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Lust an der Poesie
Ein Gespräch mit der Übersetzerin Margitt Lehbert
Robin Fulton | Grenzflug

 

Margitt Lehbert lebt als Übersetzerin und Verlegerin in Südschweden. Sie übersetzte Autoren wie Les Murray, Elizabeth Bishop und Don Coles sowie jüngst den in Schottland geborenen Autor Robin Fulton, der heute als Lyriker und Übersetzer in Norwegen zu Hause ist.

Walter Fabian Schmid: Liebe Margitt, als Übersetzerin überträgst Du unter anderen Robin Fulton, Don Coles, Les Murray und John Montague ins Deutsche. Wie wählst Du die Autoren aus, die Du übersetzt?
Margitt Lehbert: Die Poesie von Les Murray, Robin Fulton und Don Coles liebe ich schon seit Jahrzehnten und war froh, ihnen ganze Bücher widmen zu können. John Montagues Lyrik habe ich früher bewundert, verlor sie aber aus den Augen. Ich hatte große Lust, ihn in Ruhe und sehr gründlich zu lesen. Deshalb war ich, als Hans-Christian Oeser einen gemeinsamen Montague-Band vorschlug, gleich für das Projekt zu haben. Es gibt kaum etwas Schöneres, als sich gänzlich auf die Welt eines Dichters einzulassen, so der Dichter gut genug ist, dieses Interesse auch wirklich zu tragen. Ich habe auch schon Projekte abgebrochen, weil ich für mich beim Vertiefen meines Lesens schnell auf Grund stieß und mit einer Beule am Kopf die Lust am Tauchen verlor.

Natürlich habe ich schon viele Dichter gelesen und mir einige vorgemerkt, mit denen ich mich eingehend beschäftigen möchte. Aber wie im Fall von Montague vertraue ich oft auch auf die Ratschläge anderer Übersetzer, die den Kulturkreis und die Literatur ihrer Zweitsprache bestens kennen. Nicht immer funkt es dann bei mir, das hat mit persönlichen Affinitäten zu tun, aber manchmal entdeckt man jemanden, dem man viel Zeit, Gedanken und vielleicht am Ende ein Buch widmen möchte.
W. F. Schmid: Zur Übersetzung von Les Murray bist Du extra nach Bunyah gefahren, um Dir einen Blick zu verschaffen über den Autor und die Welt, die sich in den Gedichten widerspiegelt. Wie viel Einfühlungsvermögen in die Welt und die Befindlichkeiten des zu übersetzenden Autors braucht man als Übersetzer?
M. Lehbert: Das kommt sehr auf den Dichter an. Dorothea Grünzweig etwa übersetzt gerade Gerard Manley Hopkins für die Edition Rugerup, da muß sie sich stark in die Befindlichkeit, vor allem aber in die mysteriös kraftvolle Sprache dieses Genies einfühlen können. Geographische Details, genaues Kennen der Heimat, ist in dem Fall, so meine ich, nicht unerläßlich. Auch bei Robin Fulton, der die Welt beschreibt und sie gleichzeitig listig hinterspiegelt, spielen einzelne Kirchen, Wälder, Städte zwar eine Rolle, sie werden aber beschrieben, um an etwas Verborgenes zu gelangen. So braucht man Edinburgh nicht besucht zu haben, um sein Gedicht über die Stadt zu übersetzen oder beim Lesen zu erspüren, worum es ihm geht.

Bei Les Murray aber war es ein Segen, nach Bunyah reisen zu können. Ich lebte dort einen Monat auf seiner Farm und reiste hinterher nochmal einen Monat durch Australien. Das australische Idiom ist mit dem amerikanischen, mit dem ich aufgewachsen bin, natürlich nicht identisch, auch das Lebensgefühl dort ist ein anderes. Les Murray bedient sich in seiner Lyrik aller Sprachniveaus, da wirbeln Witz und Slang, Anekdote und bukolische Betrachtung, Anspielung aufs Tagesgeschehen und Beschreibung der Natur, Gedanken und Fakten durcheinander, es ist wie ein Rausch. Um seine Gedichte gründlich genug zu verstehen, um sie in ein angemessenes Deutsch zu übertragen, half es sehr, ihn gerade in Bunyah erlebt zu haben, seinen Vater kennengelernt, den Kookaberra gehört zu haben, der wie eine Horde Affen lacht und aussieht wie ein riesiger Eisvogel. Les hat mir seine Anekdoten mündlich erzählt, mich in Sydney zu dem zweidimensionalen Feigenbaum gefahren, den er beschreibt, in Bunyah sah ich mit eigenen Augen, was er in seiner Dichtung beschrieb, hörte es mit eigenen Ohren. Dadurch vermeidet man Unschärfen im Ausdruck, Unschärfen in der Vorstellung. Und das australische Englisch, was mir ausnehmend gut gefällt, hat hoffentlich die Melodie der Übersetzung beeinflußt.
W. F. Schmid: Inwieweit ist man als Übersetzerin zugleich auch Autorin? Diese Frage stellt sich mir vor allem in Bezug auf Ernst Jandl oder Friederike Mayröcker, die Du bereits übersetzt hast. Muss man z.T. seine eigene Sprache entwicklen?
M. Lehbert: Jede Übersetzung, die einem mehr bringt als etwas (und meist peinlich wenig) Einkommen, entwickelt die eigene Sprache und hoffentlich auch die Sprache der Leser ein Stück weiter, macht sie flexibler und dehnbarer. Deshalb ist es so wichtig, nur Autoren zu übersetzen, deren Werk man ehrlich mag, man muß gewillt sein, diesen Dehnungen zu folgen. Das muß man oft auch einfach ausprobieren. Wenn man selber schreibt, erzählt man das, was einen interessiert, worüber man etwas weiß, was man kann. Beim Übersetzen ist das anders, man muß dem Original folgen, wo immer es auch hinstrebt. Bestimmt haben aus anderen Sprachen übersetzte Bücher den deutschen Humor verändert, das deutsche Ohr für gewisse Musiken. Um das zu erreichen, muß erst einmal der Übersetzer, das neue Instrument für diese Melodie, diese nachspielen können und dabei die eigene Sprache beeinflussen. Bewegen wird sich Sprache immer, das liegt in ihrer Natur. Aber wieviel besser, wenn sie sich nach der gefundenen Sprache einer geglückten Übersetzung erweitert und nicht nach importierten Werbesprüchen.
W. F. Schmid: Du betreibst ja auch den Verlag Edition Rugerup in Hörby, Schweden, der sich auf Übersetzungen aus dem englischen Sprachraum spezialisiert hat. Welches Selbstverständnis hast Du als Verlegerin?
M. Lehbert: Ich finde es schade, daß man im deutschen Sprachraum so wenig Poesie liest. So hat der wirklich außergewöhnliche Dichter Yehuda Amichai in Berlin vor etwa 70 Menschen gelesen. In Iowa City, eine Uni-Stadt mit damals 70.000 Einwohnern, kamen 800 Menschen, um diesen Mann zu erleben, und das, obwohl er auf Hebräisch dichtet und man „nur“ die Übersetzungen verstand. Was ich mir wünsche, wäre ein lockerer, ein freudvoller, ein nahezu erotischer Umgang mit der Poesie, eine Lust an der Sache. Les Murray freut sich immer besonders, wenn er dort veröffentlichen kann, wo es nicht ausschließlich literarisch zugeht, und ich gebe ihm da Recht. Deshalb achte ich auch so sehr auf die Ausstattung meiner Bücher, es soll Lust bringen, sie in die Hand zu nehmen, Lust bringen, sie aufzuschlagen, Lust bringen, sie zu lesen.

Meine Edition ist auch offen für Übersetzungen aus anderen Sprachen, aber im Moment übersetze ich vieles selber, der Verlag muß sich erst etablieren. Ich wohne in Schweden, im Herbst erscheinen ein schwedischer Dichter und ein dänischer Prosaautor, der hart an der Poesie segelt. Was ich mir für die Zukunft wünsche, ist eine Osterweiterung, etwa Lyrik aus dem Russischen, Estnischen, Litauischen, aber diese Sprachen beherrsche ich nicht, da muß der Verlag wachsen, bis er für andere Übersetzer interessant wird und sie auch bezahlt werden können.
W. F. Schmid: In Deinem Verlag publizierst Du bibliophil anspruchsvolle Bücher. Das signalisiert großen Respekt gegenüber dem Inhalt. Wo siehst Du demnach Dein Klientel positioniert?
M. Lehbert: So seltsam es klingt, ich möchte durch die ansprechende Aufmachung gerade eine möglichst breite Klientel erreichen. Meine Bücher kosten nicht viel mehr als weniger bibliophile Ausgaben, sie sollen verlockend sein. Daß sich das nicht rechnet, weiß ich selber. Aber noch habe ich die Buchführung fest in der Hand, und eine wilde Expansion erwarte ich in nächster Zeit nicht. Vorsichtshalber lerne ich jetzt, wie man mit spreadsheets umgeht, falls ich die Verkaufszahlen nicht mehr im Kopf zusammenrechnen kann.
W. F. Schmid: Was darf der Leser in nächster Zeit aus der Edition Rugerup und von Dir erwarten?
M. Lehbert: Im Sommer erscheint der Schotte Iain Crichton Smith, einer der drei großen schottischen Dichter des 20. Jahrhunderts, in der kongenialen Übersetzung von Elmar Schenkel, der auch einen Essay für den Band geschrieben hat. Smith ist ausladend, die Sprache fließt aus ihm wie ein Wildbach, sie reißt einen gleich mit. Gleichzeitig präsentieren Hans-Christian Oeser und ich John Montague, den irische Kritiker als den besten irischen Dichter seit Yeats bezeichnet haben. Er schreibt über die Liebe, den Bürgerkrieg, die Familie, irische Mythologie, den Wandel im 20. Jahrhundert – auch er eine große Stimme in der englischen Sprache. Übrigens hat Smith, wie auch Gabriel Rosenstock, der letztes Jahr in der Edition Rugerup erschien, vieles auch auf Gälisch geschrieben und sich mit der Frage einer verschwindenden Sprache beschäftigt.

Håkan Sandell, ein „Retrogardist“, wie er sich selber nennt, ein spannender Dichter und wohl auch ein enfant terrible der schwedischen Literatur, wird dann im Spätherbst in einer zweisprachigen Auswahl vorgestellt. Zu ihm geselle ich Thøger Jensen, ein Däne, der mir einmal erzählte: immer will ich einen langen Roman schreiben, aber nach drei Seiten ist die Geschichte zuende! Serpentine ist ein Buch, in dem aus kurzen, poetischen Prosastücken einen Roman entsteht. Der zufällig in Schottland spielt, was mich natürlich freut. Mit den Schotten Robin Fulton und Iain Crichton Smith im Programm und einer geplanten Anthologie schottischer Lyrik seit 1900 paßt das gut.
W. F. Schmid: Vielen Dank für das Gespräch.

Walter Fabian Schmid   09.03.2008   

Walter Fabian
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