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Terézia Mora
Das Ungeheuer

Abstände vom Glücklichsein
  Kritik
  Terézia Mora
Das Ungeheuer
Roman
688 Seiten
Luchterhand Literaturverlag 2013


Man soll ja einen Roman nicht wegen seines Themas lesen. Das beleidigt ihn, falls er was taugt. Aber jede Regel (falls sie was taugt) hat ihre Ausnahme. Terézia Moras Roman „Das Un­geheuer“ habe ich wegen seines Themas gelesen: De­pres­sion. Ich finde es mutig, darüber zu sprechen. Aus­führ­lich. Schlimm ist manche Depres­sion vor allem, weil kein Mitmensch sie wahrhaben will oder gar als eine besondere Heraus­forderung aner­kennt. Genau darum geht es hier. Das Leiden der de­pres­siven Flora ist haupt­säch­lich eins an der Welt, die seelisch Leiden­den das Ver­ständnis verweigert. In der engsten Um­gebung fängt das an. Ehe­mann Darius schafft es nicht, das kleinste Stück­chen ver­dun­kelten Lebens­raum mit seiner Flora zu teilen. Auf­hören tut es mit dem Tod, vor­läufig. Flora wählt ihn, als sie nicht mehr kann. Und der Roman gibt ihr, was sie in ihrer Isolation als Figur ver­dient hat: ein eigenes Buch. Am Unter­rand der über sie und ihren Tod hinweg rol­lenden Ge­schich­te des Ehe­manns laufen Floras okkulte Aufzeichnungen.
  Darius Kopps allgemeine Fühllosigkeit ist damit zweierlei: Teil der Roman­aus­sage und Be­stand­teil eines lite­rari­schen Dilemmas. Denn dass einer mit der Urne seiner ver­stor­benen Frau durch Halb-Südosteuropa fährt, ohne das gemein­same Leben mit der Frau auch nur auf zwei zu­sammen­hän­genden Seiten zu re­flek­tieren, dispensiert das Erzäh­len auch – es ist nicht nur sein nach­denklich stim­mender Inhalt. Eine narrative Beliebigkeit greift in der oberen Roman­hälfte um sich. Wenn Darius Kopp auf der kroa­tischen Insel Lošinj un­ver­ab­redet seinen deut­schen Vater trifft, ist das die Spitze nur eines Eisbergs und das Erzähl­schiff über weite Strecken der Reise vom Scheitern bedroht. Denn Reisen, was Kopp über­wie­gend tut, ist noch nicht Leben und Road­movie-Szenen an­einan­der reihen noch nicht vom Leben han­deln.
  Womit mein Haupt­ein­wand zusammen­hängt: Der reisende Witwer wie die im Tage­buch um sich krei­sende Kranke, beide lassen sich zu groß­zü­gig Leine in ein ab­schwei­fendes Nicht-Han­deln des Buchs von seinem Sujet De­pres­sion. In ein dis­tan­ziertes Be-han­deln tö­tenden Schmerzes, als sei der nur, was sich Lite­ratur neben ihrem Kern­ge­schäft und ohne Ver­lust­risiko eben auch mal lei­stet: ein The­ma. Da fehlt nicht viel und Maxim Biller sagt „Schlapp­schwanz-Lite­ratur“. Und Anja Utler sagt in Nummer 124/2 der Neuen Rundschau: „Dieses feige Ab­stand­halten. Im eigenen Text und vermittels des eigenen Texts. Als sei Greif­barkeit – und an diesem Ort naturgemäß dann auch: Treff­bar­keit, Wider­leg­bar­keit, An­nulier­bar­keit – der größte an­zunehmende Unfall.“ Utlers Aufsatz „Nur Sklaven sind unan­greifbar: Ver­wickelt euch!“ sei streng emp­fohlen.
  Terézia Mora wird freilich von den anklingenden Vorwürfen dann doch nicht getroffenen. Ihr Erzählen ist, nicht erst in diesem Buch, ein am Schmerz immer wieder festmachendes Exerzitium. Es verwei­gert sich jeder Er­war­tung, die von ihm selbst geweckte einge­schlos­sen. Es über­rascht und erfindet – darin schon fast wieder berechen­bar – Neu­heiten aller roman­tech­nischen Abtei­lungen, mit denen es die Sicher­heit des Lesers vor inhaltlicher Zumutung er­schüt­tert. Manche Ein­fälle sind einfach nur da und man weiß nicht wozu – hier ein Dauer­switch zwischen „er“ und „ich“ in der Erzähl­perspektive des Ober­texts. Aber die meisten funk­tio­nieren, berei­chern den Leser und – wie nebenbei – die Lite­ratur.
  Auf den Hin­weis be­schränke ich mich, wenn ich zum Schluss die letzten hun­dert Seiten des Unter­texts jeder und jedem stür­misch emp­fehle. Da passiert sogar noch, was ich mir von der Lektüre des Buchs ver­sprochen hatte: lite­rari­sche Kunst­fertig­keit, Aus­sage­kraft bis zum Schmerz und ein Gang hinter alle Illu­sionen, eine im Dunkel des ge­sell­schaft­lichen Abseits ris­kierte Begeg­nung mit dem Ungeheuer.
  Es sieht jetzt „verteufelt human“ aus wie Fausts Studier­zimmer­dämon und zugleich strup­pig wie „Der schwarze Hund“ von Les Murray, aus seiner „Denk­schrift über die Depres­sion“.
Ewart Reder   04.04.2014   

 

 
Ewart Reder
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