind, der aus seiner Hitlerjungen-Zeit glücklich heim zur Kirche fand, in einem Rundumschlag von „marxistischen Schlächtern“ schreibt und noch Karlchens Leipziger Bronze-Relief in tausend Stücke gehauen auf der Müllhalde sehen will. Gegen Tübkes Leipziger Uni-Panorama lässt er ein Bild mit sich selbst im Vordergrund malen, das niemand haben will. Über Bloch und Mayer schafft er zielstrebig Verwirrung, indem er die FAZ für die Ankündigung seiner Auswanderungspläne nach Halle an der Saale benutzt, was von dem mainischen Blatt gern verbreitet wird, statt vor der eigenen Tür zu kehren.
Die Polemik zeitigte Folgen. So verstiegen sich Rektor und Kustos der Universität Leipzig in der FAZ vom 2.5.09 zu einem Leserbrief, in dem vom „stalinistischen Regime“ die Rede ist, „dessen Ruf nach Leipzig Bloch und Mayer gefolgt“ seien. Bei aller berechtigten Kritik an der eskalierenden diktatorischen DDR-
Der letzte Satz der Rektor- und Kustos-
Die beiden überlebenslang von antisemitischen Antimarxisten verfolgten und dennoch der offenbar endlosen deutschen Hochschulmisere ausgesetzten und ihr widerstehenden linken jüdischen Professoren werden die ihnen nachgesagte Unheldenhaftigkeit wohl erragen können. Ihre jeweils drei Emigrationen hatten schließlich stichhaltige Gründe, deren erster das Glück war, den heldenhaften Ariern von 1933 entkommen zu sein.
Immerhin existiert in der Leipziger Universität trotz der Entfernung von Marx, Bloch und Mayer noch ein Restbestand philosophischer Erinnerung. Zum Symposium Wissen und Bildung vom 18. - 20. Juni 2009 druckt die vormalige KMU drei fast apokryphe Sätze auf die Einladung:„Der Mensch ist dasjenige, was noch vieles vor sich hat. Er wird in seiner Arbeit und durch sie immer wieder umgebildet. Er steht immer wieder neu an Grenzen, die keine mehr sind, indem er sie wahrnimmt, er überschreitet sie.“ Die drei Sätze stammen von Ernst Bloch. Zwar führte für den Philosophen kein Weg zurück nach Leipzig. Doch einige Worte sind noch immer da.
Mag sein, die diversen Streitigkeiten dienen nur der bevorstehenden Hochschul-
Und das alles nur aus Angst vor der erschröcklichen Erkenntnis, dass Ernst Bloch in seiner Leipziger Zeit die Philosophie vom Dritten Weg entwickelt hatte. Das muss ge- und verleugnet werden.
Sklavensprache IX
In jenem Jahr, da andere in Rente gehen, bekam der Filosof seinen ersten Lehrstuhl. Er besetzte ihn subversiv. Nach einem Jahrzehnt hatte er noch immer nicht jasagen gelernt. Stattdessen lehrte er Zweifel, Fantasie, Ästhetik. Da er es unterließ, den Staat zu loben, blieb das Staatslob aus. Der Filosof geriet in Turbulenzen. Ich hätte es wissen müssen, sagte der Filosof. Doch hätte es nichts geändert. Manches lerne ich nie. (Vergiss die Träume deiner Jugend nicht, Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 25.05.2009.
|
Gerhard Zwerenz
Serie
Nachworte
Aufsatz
|