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Ewart Reder

Europa schreibt kroatisch

Wer keine Überraschungen liebt, soll keine kroatischen Bücher lesen



Roman Simić
In was wir uns verlieben
Roland & Quist 2007
Nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert fand Bismarck den Balkan. Er war nie dort. Die Kroaten hingegen, die ein blindes Schicksal in der penninsularen Bergwelt festhält, die die balkanische heißt, wollen sie von Klischees und Mythen befreien, so die Direktorin der Buchmesse in Pula vergangenen Dezember. Von Balkan-Klischees wollen die Schriftsteller hier nichts wissen, meldete der „Spiegel“ aus der Messestadt am Meer. Balkan mythenfrei echote der „Freitag“. Den Blick aufs blaue Mittelmeer, die Hoffnungen nach dem grauen Brüssel gerichtet, erfindet eine Nation ihre geografische (Unter-) Lage neu. Aber das, was man hier so oft den Balkanismus nennt, ist noch ein wenig da, das Chaos, die Unpünktlichkeit, die andere Brüderlichkeit, und ich wünsche mir eine lange Haltbarkeit dieser Dinge schreibt die kroatische Schriftstellerin Irena Vrkljan in ihrem Roman Seide, Schere. Wie dem auch sei, Deutschland, Europa, die Welt hatten in diesem März Gelegenheit, Kroatien und seine Schriftsteller besser kennen zu lernen. Zur deutschen Frühjahrs-Buchmesse hieß der Schwerpunkt „Leipzig liest Kroatisch“. Damit meldet sich eine Literatur zu Wort, die immer europäisch funktioniert hat und doch noch nicht so vereinheitlicht klingt wie andere. Nicht einmal im Greifen nach den blau grundierten, kranzförmig angeordneten Sternen sind die Kroaten nur verlässliche Beitreter. Europa als Stück der jungen Ivana Sajko sieht anders aus als im „Spiegel“. Laut Premierenbesprechung der Reutlinger Nachrichten rückt da „noch einmal ins Bewusstsein, auf welcher historischen Basis Reichtum, Sicherheit, Frieden, Demokratie und Freiheit der EU beruhen: auf Imperialismus, Krieg, Ausbeutung, Abschottung.“ Wenn sich kroatische Autoren durch das Leipziger Tor auf den deutschen Buchmarkt schleichen, dann, weil sie wissen, dass er der weltweit größte Markt für Übersetzungen ist. So nüchtern sagt es die Übersetzerin Alida Bremer, zusammen mit dem Ungarn György Dalos verantwortlich für den Messe-Auftritt.


Edo Popović
Ausfahrt Zagreb-Süd
Roland & Quist 2006
Wer keine Überraschungen liebt, soll keine kroatischen Bücher lesen. Der als Kriegsberichterstatter gestartete, als Underground-Prosaist bekannte Edo Popović erzählt in seinem letzten Roman Ausfahrt Zagreb-Süd Säufergeschichten, die den Ordentlichen so wenig gefallen können wie den Verwahrlosten. Kaum haben diese am beißenden Spott über Frauen und andere Spießer ihren Spaß, sitzt der Held im Wartezimmer einer Entziehungsklinik und bilanziert ein verpasstes Leben. Wo eben noch nichts als Bier getrunken wurde, geht es plötzlich um Demokratie und die Frage, ob nur die Verdrängung einheimischer Brauereien vom Markt damit gemeint sei. Ein ebenso kluges, dabei leiseres Buch legt Roman Simić vor: In was wir uns verlieben (beide im Verlag Voland und Quist). Ungewöhnliche, fast fotomechanische Überblendungen von Gegenwärtigem und Vergangenem bestimmen die meisten der elf Erzählungen. Immer wieder tritt die stumme, auch die Figuren stumm machende Hinterlassenschaft des Jugoslawien-Kriegs hervor. Auf den Höhepunkten bietet das Buch einen intellektuellen Genuss am Wenden von Gedanken, der an Siri Hustvedts titelähnlichen Roman What I loved erinnert.


Miljenko Jergović
Mama Leone
Folio, 2000
Von der Styria Medien AG und dem Zagreber Kulturministerium wurden unlängst eine Reihe neuer Übersetzungen vorgestellt, die die Themen- und Formenvielfalt der kroatischen Literatur zeigen. Einige dieser Texte sind greifbar, zum Teil in anderen Übersetzungen, alle kamen sie zur Leipziger Buchmesse im Wieser-Verlag neu heraus. Miljenko Jergović ist ein Autor, der Anspruch auf breitestes Leserinteresse machen kann: genau in den Beschreibungen, packend in den Finten und Fallen seiner Erzählregie, ein Humorist mit einem riesigen Herzen. Sein Erzählband Mama Leone (Folio Verlag) ist zugleich persönlicher als Julia Franck und lustiger als Vladimir Kaminer. Veljko Barbieri ist ein durch Erfahrung sublimer, erfolgssicherer Unterhalter, überall im Prosafach zu Hause. Der Roman Epitaph für einen königlichen Feinschmecker (Fischer TB) erinnert mit seinem verbummelten Philosophenton an Alfred Kolleritschs viel zu selten (nämlich nie) gespieltes Drama Die geretteten Köche, rechnet wie nebenbei schlagfertig mit dem sozialistischen Konformismus ab. An der Stelle freilich vermisst man auch Namen, die die ministerielle Bewerbung ebenso verdient hätten, Ljerka Car Matutinovic zum Beispiel, deren Sottisen über den Jugo-Alltag noch das besondere Aroma des Damenhaften verströmen, zugleich eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des Landes. Überhaupt werden die Frauen und die Poeten vernachlässigt in vielen der Übersichten, die vor der Messe noch schnell aus (männlichen?) Hüften geschossen kamen. Sofort übersetzt werden müssten zum Beispiel die Lyrikerinnen Lana Derkac und Maja Gjerek.


Irena Vrkljan
Seide, Schere
Wieser 2008
Von den elf bei Styria vorgestellten Büchern ist nur eins von einer Frau geschrieben – eins der zwei besten. Irena Vrkljan hat es geschrieben, es trägt den zauberischen Titel Seide, Schere. Ein Frauenleben zwischen dem Väterterror des königlichen Jugoslawien und der vaterlosen Vergessenheit in den europäischen Arbeitsasylen erzählt sich. Mit diesem Buch vertritt die Autorin bei Styria neben der weiblichen auch die poetische Hälfte der Literatur annähernd allein. Und kann beide Waagen halten. Wohl nur nach weiblichen Leiden sind Sätze dieser Art je geschrieben worden: Und ich fühle, was Bleistifte der Hölle schreiben, ist zugleich ein Lernen, und Zärtlichkeit kann überall hinfließen, abgestandene Ängste bleichen mit der Schrift, schreiben, werden kleiner. Über seine Heimatstadt Berlin las der Rezensent hier Entdeckungen, die nicht erst seit der Hauptstadt-Besoffenheit, sondern seit Walter Benjamin nicht mehr gemacht wurden, von denen aus die Autorin auch in ihren Balkan-Kommentaren zur Kronzeugin wird: Ich werde krank von einer perfekten Kälte und bin nun bereit, stundenlang im Regen auf die letzte Bahn zu warten, und ich glaube, dort wo es noch so sein kann, dort ist man zu Hause.


Ludwig Bauer
Partitur für eine Zauberflöte
Wieser 2008
Erst kriegte er ihn nicht hinein, dann hatte er alle Mühe ihn wieder heraus zu bekommen. Was Bismarck 1866 mit seinem Kaiser und Österreich erlebte, kann dem Rezensenten leicht mit seinem Leser und der kroatischen Gegenwartsliteratur passieren. So schnell ist da kein Ende zu finden. Ludwig Bauers Partitur für eine Zauberflöte ist ein Geheimtipp, der sich herumsprechen wird. Dem schwierigen Thema der Kriegserinnerung in Postjugoslawien kann sich ein Buch kaum behutsamer und leichtgängiger nähern als diese Wiener Exilantengeschichte. Auch gab es in den letzten zwanzig Jahren kaum einen sympathischeren Romanhelden als den musizierenden Taxifahrer Ferdinand, der seinem Vermieter einen Sack Dünger schenkt, weil er dessen Freude am Garten noch mehr genießt als den mitbenutzten Garten. Last but not least wartet in Deutschland Miroslav Krleza immer noch auf seinen Ruhm. Denn der darf hinter dem von Proust, Hamsun oder Joyce nicht zurück bleiben, wenn der Beitrag zur literarischen Moderne ebenso wie die Reflexion von Modernität im Bewusstsein des Einzelnen Maßstab sein soll. Die Rückkehr des Filip Latinovicz ist derzeit vergriffen, was den Roman jedoch in der Gemeinschaft mit Hauptwerken unserer Moderne etwa von Mehring oder Kesten nur noch zusätzlich adelt.

Bleibt nachzutragen, dass die erwähnten Stimmen der kroatischen Literatur zwar alle schön klingen, beileibe aber nicht nur die leichte Muse vertreten. In zwei der Bücher bersten am Ende die Sprechorgane, Kehlköpfe, der eine zerbissen, der andere von einem dazu seinem Zweck entfremdeten Instrument durchstoßen. Literarisch verdaulicher ist sicher ein (vor-) pommersch einheitsgrau gewordenes Deutschland. Wertvoller? Im Leben nicht.

Ewart Reder, geboren 1957, lebt als Autor und Redakteur in Maintal.

Ewart Reder    21.03.2008   

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