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Ulla Hahn

Liebesarten

Antike aus Polyester

Ulla Hahn: Liebesarten  
Ulla Hahn
Liebesarten
Erzählungen
DVA München, 2006
In diesem Frühling erschien der Essayband Dichter in der Welt. In dessen Vorwort vertraut uns seine Autorin Ulla Hahn an, dass sie bisher einen einzigen Verriss geschrieben hätte, was ihr immer noch leid tue. Wenn sie ein Buch nicht schätzen könne, schicke sie es an den Auftraggeber zurück. Klingt suggestiv. Wollte ich mich daran halten, müsste ich die druckfrischen Liebesarten rückfrankiert zur Post bringen.

Man kann Ulla Hahn trotzdem dankbar sein, dass es kein Roman wurde. So ließ sich das Buch nach entnervender Lektüre einer Erzählung schließen und in Tagesintervallen die dreizehn Liebesarten durchnehmen. Da fast keine ausgelassen wurde, schleicht sich der Verdacht erzieherischer Absicht ein, noch dazu, wo einige der Figuren Lehrerinnen sind. Es geht um Liebesabenteuer, um Nächstenliebe, um Liebesmissbrauch, Liebesentzug, Liebe zur Musik, Liebe über den Tod hinaus usw. Alles legitime Themen, wäre die Umsetzung teilweise nicht fast ha(h)nebüchen zu nennen. Wenn die Liebste zum Beispiel posthum als Motte im Schlafzimmer des Geliebten umherschwirrt, der natürlich mit einer launischen, verwöhnten Kaltschnauze verheiratet ist.

Die roten Schuhe auf dem Einband locken zum frivol erotischen Abenteuer in der gleichnamigen Geschichte. Umso pikanter, wenn dieses seinen Lauf auf einer Beerdigung nimmt. Was wir dann aber erleben, ist nichts als der halbherzig-laue Ausflug einer Frau, die wir uns besser in Sandalen am Bügeltisch vorstellen können als in einer verfallenden Burg mit feurigem Liebhaber.

Wir lesen genau das, was wir selbst sind: Mütter und Ehefrauen, die wir die roten Schuhe eher träumend auf den Tisch stellen, als dass sie uns an flinken Füßen zum Abenteuer tragen. Dies allein macht aber nicht die Schwäche der Geschichte aus. Im Gegenteil, mit entsprechenden stilistischen Mitteln hätte es ein Spiegel unserer unerfüllten Sehnsüchte werden können. Ulla Hahn vergibt diese Chance. Warum? Weil sie tagebuchartig an der Realität kleben bleibt. Sehnsüchte aber haben mit dieser wenig zu tun. Das Buch liest sich so, als würden dreizehn Damen am Kaffeetisch jede eine erlebte Begebenheit schildern. Das wäre an sich kein Makel, ist aber zu sehr mit Yellowpress-Modeschnickschnack beladen, um Literatur zu sein: „An diesem Abend riß ihr die Sicherheitsnadel vom Glücksschwein ein Loch in das Lagerfeld-Modell, sie verlor einen Ungaro-Schal…“ „…solle sie sich ein Chanel-Kostüm, Schmuck von Manfredi und einen Porsche zulegen... “

Der Eindruck von ephemerer Verbrauchsprosa wird verstärkt durch sprachliche Oberflächlichkeiten. Wenn Inhalt und Stil Risse haben, lassen Sprachschnitzer das literarisch instabile Gebilde weiter bröckeln. Ein Name macht heimisch, anstatt einen heimisch fühlen zu lassen. Menschen sind rücksichtsvoll gegeneinander anstatt zueinander. Dazu gehäuft Begriffe und Gesten aus vergangenen Zeiten, die in modern sich gebenden Szenen einfach nur lächerlich wirken: „… weil ihr Herz an einem Vermählten hing.“ „Seit der Notar und die Dozentin vor fast zwei Jahren zum ersten Mal beieinander gelegen hatten ...“

Schwer zu ertragen sind auch Arroganz und Überheblichkeit einiger Hauptfiguren. Leider lässt der Ton vieler Geschichten befürchten, dass hier nicht persifliert wird, sondern Anschauungen der Autorin durchscheinen. „Angehörigen so genannter unterer Schichten gegenüber aber empfinde ich seit jeher ein unbehagliches Gefühl …“ Das Bewusstsein der sozialen Schicht und dümmliches Herabschauen mag es im Leben so geben, nur entsteht daraus, im ungefilterten Plapperton wiedergegeben, niemals Literatur. „Ehe ich antworten konnte, hatte Frau Pedders die Brille in ihrer Handtasche verstaut, deren Geschmacklosigkeit nicht weniger verräterisch war wie die Schuhe.“

Bei soviel Selbstgefälligkeit wird auch die Natur zum willigen Diener. Zuverlässig zwitschern im geeigneten Moment Vögel, Schmetterlinge schwirren und Kühe brüllen, während der Wind, der gerade noch draußen sauste, einen Nebensatz später milde und kühl in den Raum streicht und über die Gesichter tastet. Selbst in den Texten, die sozial-kritisch zwischenmenschliche Probleme anschneiden möchten, machen unsägliche Bemerkungen alles schartig und schal, wie etwa in Eine einfache Geschichte. Die Beschreibung des heruntergekommenen Viertels mag ja gelungen sein, wird aber dann durch Einschiebungen – „Auf einem Mauervorsprung turtelte ein Taubenpaar“ – wieder mit Puderzucker überstreut und verrät die Autorin als verirrte Touristin in derlei Gegenden.

Dabei sind es nicht die Tauben, die das Bild stören, sie wissen nicht, wo sie turteln. Es ist die Bemerkung an sich. Sie wirkt so fehl am Platz wie die nähere Beschreibung der Aktentasche in einer dramatischen Szene, wo es allein auf die Hilfe ankommt, die einer Frau mit Kopftuch gewährt wird. Diese wurde von Jugendlichen angegriffen und steht nun hilflos und angsterfüllt vor der aufgeschlitzten Einkaufstüte, aus der die Lebensmittel auf die Straße fallen. Lisa, die Lehrerin, eilt hinzu und „Lisa holte ein Netz aus ihrer Aktentasche, Schweinsleder mit der Patina vieler Dienstjahre…“ Ist es in solch bedrohlichem Moment nicht egal, wie eine Aktentasche beschaffen ist? Der Autorin offensichtlich nicht. Ein Überdruss an Adjektiven raubt den umgebenden Dingen ihre Authentizität und taucht alles in lieblich wohlwollendes Licht: „Rosiger Schein aus vielen kleinen seidenbespannten Lampen umschloß die Tische mit warmem Glanz.“ Das Ambiente wird immer den Gesten gerecht, oder umgekehrt „und sie flehten mit ausgestreckten Armen zum Himmel empor, der herniederfunkelte aus tausend Augen.“

Am Schluss bleibt die Frage nicht aus, warum so viel Verdruss beim Lesen und so wenig Zustimmung zu den Geschichten? Mag sein, dass es am Etikett liegt. Es steht Ulla Hahn drauf, und man schlägt die erste Seite mit einer Erwartungshaltung auf, der nicht entsprochen wird. Erst kürzlich hat Ruth Klüger in ihrem Buch Gelesene Wirklichkeit versucht, den Begriff Kitsch näher zu bestimmen. Sie hat ihn am Beispiel der Plastikblume als Etikettenschwindel bezeichnet, die Illusion von Wahrhaftigkeit erweckend, die der näheren Betrachtung nicht standhält. Genau wie die „dreihundert Quadratmeter Antike aus Polyester“ im Garten des Steuerberaters in Ulla Hahns Eingangserzählung Zugspitze.

Gekürzte Fassung der bei literaturkritik.de erschienenen Rezension.

Ulla Hahn wuchs im Rheinland auf. Die promovierte Germanistin war Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten, anschließend bis 1989 Literaturredakteurin bei Radio Bremen. Ihr berühmter Lyrikband Herz über Kopf erschien 1981 – im selben Jahr erhielt sie den Leonce-und-Lena-Preis. Ihr lyrisches Werk wurde des weiteren mit dem Hölderlin-Preis ausgezeichnet. Für ihren großen Roman Das verborgene Wort erhielt sie als erster Schriftsteller 2002 den Deutschen Bücherpreis. 1994 hatte sie die Heidelberger Poetik-Dozentur inne.

Dorothea Gilde     03.10.2006

Dorothea Gilde
Interview