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Gibt es die Aporien der Avantgarde?

Von Bertram Reinecke

Essay

 

Enzensbergers Thesen scheinen sich durch schlichtes Wieder­käuen zum gültigen Stand der Debatte nobi­litiert zu haben.




Hans Magnus Enzensbergers Essay Aporien der Avant­garde erschien in dem Band Einzel­heiten II. Poesie und Poltik (Suhrkamp 1964)

 



Wer einen Text angreift, der ein halbes Jahrhundert alt ist, wirkt nicht nur inaktuell, er sieht auch aus, als wolle er aus der gesicherten Position der Gegenwart auf eine historische Bemühung herabschauen. Beides ist hier nicht der Fall, denn Enzens­bergers Essay „Die Aporien der Avantgarde“ ist aktuell, insofern sich die darin enthaltenen Miss­ver­ständ­nisse als erstaunlich zählebig erwiesen haben.1
Tatsächlich werden Enzensbergers Positionen heute sowohl in Einführungs­werken als Diagnosen kol­portiert2, wie in germanis­tischen Rezensionen ganz selbst­ver­ständ­lich als Hebel des kri­tischen Sach­stands angesetzt3.
Heute wird der Essay als Stützanker im öffentlichen poeto­logischen Gespräch verwendet, als hätte der Autor in seinem Essay irgend etwas Neues über die Avant­garde heraus­gefunden oder dies auch nur vor­gehabt und auch im begin­nenden 21sten Jahr­hundert beendet der Satz „Lies Die Aporien der Avant­garde, da zeigt sich, dass sich das Konzept schon damals erledigt hatte“ Seminar­diskus­sionen auf autoritäre Weise.4
Enzensbergers Thesen scheinen sich durch schlichtes Wiederkäuen zum gültigen Stand der Debatte nobi­litiert zu haben. Angriffe auf seinen Text machen sich dadurch sofort als subjektive Volten verdächtig.
Einen Nachgeborenen, dessen Weg mit der Fort­setzung ehemals als „avant­gardis­tisch“ einsortierter Posi­tionen zu tun hat, wehen Enzensbergers Thesen also recht kalt an.
Wenn allerdings in Abitur­stufe und Grund­studium ein Text die Grundlagen für ein Lite­ratur­verständnis legt – solche Grundlagen werden in den seltensten Fällen später ernstlich hinter­fragt – der in seinen besten Stellen eine unent­wirrbare Ver­knäulung weniger wahrer und aller­hand falscher Annahmen darstellt, sich im wesentlichen aber als ein wohl­formu­lierter Ausdruck von Resen­timent erweist, ist irgend etwas schief gegangen.
Statt auf sachliches Zeigen kam es Enzens­berger seinerzeit auf etwas anderes an: Seiner Diagnose folgend, dass es sich bei den Avantgarde­jüngern um eine Schar handelt, die totalitären Verführungen gegenüber aufge­schlossen ist, errichtet Enzensberger selbst einen totalitären Diskurs, der sie durch das Auslösen ihrer intel­lektuellen Reflexe.5 von ihrem „Irrglauben“ abbringen soll. Er stellt sozusagen eine Art Gegengift zum Avant­gardismus her. So muss sich jeder, der den Text heute noch affirmativ zitiert, fragen lassen, ob er sich damit nicht seinerseits ideolo­gischen Denkmustern unterworfen zeigt.
Ich sehe mir also die argumentative Struktur von Enzensbergers Essay genauer an, weil seine Jünger wie seine verunsicherten Feinde und vor allem selbst Fachgelehrte, die es besser wissen sollten, offen­sichtlich davon ausgehen, er hätte eine nennenswerte.6
Wer einen Text argumentativ kritisiert, der einen so festen Bestandteil der Doktrin der Gegenwart darstellt, ist in einer ähnlich misslichen Lage wie ein Anwalt, der einen Urteilsspruch wegen grober Verfahrensfehler angreift: Er mag sich mit seinen Ausführungen durchsetzen. Es bleibt das Gefühl, in einem höheren Sinne hätte der Andere Recht. In einem ideolo­giebelas­teten Feld hat man mit spröden Argu­menten eigentlich keine Chance.
Zunächst ist das Zentralstück, auf das sich Titel und Argumen­tation beziehen, seine Entwicklung der Aporien aus dem Begriff Avantgarde, so plausibel sie scheinen mag, irre­führend. Erstens ist das Argument, aus der Geschichte des Begriffes ersähe man notwendig Relevan­tes für die Gegenwart, an sich fragwürdig: Genauso sinn­voll wäre es zu behaupten, der Beamte, der ein Licht­bild von mir verlange, verstricke sich damit in unauf­lös­liche Aporien, schließlich bedeute das Wort, wie man aus seinem histo­rischen Gebrauche wisse, etwas wie idea­li­sierende Vor­stel­lung und man könne es also allenfalls im Herzen tragen.7
Wer sich auf die fragwürdige Argumenta­tions­weise dennoch einlassen will, die These also zu retten versucht, muss eine unge­brochene Tradition der Verwendung des Begriffes „Avantgarde“ unterstellen. Gerade diese freilich bestreitet Enzens­berger, wenn er seine Analyse als Angriff, als Aufzählung verborgener Aporien vorträgt und nicht als die Aufzählung von Selbstverständlichkeiten.
Selbst wenn man also hier Enzensberger vor Enzensberger in Schutz nimmt, wird seine Analyse allerdings damit nicht richtiger: Er behauptet, der ursprünglich räumliche Sinn des Präfixes „avant“ bei seiner Verwendung im Wort Avantgarde habe sich bei seiner Übertragung in die Kunst in einen zeitlichen verwandelt.
Das ist so nicht richtig, denn der Begriff der Avantgarde hat auch im militärischen Sinne einen klar zeit­lichen Aspekt: Die Avantgarde ist vorher schon da, wo das Heer hin soll. Ebenso lässt sich das Treiben einer Avantgarde im künstle­rischen Sinne ebenso gut auch räumlich auffassen. Dies zumal, wenn man bedenkt, zu welcher Zeit der Begriff (auch Enzens­berger weist darauf hin) von Künstlern aus dem Militärischen entlehnt wurde: Mitte des 19. Jahrhunderts. Avantgarde, nach Enzensberger ja durch ihren Hang zu Gruppenbildung und Ismen gekennzeichnet, spricht sich in der Frühzeit demzufolge beispielsweise als Realismus, Symbolismus oder Naturalismus aus. Alles Strömungen denen es, wenn nicht vor allem, so doch immer auch um die Erschlie­ßung neuer Gebiete und Themen für die Kunst ging (das alltägliche Dorfleben, die Großstadt, das Reich des Vor­bewussten, der Dro­gen­erfahrung und die des Traumes, das fami­liäre und soziale Elend usw.). Kunst sollte in Gebieten und von Gegenständen handeln, wo Kunst vorher nicht war. Auch hier bleiben zeitliche und räumliche Aspekte also verschränkt und Enzensbergers Aporien.8 erweisen sich als Ergebnisse seiner eigenen Begriffs­ver­wirrung: Wer als Künstler ein Feld betritt, auf dem vorher niemand gearbeitet hat, kann das diagnos­tizieren, ohne in die Zukunft zu schauen, er muss lediglich die Vergangenheit kennen. Und insofern man sich gerade bei den Anliegen dieser frühen Avantgarden vorstellen kann, dass dort nicht nichts ist, sondern dass das Feld immer schon von anderen Diskursen besetzt ist (medi­zinischen, solchen über Mildtätigkeit, teleo­logischen usw.) kann eine militä­rische Metaphorik dann und wann auch einen Sinngehalt haben.9
Enzensberger operiert aber schon deshalb mit immer verwirrteren Begriffen, weil er sich in den Kopf setzt, die Bestand­teile des Begriffs „Avant“ und „Garde“ gesondert zu behandeln. So käme jemand, der sich in den Kopf setzte, die Bestandteile „Licht“ und „Bild“ des Wortes „Lichtbild“ getrennt zu unter­suchen, sicher auf alles Mögliche, aber nicht darauf, dass es sich bei „Lichtbild“ schlicht um ein Passfoto handeln könnte.
Dass die „Garde“ ursprünglich etwas mit Umgrenzung zu tun hat und dass es bei der Garde Napoleons um Kadaver­gehorsam gegangen sein mag: zuge­standen. Der Sexappeal des Begriffs Avantgarde hat jedoch gänzlich andere Ursachen: Die vordersten Spitzen eines Heeres waren beritten, waren und mussten flexibel und eigen­verant­wortlich handeln. Deswegen bestand die Avant­garde gerade nicht aus stumpfen Befehlsempfängern, sondern aus Menschen, die sich aus eigenem Entschluss für die Sache einsetzten. Einem Berittenen im Feindesland stehen schließlich alle Möglich­keiten von Desertion oder Konspiration offen.10
Es lohnte kaum, sich mit Enzensbergers Begriffs­verwir­rungen abzugeben, gelänge es ihm nicht auf subtile Weise, seine Analysefehler jeglichen Avantgardisten als Charakterfehler in die Schuhe zu schieben.11

Geht man davon aus, das eine gemeinschaftliche Anstrengung zu einer Veränderung künstle­rischer Maßstäbe nicht unmittelbar mit einer Charakter­schwäche zu tun hat, wird Enzens­bergers weitere Argu­mentation dürftig.
Denn er sagt es ja selbst: „Kein einziges Werk ist zu widerlegen mit dem Hinweis darauf, dass sein Urheber sich zu dieser oder jener Garde geschlagen hat.“ Wenn aber das einzelne Werk über das Programm einer Gruppe immer hinaus­reicht, versteht es sich nicht von selbst, dass irgendwelche (Fehl)leistungen Marinettis, Kerouacs, Dalis oder Bretons unmittelbar ihren Gruppen anzulasten wären, noch weniger, dass sie die Avant­garden an sich beträfen.12
Sätze, die man für geschmacklos halten kann, wie „Kriege meliorieren die Rassen“, „Hitler ist der größte Surrealist“ oder „Die einfachste sur­realistische Tat besteht darin, mit Revolvern auf die Straße zu gehen und so lange wie möglich in die Menge zu schießen“ mögen sich in avantgardistischen Manifesten häufiger finden als etwa in einem Kochbuch: Dass es Avantgarden auch um Provo­kation ging, soll nicht bestritten werden.
Man kann allerdings auch untersuchen, wie die von Enzensberger zitierten Provo­katio­nen hergestellt sind und wird schnell finden, dass er Verschiedenes in einen Topf wirft. Während es sich bei dem Marinetti­zitat tatsächlich um dumpfen Faschis­mus handelt, leben die beiden anderen von der Fall­höhe der Bedeut­samkeit ihrer Themen. Angesichts von Gewalt und Schrecken wirkt jedes Nebenthema, zumal im zweiten Falle, wo es sich (vom Satzbau) keck zum Hauptthema aufschwingt, schnell geschmacklos.
Wir alle erinnern uns, wie schwer es nach den Ereignissen des 11. September wurde, eigentlich wichtige Fragen wie Versäumnisse der Entwicklungspolitik, Probleme der medialen Darstellung anderer Kultur oder von Gewalt zur Sprache zu bringen. Die Soziologie hat dafür ein Wort: Betroffen­heits­spirale. Die eigent­lich begründete Scheu, andere zu verletzen, führt dazu, dass Differen­zierungs­prozesse nicht mehr öffentlich ausgetragen werden können und Tabus entstehen. Es gibt nur noch schwarz oder weiß. Das Brisante an solchen Spiralen ist, dass solche Betrof­fenheit nicht einmal empfunden werden muss. Es genügt dazu, wenn es öffentliche Arti­kulationen von Betrof­fenheit gibt (manchmal sogar nur im Namen von anderen). Die eigent­lich begründete Scheu, andere zu verletzen, kann angesichts von Gewalt und Schrecken daran beteiligt sein, eine plura­listische Zivil­gesellschaft zu unter­graben. Die Frage nach den Konven­tionen bürgerlicher Angemessenheit, die sich noch in den rüden Provo­kationen der Sur­realisten ausspricht, handelt also von sehr viel bedeut­sameren Dingen als der Frage, „ob man Fisch mit dem Messer essen“ soll.
Dem deutschen Musterschüler Enzensberger hingegen fällt zu den zitierten Sätzen nicht mehr ein als zu behaupten: „Die sagen Hitler und Gewalt, die sind böse“ Und alle gut (autoritär) erzogenen Musterschüler haben sich gefälligst mit Ekel abzuwenden.13 Nach der Polizei zu rufen traut er sich damals noch nicht.14

Überhaupt scheinen ihm Verfahrens­neuerungen, veränderte Haltungen und der­glei­chen ziemlich egal. Worauf es ihm ankommt, ist der poli­tische Inhalt, die Tendenz. Damit tut er genau das, was auch die Kritiker des Neuen Deutschlands taten, und was er zu Recht rügt: „Diese Vo­rschriften sind immer dieselben Der Akzent muss auf welt­anschaulichen Fragen liegen“ Die italienische Futuristen und die Surrealisten kommen ihm wegen der charakterlichen Dispo­sitionen ihrer geistigen Vor­reiter da besonders entgegen. Der Expres­sionismus dürfte auch 1962 in Deutschland zu bekannt gewesen sein, als dass man ihn so lapidar über diesen Kamm scheren kann.15
Auf sonderbare Weise fängt er im hinteren Teil des Essays an, den Futurismus für ein Urphä­nomen der Avantgarde zu halten, während er sich vorher, damit seine Begriffsanalyse irgend plausibel ist, dazu ent­schlossen hatte, dass Phänomen bis ins mittlere 19. Jahrhundert zurück zu datieren.
Ebenso seiner Sache dienlich wie aus der Luft gegriffen ist die Behauptung, der Surrealismus sei die am besten ausge­baute Avant­garde. „Alle früheren und späteren Grup­pierungen wirken mit ihm verglichen armselig dilet­tantisch und unartikuliert.“
Diese Diagnose ist in Bezug auf den russischen Kubo­futurismus/ Kons­truktivismus zumindest erklä­rungs­bedürf­tig16. Denn diese Bewegung hatte, wie die Surrealisten, neben einer ausgeprägten Manifestkultur ebenso eine reiche lite­ra­rische Produkt­ion und war ein gesamt­künstle­risches Phänomen. Nicht nur gibt es wie bei den Sur­realisten zahl­reiche richtungs­weisende Pro­duktionen in bil­dender Kunst und Film. Der Kubo­futuris­mus-Konstruk­tivismus erstreckte sich folgenreicher als der Sur­realismus auch auf Architektur, Bühne17 und die zeitgenössische Musik. Er hatte nicht nur wie der Surrealisms seine eigenen Publikations­organe (LeF, MAF), durch ihn beeinflusst erschuf sich auch gleich die passende Literatur-, Sprach- und Kunst­wissenschaft.18
Ebenso wird man schwerlich behaupten können, dass Leute wie Chlebnikow, Majakowski oder Krutschonych ihre größten Leistungen erst in Abkehr von ihrer Doktrin vollbrachten, wie das Enzensberger pars pro toto anhand der sur­realistischen Künstler dekretiert. Es gibt durchaus Programme, die nicht erst in ihrer Überwindung künstlerisch fruchtbar geworden sind, auch wenn es unser Kunstverständnis, das durch Geniekult, Auratik und Adorno hindurchgegangen ist, frustrieren mag.
Enzensberger ignoriert dies alles mehr oder weniger bewusst und gießt lieber billige Häme aus. „Selbst­verständlich waren die gelegentlichen Sympatien der Avantgarde für die totalitären Bewe­gungen durchaus einseitig ...“ schreibt er mit Blick auf die russischen Futuristen. Gewiss: Sie betrach­teten die russischen Umwälzungen mit Hoffnung, was angesichts des morschen zaris­tischen Ochrana­staates kaum verwunderlich ist. Sie waren, vielleicht sogar mehr als nur gelegentlich, Kommunisten19. Ihnen dies vorzwerfen, wäre ebenso logisch, als wolle man Stefan Heym oder Adolf Endler nachsagen, sie legten sich zur CSU ins Bett, weil sie sich als Demokraten gegen eine verkrustete DDR-Büro­kraten­herr­schaft zur Wehr setzten. (Und Stalinisten argumentieren ja in der Tat so!)
Da es ihm nur um poli­tische Inhalte geht, ist es konsequent, dass Enzens­berger nicht ein einziges literarisches Werk der von ihm behan­delten Avant­garden einer näheren Unter­suchung unterzieht. Er gibt eine Silben­reihe, die dann prototypisch für jegliche avant­gardis­tische Literatur einstehen darf.20 Dies ohne Kontext und man fragt sich: Ist dies Teil einer Rühmschen Sprech­partitur? Über­raschendes Ergebnis eines Sortier- oder Umform­prozesses? Tragen die Silben vielleicht Reste einer Semantik oder sind sie Dokument eines expe­rimentel­len Scheiterns? Ehe man nicht weiß, was man damit anfangen kann, kann man eben nichts damit anfangen, ganz unabhängig noch von der Frage, ob das Werk nun künstle­risch hochwertig21 ist oder nicht. Wenn es den Avant­garden ernst ist mit der Ein­führung neuer Gebrauchs­weisen neuartiger Kunst­gegenstände, dann beweist das nichts.
Ebenso leicht könnte man folgende Buch­stabengruppe als eine sinnlos in die Tastatur gehackte Buch­stabengruppe dis­kreditieren:

„Taumatawhakatangihangakoauauot­amateaturipukakapikimaun­gahoronukupokaiwhen­uaki tanatahu“

(Dabei ist es sogar fast ein Gedicht.) Statt näher hin zu schauen, klopft Enzensberger lieber seinem Leser auf die Schulter: Deine (historisch, z.B. in der Schule erlernten) Maßstäbe reichen aus, die Fülle auch neuerer Experi­mente intel­lektuell zu bewältigen. Wer sich als Leser in diesem schönen Lichte uni­verseller Kritik­fähigkeit sonnen will, muss freilich Enzens­berger voll vertrauen und die Kröten mit­fressen. Es ist dies eine Variante einer rhetorischen Strategie, die sowohl bei Handels­vertretern als auch bei den Zeugen Jehovas Anwendung findet: „Sie als intel­ligen­ter Mensch werden mir doch zustimmen, wenn ich sage, dass ...“22
Auch in Bezug auf das Experimentieren belässt es Enzensberger bei den naiven Legenden der Schul­bücher und mag die weitaus differen­zierteren Anmer­kungen, die etwa Helmut Heißenbüttel zu diesem Thema gemacht hat, sich und dem Leser nicht zumuten.23 Auch hier appelliert Enzensberger an einen Common sense, dem er an anderer Stelle als bloß aner­zogenen miss­traut.24 Insofern viele Texte land­läufig als expe­rimentell bezeichnet werden, die dies ihrem eigenen Selbst­ver­ständnis nach nicht sind, bloß weil sie der Allgemein­heit unbekanntere Sprech­weisen nutzen, ist ein solcher Apell verfehlt.
Überhaupt hat sich Enzensberger bei den ihm verhassten tradi­tiona­lis­tischen Kritikern mit ihrem Common-sense-Stand­punkt allerhand abgeschaut. „Das Erbe … muss als Knüppel herhalten, mit der der modernen Literatur heimgeleuchtet wird“ schilt er ganz richtig,25 um dann seiner­seits den zeitge­nössischen Avantgarden mit den Klassikern der Moderne (Proust, Joyce, Kafka) eins über die Mütz zu ziehen.
Auffällig ist in seinen Formulierungen auch der Bild­gebrauch: „Das Kunstwollen solcher Kritik äußert sich darin, dass ihre Sprache, unter welchem Partei­abzeichen auch immer, verlumpt und ver­rottet.“ Diese Sätze münzt Enzens­berger auf Lukács, sie lassen sich aber durchaus auf seinen Text beziehen. Ebenfalls wider Lukács schreibt er: „Der Bock als Gärtner ist auf die Botanik nicht angewiesen.“ Soweit wäre dies als Sentenz verständlich, setzte er nicht fort: „Er scheidet Kraut und Unkraut mit den Hörnern.“ Denn dieser Zusatz lässt die Metapher, die der Redewendung zu Grunde liegt, wieder aufleben: Der (Ziegen)bock galt als Tier, dass schlechthin alles wegfraß, also nicht falsch, sonder gar nicht botanisch unterschied. Dann ist nicht mehr klar, was das in Bezug auf Lukács bedeuten soll.26

An anderen Stellen kommt Enzensberger der Realität näher. Dennoch können auch diese Ausführungen hier nicht ohne Kritik passieren. So macht er in den Mani­festen der Avant­garden ein Span­nungs­ver­hätnis zwischen wis­senschaft­lichem Anspruch und einer Affinität zu mystischer Schau und „Irratio­nalismus“ aus. Dieses Spannngs­verhält­nis mag in der Tat bestehen, kann aber nicht als Merkmal der Avantgarden, sondern muss als eines der damals herr­schenden Diskurse angesehen werden: Auch bei Hesse27 geht es oftmals um die Polarität zwischen rationalistischem Geist und spontaner Emotion, bei Thomas Mann finden sich ebenfalls solche Passagen. Jede Zeit diskutiert ihre Konflikte anhand solcher binären Grund­unter­schiede, die dann irgend­wie „vermit­telt“ werden sollen. Und es gibt diese Kon­flikt­linie ja bis heute. Auch im Beitrag Norbert Hummelts, der sich sicher nicht als Avant­gardist verdächtig macht, in „Wie ein Gedicht ent­steht“ scheint sie in der Frage, ob Text­qualität durch Hand­werk oder durch Einge­bung erzielt würde, wieder auf. Auch er antwortet, wie es in dieser Ansetzung kaum anders zu erwarten ist: Beides natürlich! Eine Sonderambition oder einen origi­nären Geburts­fehler haben die Manifeste der Avantgarde an dieser Stelle also offen­sichtlich nicht.28
Ebenfalls recht hat Enzensberger mit der Beobachtung, dass die Begriffe Experiment usw. von der Avantgarde öfters mit rhetorischer Absicht oder als Handelsmarke eingesetzt worden sind: „Sie handelt mit einer Zukunft, die ihr nicht gehört“, etwa auch um „arrogant das kritische Urteil [zu] über­rumpeln.29 Irgend­welche Stra­tegien wird, wer sie ernst nimmt, dieser Kunst­richtung schon zuge­stehen müssen, die Erwartungen an Kunst per definitionem nicht erfüllt. Avantgardisten sind keine Heiligen, sondern Kom­bat­tanten. Auf­richtiger wäre es gewesen, hätte Enzens­berger für die (über­rumpelten?) Apologeten der Avantgarde von der dumm­dreisten Sorte nicht die Werke in Haftung genommen, sondern diese Vertreter selbst mit dem von ihnen reprä­sen­tierten Kultur­betrieb namhaft ge­macht.30
Bei aller Geißelung des Marktes, die Enzensberger betreibt: Sein Essay gibt ein recht naives Bild von seinen Mechanismen, wenn er einem Grüppchen von dreisten Avantgardisten zutraut, seine Gesetze ohne weiteres auszuhebeln.31 Auch Unter­drückung kommt bei ihm nur im Schauerbild des Polizeistaates vor.32 Dass Herr­schaft sich vor allem diskursiv vermittelt, wusste jedoch nicht erst Foucault, sondern wenn schon nicht Enzens­bergers geliebte Aufklärer, so doch zumindest deren zeit­genös­sische Gegner. Wenn seine Theorie des Marktes stimmt, müssten ja die radikalsten Vertreter, die aggressivsten Zukünftler sich am zügigsten auf dem Markt durchsetzen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Um beim vorher eingeführten Beispiel der Futuristen zu bleiben: Zuerst erreicht der gemäßigte Majakowski33 größere Verbreitung, dann der vielseitige Chlebnikow, während der radikale Krutschonych einer größeren Öffent­lichkeit nach wie vor kaum dem Namen nach bekannt ist. Ist Dali der radikalste Surrealist, Jandl der extremste Konkrete? Usw.
Wer solche Hierarchien von Wertschätzung und Bekanntheit mit Qualitäts­argumenten weg­diskutieren will, redet einer gemä­ßigten Moderne das Wort. „Hier wird für keinen mittleren Weg plädiert“, behauptet Enzensberger wie ein Handelsvertreter, der an der Haustür beginnt „Ich will ihnen nicht die Zeit stehlen aber ...“ – um es doch zu tun.
Eine krude Mischung aus Halbwahrheiten, Vorurteilen und Unterstellungen also ist dieser Essay, der geschickt an den gesunden Menschen­verstand, an die Scheu vor ideolo­gischen Ver­strickungen und an die Eitelkeit seiner Leser appelliert.
Wie wenig Enzens­bergers Avant­garde­kritik mit Argumenten und wie viel sie mit persön­licher Obses­sion zu tun hat, zeigt sich einige Jahre später in seinem Essay „Geimein­plätze, die neuere Literatur betreffend“. Hatte er 1962 die Avantgarde noch wegen ihrer Nähe zur marxis­tischen Ideo­logie kri­tisiert, kritisiert er im Jahr 1968 ein Zuwenig davon, wenn er feststellt, dass die Avantgarden nur die Pro­duktions­mittel, nicht aber ihre Pro­duktions­weise verändert hätten. Ver­ge­sell­schaftung der Lite­raturpro­duktion ist ihm nun ein wichtiges Anliegen. Schritte dazu fordert er auch von der ansonsten von ihm geschätzten Ulrike Meinhof ein. Was er aller­dings genau verlangt, bleibt im Dunkel. Denn Montagen, Palimpseste, Plagiate, um drei prominent in experi­mentel­ler Literatur vertretene Ver­fahrungs­weisen zu benennen, stellen ja selbst im handfesten juristischen Sinne die Eigentumsfrage. Und auch das Delegieren der Text­pro­duktion an den Computer, wie beim Bense­kreis geschehen, dürfte sich als Eingriff in die Produktionsweise darstellen, ähnlich wie der Wandel von der Manu­faktur­periode zum Industriekapitalismus.
Dennoch hat der Essay Furore gemacht. Soll man ernstlich weiter ergrün­den warum? Es ist offen­sicht­lich: Wenn eine Avant­garde mit dem Anspruch antritt, die Kunst einer (längst nötigen) Erneue­rung zu unter­ziehen, wertet sie die bis­herigen Kunst­leis­tungen, den bisherigen Kultur­betrieb und seine Vertreter ab. Dass man sich so etwas nicht ohne Widerstand bieten lässt, dürfte selbst­verständlich sein. Eine Abwehr, die nicht darauf ange­wiesen ist, sich mit der nicht mehr über­schaubaren Viel­zahl der ästhe­tischen Anfragen an das Herr­schende aus­einander­zusetzen, hat in dieser Situa­tion große Chancen populär zu werden und es auch zu bleiben. Selbst wenn sie dafür so unfair sein muss, bewusst falsche Maß­stäbe anzusetzen.34 Selbst wenn der Autor, wie gerade Enzens­berger oft, seine Über­zeugung wechselt wie ein Hemd.


________________________
1Als Stolterfoht diesen Essay einer Relektüre unterzog und darauf hinwies, dass Enzens­berger in seiner Polemik manche Behaup­tung wider besseres Wissen aufstellt, sprach er eigentlich eine Selbst­ver­ständ­lichkeit aus. Was uns wie eine Selbst­ver­ständ­lichkeit vorkam, ist in der Öffentlichkeit anders wahr­genommen worden: Ina Hartwig hielt in der Frankfurter Rund­schau Stolterfohts Hinweise schon für ein Schwarzärgern, Enno Stahl spricht jüngst auf Poetenladen von einer „harschen Kritik“.

2Nicht nur beim univärsitär viel verwendeten Wolfgang Welsch findet sich das, sondern auch in sich als Standard­werk ver­ste­henden Büchern wie „Sprachgeschichte – Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung“ von Werner Besch, Anne Betten und Oskar Reichmann von 2004 wird so vorgegangen.

3 So wundert sich Bettina Klix in ihrer Rezension zum Sammel­band „Film, Avantgarde, Bio­politik“ im Jahre 2009 darüber, dass die von Enzensberger thema­tisierten Aporien der Avant­garde den Autoren keiner Diskussion wert erscheinen.

4 Man müsste den Text ja jeder­zeit dabei haben, wollte man einem Dozenten wider­sprechen, der sich nur noch grob an den Text erinnert.

5 Natür­lich sind solche Reflex, etwa Stolter­fohts Unbehagen an lite­rarischen Grup­pen­bildungen, an sich berechtigt. Nur soll­ten sie einem nicht den klaren Blick auf Argumente verstellen.

6 Auch Enzens­berger verwahrt sich im Essay ja dagegen, für das Wort „Aufklä­rung“ allzu schnell das Beiwort platt parat zu haben.

7 „Ich liebte es, von Zeit zu Zeit Feste zu bereiten, die den Kindern einen poeti­schen Eindruck, ein aus­nahms­weise helles Lichtbild in der übrigens kindlich glück­lichen Ein­förmigkeit ihres Daseins hinter­lassen sollten.“ heißt es noch 1876, also ein halbes Jahrhundert nachdem Nicéphore Nièpce das erste Foto geglückt ist, in Malwida Freiin von Meysenburgs „Memoiren einer Idea­listin“ und weiter in diesem Werk: „Vielleicht kann man es aber auch so erklären, daß sie es nicht ertragen konnten, einen Flecken an ihren Heroen zu sehen, und wenn eine heller strah­lende Persön­lichkeit plötzlich eine Schwäche zeigte, eine Nachtseite der Natur, so ver­bannten sie diese rasch, um sich das götter­gleiche Lichtbild nicht verdunkeln zu lassen.“

8 Die Avantgarde müsse wissen, wohin die Zeit sich entwickelt, sie müsse ihren eigenen Heerwurm als Gegner betrachten usf.

9 Insofern ist die Ent­lehnung des Begriffs der Avant­garde sicher für die Kunst nicht weniger durch­dacht, als für das Feld der Politik.

10 Die fürchter­lichen Säube­rungs­aktionen des miss­trauischen Stalin zeigen, dass er als para­noider Reaktionär diese Problematik intuitiv besser verstanden hat als Enzens­berger.

11 „Ex se finxit, velut araneus“ oder wie Enzens­berger sagen würde. „Die beschei­denste Über­legung zeigt, dass es sich um einen simplen Bluff handelt“

12In seinem im gleichen Band ver­öf­fent­lichten Essay „Poesie und Politik“ nimmt er Baudelaire aus­drück­lich in Schutz davor, ihn nach einzelnen un­glück­lichen politi­schen Aussagen zu bewerten. Im hier untersuchten Essay jedoch sollen kollektiv selbst Leute für Sätze büßen, die sie weder geäußert, noch irgend sonst etwas damit zu tun haben, oder nenne mir einer die großen bar­barischen Gesten der konkreten Poesie! Auch die Dadaisten provo­zierten eher durch ihren Pazifismus.

13 Dass es wirklich um nichts weiter geht als diese Trivialität, lässt sich zeigen. Bretons Satz: „Die einfachste sur­realistische Tat besteht darin, mit Revolvern auf die Straße zu gehen und so lange wie möglich in die Menge zu schießen“ setzt Enzensberger ernstlich folgendermaßen fort: „Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis in Deutschland diese Maxime verwirklicht werden sollte“ (Man meint, den Autor bedenklich das Haupt wiegen zu sehen, nicht wahr?) Man braucht eine gewisse Dickfelligkeit: Meines Wissens sind die Nazis eher aus anderen Motiven auf die Straßen gegangen als um Kunst­per­for­mances im öffent­lichen Raum zu ver­anstalten. Auf diesem Niveau der Diskussion sollte man eher fragen, ob die Gleich­setzung des systema­tischen Völkermords mit einem „wahllos in die Menge schießen“, nicht die gut orga­nisierte Tötungs­industie der National­sozialisten verharm­lost. Zudem handelt es sich bei Bretons Satz nur mit großer inter­pretato­rischer Mühe über­haupt um eine Maxime (Handlungs­leit­linie). In erster Linie ist er vielmehr Teil der Expli­kation eines künstle­rischen Konzeptes.

14 Dafür wird er ein paar Jahrzehnte später gleich nach der Armee rufen, nachdem er Saddam lauthals zum Oberfaschisten aus­gerufen hat. Viel schneller als Avantgarden neigt ein Denken in binären Schemata, und stellte es sich selber auch das Kompliment „dialektisch“ aus, zumindest zu verbaler Gewalt.

15 Er nimmt ihn deswegen von seiner Kritik aus, indem er bestreitet, dass es sich überhaupt um eine festgefügte Bewegung dieser Art handelt. Seine Bemerkungen zu diesem Thema, und besonders sein Hinweis darauf, dass das Label Expressionismus von der Kritik vor allem dazu verwendet wird, eine Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Literatur zu vermeiden, gehören zu den wenigen grundsätzlich wahren Stellen des Essays. Andererseits hätte ein genauerer Blick auf die anderen geschilderten Bewegungen herausgebracht, dass sie ebenfalls sehr vielfältig sind, dass Literaturlabels ein schillerndes Eigenleben führen und immer auch in die Irre führen.

16 Wollte man die Fluktuation der Labels in dieser Richtung für ein Beispiel ihres, sagen wir, Dilet­tantis­mus erklären, beginge man eine petitio principii.

17 Vielleicht nimmt Enzensberger, dem viele dieser Neuerungen über Brecht selbst­ver­ständ­lich sind, nicht wahr, dass die künstle­rischen Konven­tionen, auf denen auch er fußt, erst mühevoll eingeführt werden mussten.

18 Hier kann man Enzensberger eventuell in Schutz nehmen: Jakobson wurde von der Literaturwissenschaft gerade erst entdeckt, Bei Bachtin dauerte es noch ein paar Jahre und spielte sich zunächst noch anderswo ab (Frankreich, USA).

19 je nachdem, wie man diesen Begriff mit Inhalten füllt

20 Dass dieses Werk mit dem Tun der Sur­realisten und Futuristen eigentlich wenig zu tun hat, versteht sich von selbst.

21 Was auch immer das ist.

22 Nicht jeder ist geistes­gegen­wärtig genug fest­zustellen, dass der Betrug schon beim Vorder­glied beginnt.

23 Nach Thomas Kuhn wird einem schwerlich einfallen, das wissen­schaft­liche Tun des Experi­mentierens als trivial zu bezei­chnen. Aber schon in den zwanziger Jahren hatte Philip Frank darauf hingewiesen, dass Lehr­buch­dar­stel­lungen wissen­schaft­lichen Fort­schritts ein ver­zerrtes und trivi­ali­sieren­des Bild wissen­schft­lichen Handelns geben (und damit selbst Wissen­schaftler verwirren).

24 „Er nimpts bei jm selbs ab.“

25 „Sobald ein Werk nicht mehr neu, nicht mehr riskant ist, wird es von eben jener Kritik behende als Klassiker der Moderne reklamiert ...“ Enzens­berger ebenda

26Selbst ohne diese historische Sensi­bilität bleibt das Bild schief: Zugestanden, dass ein Bock wie auch immer doch falsch botanisch unterscheidet, mit den Hörnern tut ers nicht, eher mehr mit dem Maul. Man muss vorher wissen, was Enzens­berger sagen will, damit ist der Nach­satz ein nutzloser Appendix.

27Auch die von Enzens­berger gerügte Feier der reinen Bewegung, findet in einer verin­ner­lichten Variante bei diesem Dichter ihr Gegenstück: Im Gedicht „Stufen“ wird ein Aufbruch, eine Reise gefeiert, der keinerlei positive Merkmale beigelegt werden.

28 Jede Zeit hat so ihre Stecken­pferde: Während de Renaissance vom Wechsel­ver­hältnis zwischen Mikro- und Makro­kosmos fasziniert war, versuchte der Barock die Spannung zwischen Endlichkeit und Ewigkeit aufzulösen usw. In der Kunst schlagen sich solche Diskurs­linien in der Regel in zahl­reichen Versuchen nieder, diese Gegensätze zu ver­mitteln. Späteren Rezipienten, die nicht mehr von diesen Diskus­sions­linien geprägt sind, drängt sich regel­mäßig der Eindruck auf, alle Texte sagten dasselbe. Das Ringen um die genau richtige, die aus­gewogene Position, das rheto­rische Umschiffen von argumentativen Klippen und dergleichen, das den Gehalt dieser Werke ausmachte, geht regel­mäßig unter.

29 Oder im besten Fall, um ihre falschen Gewiss­heiten zu erschüttern.

30 Wie es etwa Robert Gernhard sehr pointiert in seinem Buch „Der letzte Zeichner“ tut.

31 Getreu dem Motto: Alle vom Markt verblödet, außer ich – und Du lieber Leser.

32 „Konspiration im Namen der Künste ist nur möglich wo sie unterdrückt werden.“ Enzens­berger ebenda

33 Hierzulande wie in Russland

34 Wie Enzensberger, wenn er im fraglichen Essay gewohnt apodiktisch behauptet, ein Avant­garde­kunst­werk müsse strenger beur­teilt werden als jeder Heimat­film. Ja warum sollte denn die mangelnde Tritt­festig­keit eines Künst­lers, der sich allein und tastend auf noch unsi­cherem Terrain bewegt, mora­lisch strenger zu beur­teilen sein als ein Heimat­film, der mit dem Engagement einer großen Truppe von sich immer­hin auch als Künstler ver­stehenden Akteuren auf gesicher­tem Boden vorangeht? Enzens­berger Haltung tut nicht nur der Avant­garde unrecht, sondern zeigt auch eine eltäre Verächt­lich­keit gegen populäre Kultur.
Bertram Reinecke   06.03.2012   

 

 
Bertram Reinecke
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