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Giwi Margwelaschwili

Zuschauerräume

Wenn die Figuren die Zuschauer entdecken

Giwi Margwelaschwili | Zuschauerräume
Giwi Margwelaschwili
Zuschauerräume
Ein historisches Märchen
Verbrecher Verlag 2008
Der georgische Autor Giwi Margwelaschwili erzählt nicht nur Geschichten, sondern untersucht auch Genre. Damit wird sein Werk zu einer Mischung aus Literatur, Literaturwissenschaft und Philosophie. Nachdem Margwelaschwili in Officer Pembry den Kriminalroman aufs Korn genommen hat, setzt er sich in dem kurzen Theaterstück Zuschauerräume mit dem Medium Theater auseinander. Schon im ersten Akt lässt er eine seiner Figuren erklären, wie das Theater funktioniert: Es gehe darum, eine Geschichte darzustellen, „in der wir uns alle nur zum Zeitvertreib … umherbewegen, in der wir alle möglichst interessant sein müssen, damit die da draußen sich nur nicht langweilen, möglichst gefährlich, möglichst tödlich füreinander und auch immer möglichst unterschiedlich, damit die Gegensätze gut herauskommen …“

Genau das möchte ein Teil der Figuren in Zuschauerräume nicht mehr mit sich machen lassen. Nach einer Bodenreform, bei der das Land des Herzogs an die Bauern gefallen ist, und der Auflösung des Adelsstandes versucht der König, die Zuschauerräume des Königreichs zu zerstören, jene Räume, in denen es zwangsläufig zu Konflikten, zu Streitereien und Morden kommen muss, weil „zahllose unsichtbare Augen auf uns gerichtet werden“. Ohne diese Zuschauerräume, so die Meinung des Königs, herrscht im Staat wieder Frieden, denn alle Konflikte entstünden nur durch die Erwartungen des Publikums. Gleichzeitig möchte der Herzog den König aufhalten, den Besessenen loswerden und die alte Ordnung wieder herstellen, denn an eine Existenz von Zuschauerräumen glaubt er nicht. Und obwohl der König versucht, die Zuschauerräume zu meiden und sich nur in den Nicht-Zuschauerräumen zu bewegen, kommt es dennoch zu Krieg, Folter und Mord.

Die Kritik eines Mediums innerhalb desselben Mediums erweist sich wie immer als schwierig: Die Gesetze, die Margwelaschwili in seinem Theaterstück reflektieren und kritisieren will, muss er anwenden, um das Publikum bei Laune zu halten: Auch in seinem Stück wird alles dafür getan, dass „die Gegensätze gut herauskommen“: Seine Figuren sind „möglichst unterschiedlich“, ja sogar „möglichst tödlich“ füreinander. Gleichzeitig stellen sie nicht mehr als Schablonen dar, sie agieren im Dienste der Sache und sind nicht sich selbst und ihren eigenen Wünschen und Neigungen verpflichtet, sondern der Handlung des Stückes - mangelhaft ausgearbeitete Figurenpsychologie oder Absicht, die Gesetze des Theaters offenzulegen? Auch der Spannungsbogen des Stückes nimmt sich eher klassisch aus. Aber immerhin ist die Definition des Zuschauerraums als „Geburtsort allen weltgeschichtlichen Übels“, in dem „Zuschauervergnügen für eine fremde Welt“ stattfindet, ziemlich interessant.

Denn mit ebendieser Definition scheint Zuschauerräume nicht nur das Medium Theater zu reflektieren, sondern viel weiter zu zielen: Es wendet sich grundsätzlich gegen eine Theatralisierung der Welt, die nur der Unterhaltung dient. „Es ist ein höllisches Publikum, das sich da an unserer leidvollen Geschichte weidet, denn ein Sadismus, der sich aus unseren blutigen, historischen Gegensätzen ein unterhaltsames Schauspiel macht, ist luziferischer Natur“, heißt es im Stück. Margwelaschwili legt mit Zuschauerräume eine handfeste Medienkritik vor. Zwar haben Neil Postman oder Jean Baudrillard schon vor Margwelaschwili beschrieben, wie die Realität durch die Medien deformiert werden kann. Aber Margwelaschwili ist es gelungen, diese Theorie in ein amüsantes und gleichzeitig gelehrtes Theaterstück zu packen. Nun bleibt zu sehen, wie die deutschen Bühnen auf eine solch politisch-philosophisch-poetische Abhandlung reagieren.
Giwi Margwelaschwili wurde 1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geboren. 1946 wurde er zusammen mit seinem Vater vom sowjetischen Geheimdienst NKWD entführt. Der Vater wurde ermordet, Giwi Margwelaschwili in Sachsenhausen interniert, anschließend nach Georgien verschleppt. Dort lehrte er Deutsch. Erst 1987 konnte er nach Deutschland ausreisen. Ihn begleitete eine Unzahl von in der Emigration geschriebenen Romanen und Erzählungen. Er erhielt u.a. ein Ehrenstipendium des Bundespräsidenten, den Brandenburgischen Literatur-Ehrenpreis für sein Gesamtwerk und die Goethe-Medaille. Margwelaschwili lebt in Berlin.

Katharina Bendixen     11.06.2008

Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch