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Augusto Monterroso
Das Schwarze Schaf und andere Fabeln

Minimalgeschichten von Tieren und Menschen

  Kritik
  Augusto Monterroso
Das Schwarze Schafe und andere Fabeln
Mit Illustrationen von Henning Wagenbreth
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Insel Verlag, Berlin 2011
72 Seiten, 14,90 Euro


„Microrrelato“ oder „microficción“ heißen sie auf Spanisch: Jene kurzen Texten, die sich an der Untergrenze des Erzählens bewegen. Als extrem reduzierte Texte üben sie sich in quan­tita­tiver Unter­bietung – und sind ein blühendes Format der latein­ameri­kanischen Lite­ratur. Ein wichtiger Vertreter der „Mikro­erzählung“ war der guatemaltekische Schriftsteller und Diplomat Augusto Monterroso. Sein 1969 erschie­nener Prosaband „Das Schwarze Schafe und andere Fabeln“ (Original: La oveja negra y demás fábulas) ist nun end­lich in deutscher Übersetzung erschienen.

Das Buch enthält 40 kurze Texte. Dem Titel zufolge handelt es sich um „Fabeln“, aller­dings aktua­lisiert Monterroso die Gattung auf ganz eigene Weise. Wie in den bekannten antiken Fabeln geht es in seinen kurzen Texten bevorzugt um Tiere mit allzu mensch­lichen Eigen­schaften. Eitel­keit, Dummheit, Grausam­keit – die typi­schen Schwächen werden ver­handelt. Doch mahnen Monterrosos Texte nicht mit erhobenem Zeige­finger mora­lisches Verhalten an. Vielmehr stellen sie die Absur­dität mensch­lichen Handelns aus und spitzen diese zu. Oft genügen dem Autor dafür wenige Zeilen wie in der titel­gebenden Fabel vom schwarzen Schaf:

In einem fernen Land lebte vor vielen Jahren ein Schwarzes Schaf.
Es wurde erschossen.
Ein Jahrhundert später errichtete ihm die reuige Herde ein Reiterstandbild, das sich im Park sehr stattlich ausnahm.
So dass fortan alle schwarzen Schafe, die auftauchten, umgehend an die Wand gestellt wurden, damit künftige Genera­tionen gewöhnlicher Schafe sich ebenfalls in der Bildhauerei üben konnten.

Pointiert, doch ohne abschlie­ßenden Lehrspruch widmen sich die kurzen Texte verschiedensten Lebens­bereichen. Dabei nehmen sie weder das Erzählte noch sich selbst allzu ernst. Auf erfri­schende Weise variieren sie die klassische Gattung der Fabel, lassen Anklänge an Mythologie und Märchen ebenso einfließen wie psychoanalytische Theorie.

Fröhlich parodieren Monterrosos „Fabeln“ die Textgattung, zu der sie sich selbst zählen, verkehren logisch-kausale Zusammen­hänge und erzeugen Komik durch beiläufig eingeführte Ana­chronis­men. Einfalls­reich verkehren sie gewohnte Perspektiven. So beschreibt eine Fabel die seelischen Qualen eines neurotischen Handspiegels, der sich leer fühlt, sobald sich niemand in ihm betrachtet. Ein anderer Text schreibt ganz nebenbei die Lite­ratur­geschichte um:

Die verträumte Schabe
Es war einmal eine Schabe mit Namen Gregor Samsa die träumte sie sei eine Schabe mit Namen Franz Kafka die träumte sie sei ein Schrift­steller der über einen Angestellten mit Namen Gregor Samsa schriebe der träumte er sei eine Schabe.

Neben der Kafka-Schabe tauchen in den Fabeln auch andere Schriftstellertiere auf. Meist sind es ver­hinderte, ver­kannte oder gehemmte, allzu selbst­kritische Autoren: der Affe, der Satire­schrift­steller werden möchte, doch aus Rücksicht über Mystik und Liebe schreibt und sich so zum Gespött gemacht; der Floh, der in einer schlaf­losen Nacht an seine berühmten Vorbilder denkt; der Fuchs, der nach zwei Best­sellern das Schreiben aufgibt.

Leichtfüßig bringt sich die Literatur selbst ins Spiel. Sie befragt die eigene Rolle: Spiegel der Gesell­schaft? Mittel zur Erbauung? Ökono­misches Gut? Monterrosos Texte streifen diese Fragen, ohne zu insistieren. Sie drängen dem Leser keine Meinung auf. Gerade diese Offenheit macht Monter­rosos Fabeln für heutige Leser so at­trak­tiv. Über vierzig Jahre nach ihrer Erst­veröffentlichung sind die kurzen Texte noch aktuell.

Eine Übersetzung dieser intelligenten wie heiteren „Fabeln“ war längst überfällig. Die nun erschienene Ausgabe ist dank der naiv-farben­frohen Illus­tra­tionen von Henning Wagen­breth auch sinnlich ansprechend. Hoffentlich verhilft es dem hier­zulande viel zu wenig bekann­ten, 2003 ver­stor­benen Autor zu mehr Beachtung. Diese verdienen seine schwarzhumorigen und klugen Texte allemal.

Carola Gruber   02.02.2012   

 

 

 
Carola Gruber
Prosa
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