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Literatur und Glaube

Umfrage
Momente der inneren Unruhe
  Gespräch    Literatur und Glaube
 


Der „poet“ stellte Autorinnen und Autoren zwei Fragen zum Thema Glaube.
Gespräch in poet nr. 19   externer Link


1.
poet: Autorinnen und Autoren sind regelmäßig der Kritik anderer, aber auch der Selbstkritik ausgesetzt. Woran muss man glauben, um einen Text zu schreiben, um einen Gedichtband oder einen Roman zu beenden?

 

Carola Gruber: Ich weiß nicht, ob es so viel mit »Glauben« zu tun hat – vielleicht eher mit dem dringenden Wunsch, für eine Idee, einen Impuls, eine Beobachtung ... eine schriftliche Form zu finden.

 

Doris Wirth: Ich glaube, man muss daran glauben, dass man etwas zu erzählen hat, dass man erzählen will und wird. Man muss dem Eigenen trauen, muss wagen, sich ernst zu nehmen und zuzuhören. Der innere Zensor soll schweigen – ob das jemals jemand lesen oder drucken wird, ist einerlei. Denn der Moment des Schreibens gehört allein der Autorin, dem Autor. Er ist, um zur nächsten Frage überzuleiten, gewissermaßen heilig. (Und immer wieder schwer auszuhalten und voller Selbstzweifel und wunderschön.)

 

Sylvia Geist: Glauben – an die Kunst, mich oder womöglich eine Sendung – war nie eine Kategorie, die mir im Zusammenhang mit meiner Arbeit plausibel oder notwendig erschienen wäre. Ich fürchte, ich schreibe vor allem deshalb, weil es die interessanteste Beschäftigung ist, die ich finden konnte. Natürlich gibt es immer wieder verteufelt schwierige Phasen, und das muss auch so sein. Was mich »dranbleiben« lässt, ist im Zweifelsfall aber vielleicht einfach mein Dickschädel. Oder eine innere Unruhe, die sich erst legt, wenn ein Projekt abgeschlossen ist.

 

Marie Gamillscheg: Wenn man sagt, man muss an sich selbst glauben, dann klingt das ganz schnell furchtbar banal – aber ein bisschen stimmt das schon so. Man sitzt die ganze Zeit allein an seinem Schreibtisch, hat nur sich und den Text, mit dem man sich mal mehr, mal weniger versteht, da fragt man sich bald: Was mache ich hier? Warum mache ich das? Warum macht der Protagonist das? Helfen kann da wirklich nur ein blindes »An sich glauben« – manchmal auch ein Wort von außen.

 

Henning Ahrens: Man muss, trotz aller Zweifel und Anfechtungen, an den Text und sich selbst glauben.

 

Max Czollek: Frage – Gegenfrage: Wen möchte ich warum mit einer Ver­öffent­lichung meiner Texte be­eindrucken (ich könnte jetzt auch schreiben: er­reichen)? Wenn ich diese Frage beant­worten kann, dann habe ich auch einen Grund, ein Buch zu schreiben. Mehr Glauben braucht es nicht. Bei dem ein­zelnen Gedicht ist das schon darum anders, weil es nicht not­wendig eine Öffent­lich­keit erreicht. Wahr­schein­lich entsteht das Gedicht aber in einem Moment, wenn die Selbst­kritik sich gerade mit etwas Anderem befasst.

 

Hannes Leuschner: Woran muss man glauben, um eine Lasagne zu bereiten? An die italienische Küche? Was den Text betrifft, nehme ich an, man muss zumindest in gewissem Maße an irgendein Spiel glauben, in dem der Text eine Rolle spielt oder an den Text selbst als Spiel, um den Text zu schreiben; und zwar bestenfalls zumindest so lange, bis er eine verhandelbare Form gefunden hat. Was nicht bedeuten muss, dass man den Text oder das Spiel gutheißt oder richtig findet. Ich war jung und brauchte das Geld.

 

Andreas Altmann: Ich kenne keinen Menschen, der gern kritisiert wird. Im Grunde tun wir die Dinge im Glauben, sie richtig zu tun. Was wir am ehesten annehmen, ist Selbstkritik, wobei sich die Frage stellt, wie es zu dieser kommt. Dabei spielt der Wechsel des Blickwinkels eine wichtige Rolle. Ich kenne Autoren, die keine Kritiken ihrer Arbeiten lesen. Andere hegen Mord­gedanken oder spielen Aggressions- und Rache­pläne durch. Manche verstummen oder werden depressiv, wieder andere lachen darüber und verschlucken sich. Manche lässt Kritik völlig kalt und sie bekommen Fieber. Andere folgen ihr bis zur nächsten Kreuzung und biegen dann ab. Wieder andere verteidigen sich oder gehen ihrer Wege. Manche sind manisch. Sicherlich bin ich einer von allen.
Dichter geben alles von sich preis, egal, ob es in sprachreflexiven Texten geschieht, in Gedichten, die unabdingbar mit der Biografie und ihren Möglichkeiten verbunden sind, ob sie sich auf Geschichts- oder Wissenschaftsfeldern tummeln, ob sie sich Mythologien verschrieben haben usw.
Der Dichter entblößt sich in einem Gedicht. Oder er versteckt sich darin. Er legt sein Leben hinein und seine Eitelkeit. Das macht ihn verletzlich.
Was mich in Bewegung hält, ist Selbstreflexion, nicht nur in meinen Gedichten. In Abständen zweifele ich heftig an dem, was ich schreibe. Aber auch in diesen Phasen schreibe ich. Der Zweifel ist dann eine Art Selbstreinigung. Vieles für mein Leben Überflüssige und Unwesentliche fällt dann ab, zumindest in Gedanken. Und vielleicht auch im Gedicht. Der Blick klärt sich auf und wechselt die Seite. In diesen Phasen lektoriere ich die Texte selbst.
Es klingt mir sehr pathetisch, wenn ich sage, ich glaube an einen Text oder an das Buch, aber man sollte schon eine gewisse Sturheit, auch sich selbst gegenüber, mitbringen.
An einen Text zu glauben, darin liegt in meinen Augen etwas Religiöses, auch weil er ein Eigenleben führt, das durch jeden Leser auf seine Art materialisiert wird und gerade im Gedicht, in dem im besten Fall das Unsagbare zur Sprache kommt.
Als Dichter ist man immer auf sich allein gestellt, beim Schreiben, beim Lesen und bei aller Kritik
Religiöse Gedanken spielen in jedem Leben eine Rolle, auch wenn sie bei mir eher ungläubige Charakterzüge tragen. In den letzten Jahren habe ich zu oft an Gräbern gestanden und hätte gern den »lieben Gott« angerufen. Dabei blieb ich schweigsam. Und letztendlich untröstlich.

2.
poet: Spielt für Sie als Autorin bzw. Autor Religion eine Rolle – in positiver wie auch kritischer Sicht?

 

Josefine Rieks: Wenig. Die Lese­kultur spielt schon in der Gesell­schaft, wie sie jetzt ist, keine Rolle mehr. Was auch daran liegt, dass das meiste, was es zu lesen gibt, keine Rolle spielt und eine Ent­spannungs­variante auch keine gesell­schaft­liche Rolle spielt, denn die ist durch ein Bad ersetzbar oder ein angelei­tetes workout. Wer trotzdem liest und anders liest, wird das als derselbe Nerd, der er jetzt schon ist, auch weiterhin tun (außer es wird, per Über­wachung kontrol­liert, verboten). Und auch Ingeborg-Bachmann-Preise kann es weiter­hin geben, wie es das Reichs­tags­gebäude weiter­hin gibt. Lesen stand einmal, wie jede Kunst­rezeption, außerhalb eines wirt­schaft­lichen oder selbst­modulie­renden Zwecks, für einen Wert, der sich nicht in die Logik des Nutzens einordnen lässt und darum etwas mit Freiheit zu tun hat. Das ist längst nicht mehr so, und wird auch nie wieder so sein.

 

Sylvia Geist: Religion ist natürlich ein Thema, auch für mich als Agnostikerin, denn sie gewinnt ja immer mehr an politischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Übrigens nicht nur im Hinblick auf das Christentum, den Islam oder andere religiöse Bekenntnisse, oder in Teilen der Welt, in denen die Bedeutung der Religion ein mörderisches Ausmaß angenommen hat. Bei uns gibt es quasi-religiöse Gefühle zum Beispiel in Fragen des Lebens­stils. Rauchen, Fleisch­genuss, vor­ehelicher Sex u.a. steht für eine mora­lische Avantgarde – oder für eine neue Brahmanenkaste aus Asketen – sozusagen nicht mehr zur Debatte. Rebirthing-Rituale ersetzen die Psychoanalyse, schamanische Reisen werden von Studienräten gebucht, mittel­ständi­sche Export­weltmeister verordnen ihren Ange­stellten Medi­tations- und Fasten­wochenenden. Dass Börsen­makler aber­gläubisch sind bzw. so reagieren, als wären sie es, ist seit längerem bekannt. Ob man das alles nun bedenklich, ärgerlich oder komisch findet, der Rationa­lismus scheint jedenfalls zusehends abzu­wirtschaften. Parallel dazu gibt es eine Sehnsucht nach Sinn, die von den Priestern der diversen säkularen Konfes­sionen – des Hedo­nismus, der Mark­twirtschaft, der Selbst­verwirk­lichung – nicht mehr befriedigt zu werden scheint. Was keine schlechte Nachricht ist.

 

Carola Gruber: In meinen Texten spielte Religion bisher selten eine Rolle. An sich gefällt mir die Idee, dass meine Texte unabhängig von religiösen Anschauungen ihr Publikum finden, auch wenn das vielleicht eine Illusion ist.

 

Henning Ahrens: Christliche Grundwerte haben durchaus eine Bedeutung für mich. Aber in einer Zeit des reaktionären Rollbacks, in der der Glaube in seiner ideologisch verblendeten Variante wieder als Waffe missbraucht wird, wahre ich einen sehr skeptischen Abstand zu jeder Form von Religiosität.

 

Hannes Leuschner: Schreiben an sich als Bewusstseinstechnik findet ja leicht schon auf einer Art »religiöser« Ebene statt, sei sie dem Wanderschamanismus, der Vision, der Besessenheit ähnlich. Was ist Religion? Relegere hat zu tun mit Achtgeben im weiten Sinne, in einem engeren Sinne dann auch mit Achtgeben auf Regeln, Vorschriften: Die gibt es auch in Sprachen, teils befolgt man sie, teils bricht man sie. Religion im Sinne der als solche kanonisierten »Weltreligionen« (wie den mosaischen Religionen oder dem Buddhismus) finde ich persönlich als Sujet interessant, insbesondere, was den Katholizismus betrifft – ich interessiere mich aber auch für Pferderennen und Rotlichtmilieus und Verschwörungstheorien und so weiter. Die Wahl eines Sujets hat natürlich auch mit Zugängen zu tun, und vermutlich habe ich selbst mehr Zugang zu Religionen als zu Pferderennen – wobei ich gern auch mehr Zugang zu Pferderennen hätte.

 

Marie Gamillscheg: Als Autorin interessiere ich mich für Machtverhältnisse, für Vertrauen, für Misstrauen, für Glauben – in dem Sinne ist Religion ein spannendes Thema.

 

Doris Wirth: Natürlich spielt Religion für mich eine Rolle, insofern als es mein Aufwachsen, mein Umfeld, und – oft unbemerkt – auch mein Denken geprägt hat und prägt. Meine Wertvorstellungen sind dem Christentum entlang gewachsen, meine Arbeitsmoral ist zutiefst zwinglianisch. Manchmal ist Religion auch für meine Figuren wichtig. Ich träume davon, eine Geschichtensammlung zu schreiben, die so wild und wuchernd ist wie die Textcollagen in den Büchern der Bibel.

 

Max Czollek: Die Reihe Religion – Glaube – Utopie übersetzt sich für mich als Hoffnung, die eigene Arbeit hätte einen therapeutischen Effekt auf mich, auf meine Umwelt, auf die Sprache. In meinen Texten spielt diese Hoffnung nur eine strategische Rolle. Das bedeutet nicht, dass ich Glauben nicht für absolut notwendig halten könnte, um zu schreiben. Aber beim Schreiben interessiert mich Sprache als Symptom, also jene Wahrnehmung, die man vor der Therapie hat. Paranoia ist auch eine poetische Haltung.

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Thema in poet nr. 19

Literaturmagazin
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