Münchner Reden zur Poesie
Herausgegeben von Ursula Haeusgen, später von Maria Gazzetti und ab 2014 von Holger Pils, jeweils mit Frieder von Ammon Publikationen im Lyrik Kabinett München
Redaktion im poetenladen: Walter Fabian Schmid
Marcel Beyer Aurora
Walter Fabian Schmid zu Marcel Beyers Münchner Poesierede (Lyrik Kabinett)
„Dreimal selig, wer einen Namen einführt ins Lied! / Das namengeschmückte Lied / lebt länger inmitten der andern – / Es ist kenntlich gemacht inmitten seiner Gefährten durch eine Stirnbinde, / die von Bewußtlosigkeit heilt“. Wo der Name im Lied für Mandel’štam die außersprachliche Wirklichkeit bewusster macht und zu einer Überzeitlichkeit verhilft, fragt sich Marcel Beyer: „Was macht er mit dem Gedicht?“
Namen sind für Beyer Kreuzungspunkte von verschiedenen Zeiten, die an den Namen gebunden sind; sie sind ihm Aufschichtungen, in die er sich eingräbt, um die verschiedenen Ablagerungen im Wort zu untersuchen. Dabei bleibt Beyer in seiner Rede vom 31. Mai 2006 vor allem an verschrobenen, an verschobenen Namen hängen; an Celans „Castrup“ und „Böcklemünd“, an Celans Idiomen entrissenen und autonomisierten Namen wie das „Nu“, wo er den Ursprung der Verschiebung und deren Wirkung aufs Gedichts sucht.
Namen legen unbewusste Analogien, Spuren und Verbindungen, die Zusammenhänge zwischen und außerhalb von Texten herstellen. In dem spannungsreichen Dialog zwischen Celans „Teufe“ und Thomas Klings „teufe“ gerät Beyer in seiner Semiose unter Tage; und unter Tage liegt das Rhizom; ein Rhizom von wortmateriellen und semantischen Schichten, die von der Teufe, vom Bergbau, zur körperlichen Tiefe, der Lunge, dem Dichterorgan, führen, denn „so [mit dem Namen] inhaliert uns der Dichter“ und zieht den Leser in sein Gedicht.
Walter Fabian Schmid
Vorwort von Ursula Haeusgen zur Reihe Münchner Reden
„Guten Abend, meine Damen und Herren, und herzlich willkommen
zur Münchner Rede von Marcel Beyer ...“
Marcel Beyer, geboren 1965 in Tailfingen / Württemberg geboren. Er lebt als Autor, Übersetzer und Herausgeber in Dresden. Beyer wurde unter anderem mit.dem Uwe Johnson-Preis (1997), dem Heinrich Böll-Preis (2001), dem Friedrich Hölderlin-Preis der Stadt Tübingen (2003) und dem Joseph-Breitbach-Preis (2008) ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm der Roman Kaltenburg (2008) und das Opernlibretto Arbeit Nahrung Wohnung (2008).