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John Updike

Landleben

Eros versus Tod

John Updiket: Landleben
John Updike
Landleben
Roman
Reinbek: Rowohlt 2006
Das Ganze beginnt mit einem leisen Hauch von Ulysses. Ein Mann im Bademantel rasiert sich am Morgen, die Gedanken schweifen ab und erzählt wird schließlich, aus diesem Moment heraus, ein ganzes Leben. Owen, ein ehemals erfolgreicher Computeringenieur, blickt auf die 70 Jahre seines Lebens zurück – ein Leben, das sich um Computer, Kleinstädte, vor allem aber um die Frauen drehte. Es fängt damit an, dass der kleine Owen staunend vor den Sex-Graffitis an der Wand seiner Grundschule steht („ein fettes M mit Kraushaar in der Mitte“) und endet mit Haarausfall und den lüsternen Blicken auf die noch immer straffen Waden seiner 65jährigen Frau Julia. Dazwischen liegt so einiges an Frauen. Elsie, die Jugendliebe, Phyllis, die Mathematikerin, mit der er vier Kinder zeugt, Faye Dunham und Alissa Morissey, Kleinstadtfrauen, Frauen von besten Freunden, Vertreterinnen, mit denen Owen „die Möglichkeiten einer Nacht fern von zu Hause erforscht“.

Die alten Männer und der Sex – verpasste Chancen, Erinnerungen und Trauer um verflossene Potenz. Wie schon in seinem Kurzgeschichtenband Wie war's wirklich (2004) scheint der Mechanismus der Sublimierung bei Updike bestens zu funktionieren: Die Triebe werden direkt in die Prosa umgelenkt, bis auch wirklich die letzte sexuelle Praxis abgehakt ist. Updike ist ein Voyeur seiner eigenen Phantasien. Streckenweise hat man das Gefühl, Updikes Motivation zum Schreiben bestehe vor allem in der Motivation zum Be-Schreiben von nackten Frauen und von Sexszenen. Dieses Sujet beherrscht der alte Mann der amerikanischen Literatur allerdings nach wie vor perfekt. Die Präzision und Klarheit seiner Sätze ist atemberaubend. Man hört es förmlich knistern, wenn der Held Owen auf dem Rücksitz eines alten Chevys seine junge Freundin Elsie entkleidet, dann aber vor Angst „den Schwanz einzieht“, man fiebert mit beim ersten Ehebruch und wird abgebrühter mit dem zweiten, dritten, vierten. All das ist Kino im Breitbandformat, angehäuft mit Unmengen an Details. Die Genauigkeit der Updikeschen Bilder kann den Mangel an Spannung nicht wettmachen und es entsteht die paradoxe Situation, dass die Figuren zwar übergenau gezeichnet sind („während ihre dünnen, sommersprossigen und mit weißlichem Flaum bedeckten Arme bis zum staubigen Grund reichten und ihr langes Haar, rot wie Tonerde und fein wie der Staub, zwischen ihren Armen herabhing“), doch in ihrem tiefen Streben blass bleiben.

Landleben ist eine Erinnerungsorgie. Erinnerungsbücher sind immer solipsistisch, denn sie stellen den sich Erinnernden in den Mittelpunkt des Universums. Das gilt für den 70jährigen Owen aus Landleben privat wie politisch: Owen ist der typische Repräsentant des eitlen, aufstrebenden Amerika des 20. Jahrhunderts, das nichts als die eigenen Bedürfnisse gelten lässt und niemals einen Triebaufschub duldet. Dabei ist Landleben durchdrungen von einer großen Trauer. Hier schreibt einer, der nicht loslassen will, der manisch jede Einzelheit festhält, damit sie ihm nicht vom Tod entrissen wird. Hier lehnt sich einer auf gegen das Altern und das Vergessen und vergisst dabei manchmal, dass er für ein Publikum schreibt. Updike erzählt nicht wirklich eine Geschichte, sondern eine an der Chronologie der Ereignisse orientierte imaginäre Biografie, die vor allem durch die stilistische Gewandtheit der Sprache überzeugt. Wer sich von ihr fortragen lassen will in das amerikanische Jahrhundert, in verrückte Kleinstadtamouren und die Gründerzeit der Computerindustrie, dem sei dieses Buch empfohlen. Großen Wert auf eine spannende Story darf man dabei allerdings nicht legen.
John Updike wurde 1932 in Shillington, Pennsylvania geboren. Er studierte in Harvard und an der Ruskin School of Fine Arts in Oxford. Von 1955 bis 1957 war er Redaktionsmitglied des New Yorker. Sein Werk wurde mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet – seit längerem gilt John Updike als Anwärter auf den Literaturnobelpreis.

André Hille      24.07.2006

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