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Birgit Kreipe
Schönheitsfarm

Nicht Schönheitsfarn noch Schönheitsgarn

Der neue Gedichtband von Birgit Kreipe
  Kritik
  Birgit Kreipe
Schönheitsfarm
Gedichte
Illustrationen: Elke Ehninger
Verlagshaus J. Frank, Berlin 2012
104 Seiten, 13,90 Euro


Die „Schönheitsfarm“, von der der Titel spricht, erreichen wir nicht gleich, es geht zunächst aufs Land, hinaus aufs Land, so muss man sagen – der Ereignishorizont von Kreipe ist für gewöhnlich die Metropole.

„kindheit und jugend / […] sommer, blaue milch mit weißen flocken / […] wind filzt das gras und sucht sich / unterschlüpfe, eltern flimmern / am wegrand“.

Doch noch vorher – noch bevor wir mit der Poesie und ihren Filzbewegungen konfron­tiert werden, ihren Flocken­momenten, elter­lichen Sommern und sich suchendem Wind – betreten wir eine Illustration, in der eine Schwarzkopffrau ein von Schach­tel­mauern kaser­niertes Geschlinge betritt, den Fuß eilig in einen Zopf­fluss setzt, der in einem Platten­teller­see mündet, in viel­leicht vinylem Wasser, dahinter vier Horizonte, am Wegrand, gesäumt von etwas wie Kinder­hand­baum­gras oder Tele­graphie­geäst, alles zusammen eine in sich interne Sequenz – ein markanter Maßstab für die ihm folgenden Texte.

„wenn du könntest, würdest du sie / verwandeln, in weiße elefanten / in galeerensklaven“.

Gemeint sind die Eltern von zuvor, eine alte Intrusion in der geschilderten beinahen Idylle. Das war es dann aber auch mit diesem genealogischen Artefakt. Das Überwältigen lässt sich in diesen Texten nicht oft vom Bewältigen überholen.

„dein bräutigam hat blaues blut. / er trinkt wie ein tulpenfeld. / […] der see ist nicht gefroren / – er ist im widerstand –“.

Wir befinden uns in enigmatisch zerfransten Räumen: Landschaftsisotope, von Märchen durchsetzt, Mytheme wie Tupfer in einem Nichts. Seltsame Wechselspiele zwischen Dingen und Ich. Letzteres nennen wir probe­halber Kafka­wittchen, in ihm flimmern Traumnachbilder und Relikte von Grübelroutinen. Erin­nerungs­schweife und metaphorische Extrakte, ausgeführt in restkindlicher Zartheit oder als gereifter Frost.

„schneeweißchen schlief / eingewickelt in winterlicht / wie in weißes geschenkpapier / die finger wund. eine / putzsüchtige“.

Bemerkenswert ist die Opposition von hell / weiß und dunkel / schwarz – als Zustands­indi­katoren sind diese Werte fast maßgeblich für den Band. Wir begegnen einer grell erleuch­teten Frau, dem (klinisch) weißen Bademeister und dem weißen Apo­theker, die ganz anders weiß sind als die „weiße / pracht“ des Schnees. Wir erfahren von einem schwarzen Theater, von kohl­schwarzen runden Schatullen, und auch Amphe­tamin­schocks sind als schwarz benannt. Die Bezugsfigur „mutter“ erfährt eine Deutung als „dunkle fregatte“ und ist damit zwangsläufig nicht „hell wie / knisternde knochen“.

Dies sind elementare Pole. Übergleißt und umdunkelt. Pole, zwischen denen man immer schreibt. Hier die Reinheit, Unver­sehrt­heit, Überbelichtung, dort die Konta­mination, verlöschende Erkennbarkeit. Keller der Psyche.

„war voller teer, schwarz bis ins mark“ einerseits, anderer­seits „der wille / […] weiße welten zu bauen / auf den leuchtreklamen der stadt“.

Überhaupt werfen viele Situationen Farben auf. Aber was wäre eine Schön­heits­farm ohne Make-up? Interessant jedoch ist, wie sehr das Rot aus dem Kolorit hervorsticht: „rote diebin“, „rote wespen“, „rote sandalen“, „ein rundes rotes zurück“, „rote katze“, „rote steine“, „über dem turm die roten aspekte der landschaft“, „rote streifen am kamm“, „rot wie gift­käfer“, „unter der rotgefiederten sonne“. Uns scheint es dennoch eher Regieanweisung zu sein, nicht Motiv, Symbol. Ein vorgabefreier Auffälligkeitsmarker. Nichts, was psychologisch bilanzierbar.

Kreipe liebt die „eigenartige fügung“ mehr als das Geradeausgedicht. Liebt metaphorische, auch cartooneske Schlieren. Chiffren, durch die sich das Ich vor allzu großer Nachstellung absichert – sich abseilt, ohne sich zu verschweigen.
Ihre fragmentierten Narrationen sind einiges, zum Beispiel märchenliche Areale, in denen die Dinge erstaunliche Relationen erfahren.

„spiel der synapsen / überfließen der landschaft / innenbrände am himmel / rasenfrösteln, darauf / vergrößerte rehe“. und „unter den achseln lässt [das licht] / salzige flügel wachsen“.

Besonders gefällt ihre Sprache, wo die Autorin sie zu lapidaren Bildern kondensiert. „der schrott des ikarus liegt in den felsen“. Das ist überaus Poesie. Dekrete jenseits des Deterministischen. Manchmal von emblematischer Qualität: „ich will wissen, was stärker ist: / die tritte, das gift oder die zukunft.“

Manchmal hätte man sich einen höheren Grad an Exaktheit gewünscht [„taubeeren winken / unerwartet wie gäste“] – trotz des immer erwünschten verqueren Zugriffs auf die Realität. Oder mehr Sinnlichkeit in der Kolportage [„ich bestand aus zwei schichten: hoffnung / und scheitern, eine torte, bei der das obst fehlt“]. Aber sehr viele Wünsche an gelungene Poesie sind in dieser Sammlung erfüllt.

Das Sein dieser Gedichte erscheint wie im Kalei­doskop geschüttelt. Semantische Gewagtheiten über­spielen ein vertrü­geri­schtes Geläuf. Es ist die Art von Poesie, die es darauf anlegt, nicht austariert zu sein. Zwischen all den Geheimnissen dieser Autorin ist wirklich Geheimnis. Ein Geheimnis, das uns bisweilen den Schön­heitsarm reicht.
Ron Winkler   01.04.2012   

 

 
Ron Winkler
Lyrik
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