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Anerkennung ist ein langer Prozess
Gespräch mit Urs Engeler
Urs Engeler, 1962 in Zürich geboren, studierte bei Hans-Jost Frey ver­gleichende Literatur­wissenschaft und leitet seit 1995 den Verlag Urs Engeler Editor in Basel und Weil am Rhein mit dem Schwer­punkt Lyrik. Er begann 1992 mit der Herausgabe der Zeit­schrift Zwischen den Zeilen. Hieraus erwuchs der Verlag, der 2007 mit dem Förder­preis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet wurde. Urs Engeler wird eine „beispiellose Spürnase für lyrisches Talent“ attestiert.
 
Walter Fabian Schmid: Lieber Herr Engeler, Sie wurden 2007 mit dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung geehrt, mit dem man eine vielfältige Verlags- und Literaturlandschaft fördern will. Wie wichtig war dies für die Anerkennung Ihres Verlagsprogrammes und für die Wahrnehmung Ihres Verlages in der breiten Öffentlichkeit?

Urs Engeler: Anerkennung ist in aller Regel ein langer Prozess, in dem viele Mosaiksteinchen beitragen zu dem guten Bild einer Sache oder dem guten Ruf eines Verlages, und da ist in meinem Fall der Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung schon ein besonders schön glänzendes Steinchen, das stimmt. Ob das allerdings schon in eine „breite Öffentlichkeit“ ausstrahlt? Ich wünsche mir zwar, dass Literatur von allen gelesen werden kann, und tatsächlich erreichen meine Bücher auch immer mehr Leute, aber es bleibt wohl doch bei der etwas schmaleren Öffentlichkeit einer an Sprache, Kunst und Sprach- und Lebenskunst interessierten Leserschaft. Dass die aber nur das Beste bekommen soll, daran liegt mir sehr, und dafür bürgt, denke ich, die Anerkennung durch die Kurt-Wolff-Stiftung in meinem Fall genauso wie im Falle der andern jüngeren Verlage wie supposé oder kookbooks. Heute läuft ja vieles über Labels, das erleichtert die Orientierung, und es ist gut, dass es die Kurt-Wolff-Stiftung zur Orientierung auf dem komplexen, sehr spannenden und gar nicht so kleinen Feld der engagierten Verlage gibt.

W. F. Schmid: Ihr poetisch fein ausgewähltes Programm und die von Ihnen herausgegebene Zeitschrift Zwischen den Zeilen zeigen einen hohen poetologischen Reflexionsgrad. Wie wichtig sind für Sie die Poetologie eines Autors und seine intellektuelle Fundierung?

U. Engeler: Mir ist der Zusammenhang zwischen Gedichte schreiben und auf Gedichte reflektieren leider etwas zweifelhaft geworden. So, wie es möglich ist, gute Gedichte zu schreiben, ohne groß darüber nachzudenken, ist es andererseits auch möglich, wenig gute Gedichte zu schreiben, aber viel darüber zu reden. Will sagen: Gegenwärtige poetologische Unternehmungen erlebe ich eher als Selbstproklamation denn als Selbstreflexion, eher also als die Werbe- und nicht die Forschungsabteilung des Unternehmens „AutorIn“

W. F. Schmid: Wie bewerten Sie die derzeitige Betonung der Jugendlichkeit vor allem in der Lyrikszene?

U. Engeler: Als Bewertungskriterium für Poesie taugt „Jugendlichkeit“ nicht. Sie ist ein Marketinginstrument, das eine Zeitlang (eben „Jugend“ genannte Zeit) funktioniert (wie Werbung halt mittels „Neu!“ und „Mehr Frische!“ funktioniert), aber letztlich will jede Lust doch eher Ewig- und nicht Jungfräulichkeit. Aber es wäre ungerecht, den jüngeren Kollegen den kleinen Marktvorteil vorzuhalten und zu missgönnen (und sie werden hoffentlich noch lange genug mit dem Älter- und Besserwerden beschäftigt sein können), denn tatsächlich ist es ja so, dass die gegenwärtige deutschsprachige Poesie enorm lebendig ist, und das ist sie nicht zuletzt auch durch das junge Blut.

W. F. Schmid: Zurück zu Ihrer Arbeit: Sie erstellen auch Compact-Bücher, also geben CDs zu den Büchern bei. Wie wichtig ist für Sie die mediale Grenzüberschreitung und wo liegt Ihrer Meinung nach das Potential, akustische und schriftliche Phänomene miteinander in Dialog treten zu lassen, nicht nur in der Lautpoesie?

U. Engeler: Poesie ist immer die Verbindung von Laut und Schrift, quer durch ihre Geschichte, die sie schon Tausende von Jahren avant la lettre als multimediale Kunst kennt. Die CD zum Buch fügt dem Gedicht also letztlich nichts hinzu, was nicht schon in ihm steckt, und dem Gedichtband im besten Fall seine Interpretation und akustische Realisierung durch eine Vorleserin, durch einen Vorleser.

W. F. Schmid: Sie sagten einmal, dass sich der Buchhandel – personifiziert gesprochen – in einem Koma befinde, in dem nur noch die primitivsten Funktionen intakt seien. Geht es dem Buch an sich auch so? Oder anders gefragt: Wie sehen Sie die Zukunft des Buches bei steigenden Nonbook-Publikationen, Internet-Publikationen und literarischen Blogs?
U. Engeler: Bücher sind gute Behälter zum Aufbewahren und Weitergeben von Gedichten. Das können andere Behälter, von der Steintafel bis zur Hirnrinde, auch. Wie dauerhaft sie das tun, das ist die eher relevante Unterscheidung, und im elektronischen Horizont leben wir noch nicht lange genug, um dessen Bestand abschätzen zu können. Viel mehr Sorgen als das Verschwinden von Gedichten macht mir aber das Verschwinden von Gedichtlesern. Aber vielleicht weiß auch hier die Reproduktionsmedizin, wie es weiter geht.
W. F. Schmid: Man spricht zurzeit viel über die Erlernbarkeit von Schreiben an Hochschulen und Instituten wie dem Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, dem Studiengang Kreatives Schreiben in Hildesheim oder dem schweizerischen Pendant in Biel. Wie sehen Sie die Relevanz und Effektivität der Schreibschulen?

U. Engeler: Ich unterrichte selber am Literaturinstitut in Biel, doch ist die Schule noch zu jung, als dass man sehen könnte, wie sich ihre Schüler entwickelt haben. Ich erlebe aber ihre Bereitschaft, sich mit dem eigenen Schreiben und der ihnen vorangegangenen und sie umgebenden Literatur intensiv zu beschäftigen, als überzeugenden Tatbeweis, dass Zeit, Raum und Geld für eine solche Beschäftigung gut angelegt sind. Denn letztlich geht es weniger darum, etwas zu erlernen, als darum, etwas als je eigene Möglichkeit ausbilden zu können, und gerade das braucht Zeit, Raum, Aufmerksamkeit, Konzentration, Herausforderung, Konfrontation.

W. F. Schmid: Was wünschen Sie sich von der zukünftigen Literatur?

U. Engeler: Da ich in Sachen Literatur lieber nehme, was kommt, möchte ich den Wunsch lieber umdrehen und der zukünftigen Literatur Leser wünschen, die sie zu lesen verstehen.

W. F. Schmid: Was sind Ihre nächsten Projekte?

U. Engeler: Mein Verlag ist ein editorisches Projekt, in dessen Zentrum die Werkentwicklung meiner Autorinnen und Autoren steht. Und ich bin sehr glücklich darüber, mit Hans-Jost Frey, Birgit Kempker, Elke Erb, Michael Donhauser, Ulf Stolterfoht, Thomas Schestag, Ulrich Schlotmann, Michael Stauffer, Kurt Aebli, Urs Allemann und seit diesem Jahr auch mit Bruno Steiger kontinuierlich weiter zu arbeiten.

W. F. Schmid: Danke für das Gespräch.

Urs Engeler Editor | Website

Das Gespräch erschien zuerst in poet nr. 5

W. F. Schmid   01.12.2008 (Juli 2008)

 

 
Walter Fabian
Schmid
Bachmannpreis
Gespräch
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