Münchner Reden zur Poesie
Herausgegeben von Ursula Haeusgen, später von Maria Gazzetti und ab 2014 von Holger Pils, jeweils mit Frieder von Ammon Publikationen im Lyrik Kabinett München
Redaktion im poetenladen: Walter Fabian Schmid
Michael Krüger Das Ungeplante zulassen. Eine Verteidigung des Dichterischen
Walter Fabian Schmid zu Michael Krügers Poesierede
Muss man die Poesie wirklich verteidigen, wie es der Untertitel von Michel Krügers Rede, gehalten am 01.10.2014, nahelegt? Wie und warum kam sie in diese Rechtfertigungssituation, und was hätte sie angestellt, an was sollte sie bitte Schuld sein? Genau das fragt sich auch Michael Krüger und klammert sich zu Beginn seiner Rede an das Klischée von der Lyrik, die ihren Zenit überschritten hat und nur noch betagte Menschen interessiert. Einer von denjenigen, die für Krüger die Poesie in so eine Rechtfertigungssituation drängt, ist Heinz Schlaffer, der mit seinem Buch „Geistersprache“ viel Widerspruch erfahren hat und dort den Dichter als Schamanen sieht, der sich mit den Geistern unterhält und sich in einem Zwischenreich von Dies- und Jenseits aufhält. Aber Schlaffer schreibt auch sehr erhellend über moderne Poesie:
An die Stelle der kollektiv anerkannten und verstehbaren Sprache der Poesie ist in der modernen Lyrik eine Vielzahl von Privatsprachen getreten, die – mit oder ohne Erfolg – von Text zu Text jedesmal aufs Neue erlernt werden müssen. Erst in der Moderne wird das Gedicht so subjektiv, wie es ihm rückwirkend als durchgängige Eigenschaft zugesprochen wurde. In der traditionellen Lyrik hatte, unabhängig vom einzelnen Dichter, die von ihm gewählte oder von seinem Publikum gewünschte Gattung bereits über Thema, Umfang, Strophenform, Versmaß, Stil und Charakter des Gedchts entschieden. (...) Erst der moderne Dichter ist uneingeschränkt Herr seiner Dichtung.
Allerdings schlägt für Schlaffer eben dieses Konzept von Privatheit der eigenen Sprache und Form sowie das Moment der Inspiration wieder zurück in ein Bild vom Dichter als Schamanen mit einer Geistersprache, mit einer „geheimnisvollen Kommunikation“, die nur ihm zugänglich ist, denn „Er, der letzte Repräsentant jenseitiger Geister in einer entgeisterten Welt, führt im Gedicht ein Selbstgespräch, dem das ausgeschlossene Publikum verehrungsvoll lauscht.“ Genau dagegen wehrt sich Krüger mit Händen und Füssen und hält an der Realitätstauglichkeit der Lyrik fest.
Krüger ist aber auch jemand, der die Lyrik als reaktionäres Medium gegen Differenzierung und Spezialisierung, gegen die Fachsprachen, gegen die Digitalisierung stellt. Und so spielt er im weiteren Verlauf der Rede Schlaffer in die Hände und fährt eigentlich in der gleichen Spurrinne, weil er sich jenem Moment widmet, der für Schlaffer auch wieder zurückschlägt – der Inspiration. Symptomatisch enden beide Veröffentlichungen ähnlich. Wo bei Michael Krüger ein Zitat von Lars Gustaffsson steht, nämlich „Wir fangen noch einmal an, wir geben nicht auf“, schreibt Schlaffer: „Die Aufgaben der Lyrik haben sich erledigt, das Gedicht lebt weiter.“
Anstatt sich unter den veränderten Bedingungen mit der aktuellen sowie kommenden Rezeption und Produktion zu beschäftigen, widmet sich Krüger einem Aspekt der Lyrik, der längst dem Verfall unterliegt, den er aber retten will. Mit seinen Ausführungen zur Inspiration und zur Eingebung stellt er sich gegen die Entmystifizierung der Dichtung, wofür seit Benn gekämpft wird, und vor der es jede junge Generationen immer wieder gruselt.
Wenn Michael Krüger vom „plötzlichen Erscheinen der Epiphanie“ spricht und den „Zufall der Magie“ von Dylan Thomas zitiert, dann ist das nicht mehr weit weg vom göttlichen Funken des Geniekults. Und weil die Inspiration in ihrem flüchtigen Moment nicht einzufangen ist, schaffe jeder Dichter nur fünf oder sechs perfekte Gedichte in seinem Leben. Was leicht als Defizitzuschreibung von Krüger missverstanden werden könnte, ist aber gerade ein Schreibantrieb vieler Dichter: Die Suche nach der Perfektion, die das stetige Weiterschreiben bedingt.
Wie Krüger ausführt, steht der Dichter natürlich etwas hilflos vor der Flüchtigkeit und Seltenheit der Inspiration, jenem vorsprachlich ekstatischen Augenblick, in dem das Gedicht perfekt sei. Der Dichter warte die ganze Zeit auf etwas, das sein willentliches Tun überschreite und das ist die Quintessenz der Rede: „Der Dichter gibt also freiwillig einen Teil dieses Willens auf, um das Ungeplante zuzulassen.“ Damit widerspricht Krüger nicht nur jeglichem Handwerksgedanken, sondern das Schreiben von Gedichten fällt auch hinter die Aufklärung zurück, da sich so ein Dichter zwangsweise in einer Sphäre aufhalten muss, die sich der Vernunft entzieht: „Sie (die Dichter) ahnen, dass sich in unserer generellen Disposition nicht viel geändert hat. Der Instinkt, die Ahnung, die Einbildungskraft gehen der tendenziell terroristischen, auf jeden Fall rechthaberischen Vernunft immer voraus.“
Mit den geänderten Produktionsbedingungen hat sich für Krüger also keineswegs die Produktion an sich geändert. Da muss man natürlich fragen, ob man so nicht etwas produziert, das von vornherein schon von der Zeit überwunden wurde oder ob dieses Mystische in transparenten Zeiten nicht auf die Lyrik zurückfällt und eine Nichtwahrnehmung, zumindest ein Unverständnis verursacht. Ist denn das Ungeplante, das Krüger ins Zentrum seiner Rede stellt, wirklich im Unbewussten, im Mystischen der Inspiration zu suchen? Ist es nicht selbst schon in den Unschärfen der Sprache angelegt? In glücklichen, nichtgeglückten oder für den Dichter selbst überraschenden Fügungen von Tropen, Syntax, Diskursen? Kann man nicht das Ungeplante durch Eingebung einfach ersetzen durch verblüffendes Offensein des Dichters in alle Richtungen? Mit Sicherheit jedoch hielt Michael Krüger eine gute Rede, über die sich leidenschaftlich streiten lässt.
Michael Krüger | 1
„Meine Damen und Herren, ich habe einen Bekannten, der Professor für Rhetorik ist und über ein stupendes Wissen verfügt ...“
„Liebe heilige Ursula der Poesie, lieber Frieder von Ammon, ich bin immer – ja ich weiß nicht warum ... – ganz gerührt, wenn jemand einen Aspekt aus dem, was man selber geschrieben hat, herauspickt ...“
Münchner Reden 13
Michael Krüger Das Ungeplante zulassen.
Eine Verteidigung des Dichterischen
Münchner Reden zur Poesie
26 S., Broschur
Herausgegeben von Holger Pils und Frieder von Ammon
Buchgestaltung und Typographie von Friedrich Pfäfflin (Marbach)
Lektorat Frieder von Ammon
Lyrik Kabinett, März 2015
Michael Krüger wurde am 1943 in Wittgendorf / Kreis Zeitz geboren. Nach dem Abitur an einem Berliner Gymnasium absolvierte er eine Verlagsbuchhändler- und Buchdruckerlehre. In den Jahren von 1962–1965 lebte Michael Krüger als Buchhändler in London. 1966 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker. Zwei Jahre später, 1968, übernahm er die Aufgabe des Verlagslektors im Carl Hanser Verlag, dessen Leitung er von 1986 bis 2013 innehatte. Von 1981 bis 2014 war er Herausgeber der Literaturzeitschrift Akzente. Michael Krüger veröffentlichte zahlreiche Bücher als Lyriker, Prosaautor, Übersetzer und Herausgeber.