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Anton G. Leitner (Hg:)

power / relax / smile

Lyrik statt Schokolade

Kritik
  Anton G. Leitner (Hg.)
power / relax / smile
Lyrik
dtv 2009
je 4,95 Euro


Trotz aller Begeisterung und dem großen Engagement kleiner und größerer Dichterzirkel kann nicht darüber hinweg gesehen werden, dass Lyrik heute leider selten beim breiten Lesepublikum ankommt: Bekanntlich gibt es in Deutschland schon lange mehr Lyrikschreiber als Lyrikleser. Gedichtbände zeitgenössischer Autoren liegen meist schwer verkäuflich in den Regalen der Buchhandlungen, falls sie dort überhaupt noch ausgelegt werden. Und um finanziell über die Runden zu kommen, arbeiten die Dichterinnen und Dichter von heute in allen möglichen Brotjobs – für die Literatur lebend, aber so gut wie nie von ihr.

Einzig Lyrik­anthologien wecken hin und wieder Aufmerk­samkeit und Leser­interesse über die einschlägigen Kreise des Literatur­betriebs hinaus. Offensichtlich lassen sie sich auch einigermaßen verkaufen, was daran liegen mag, dass man sie so gut verschenken kann. In manchen Szenen scheint Lyrik durchaus hip zu sein, auch wenn sie dann vielleicht eher als Statussymbol denn als Kunst oder gar Bildungsgegenstand wahrgenommen wird. Aber wie auch immer: Gedichtanthologien sind ein probates Mittel zur Lyrikvermittlung und -verbreitung. Und sie bilden zudem eine aktuelle Moment­aufnahme dessen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt zum lyrischen Kanon gerechnet werden darf.

Einer der rührigsten und erfolg­reichsten Lyrikvermittler im deutsch­sprachigen Raum ist Anton G. Leitner. Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber der Zeitschrift DAS GEDICHT ediert er seit Jahren Lyrikanthologien zu unter­schiedlichen Themen und Schwer­punkten. Nun ist von ihm eine neue Lyrikreihe konzipiert worden, von der inzwischen die ersten drei Bändchen erschienen sind: jeweils rund fünfzig Gedichte „für alle Lebenslagen“, gerichtet vor allem an ein junges Lesepublikum. Lobens­werterweise sind es überwiegend zeitgenössische Autorinnen und Autoren, die Leitner unter den Titeln „power“, „relax“ und „smile“ versammelt, auch wenn der ein oder andere moderne Klassiker nicht fehlen darf. Dies gilt insbesondere für die „smile-lyrik“, wo verhält­nismäßig viele längst kanonisierte Autoren des Zwanzigsten Jahrhunderts zu Wort kommen – was den Schluss nahe legt, dass heutige Dichtergenerationen vielleicht weniger zu lachen haben. Bei allem Ernst fehlt es aber auch im „relax“-Bändchen keineswegs an Humor. Die größte Kraft entfaltet freilich die „power-lyrik“: In diesem Band ist stellenweise eine poetische Energie spürbar, die auf den Leser überspringen kann. Alles in allem sind in jeder der drei Anthologien erfreuliche lyrische (Wieder-)Entdeckungen zu machen.

Leitners Konzept lohnt sich also, da es vor allem heute lebenden und schreibenden Dichterinnen und Dichtern Gelegenheit gibt zu zeigen, was Lyrik kann und will. Kleinliche Geister mögen sich fragen, ob das quadratisch-praktisch-gute Format nicht ein wenig zu leichtgewichtig daherkommt und die englischen Buchtitel von der jugendlichen Ziel­gruppe eventuell als Anbie­derung missverstanden werden könnten. Einen Versuch indes ist eine solche Lyrikreihe allemal wert, zumal bei einem Kaufpreis, der bei erschwinglichen 4,95 Euro liegt. Verschenken lässt sich so ein kompaktes Büchlein jedenfalls problemlos und den Magen kann man sich bestimmt auch nicht daran verderben.

Fragt sich allerdings, ob solch ein Projekt auf lange Sicht dazu beiträgt, neue Leserschichten für die Lyrik zu erschließen. Und ob es Leser gewinnen kann, die von der Literatur mehr erwarten als witzige, entspannende und Kraft spendende Wellness-Programme. Sicherlich ist es verlags­politisch nach­vollziehbar, auf lyrische Erbau­ungs­potentiale und Wohl­fühleffekte zu setzen, die ja unbe­streitbar sind. Gleichzeitig bleibt bei einem solchen Konzept jedoch sperrige, schwierigere Lyrik weitest gehend außen vor. Das ist schade, weil somit befremd­lichere Stimmen im Chor der genehmen Gedichte fehlen. Auf diese Weise wird dem jungen Zielpublikum ein Bild geboten, das Lyrik als Feelgood-Methode einführt und bewirbt. Damit erreicht und formt man in erster Linie Leser, die Gedichte wie Schokolade konsu­mieren wollen, der Glücks­hormone wegen.

Dass zeitgenössische Lyrik mehr kann und wollen darf, als süßen Trost zu spenden und Fluchtwege aus dem mitunter schmerz­haften Alltag auf­zuzeigen, dass Gedichte über den seelen­therapeutischen Nutzen hinaus auch aufklären können über gesell­schaftliche Fehl­entwicklungen und Miss­stände – dies wird in einer solchen Anthologie­reihe nicht deutlich. So werden die anvisierten Leser eingelullt und am Ende verstärkt sich womöglich die allgemeine, nicht nur in der Literatur nachlesbare Tendenz, dem schwer Genieß­baren, dem Kritischen, Irri­tierenden und Aufrüt­telnden auszuweichen. Gedichte müssen nicht schön sein, wie jede Kunst dürfen sie verwirren, stören, verärgern. Gedichte dürfen sperrig, wüst und plakativ sein, sie müssen potentiellen Lesern keineswegs immer gut und angenehm reinlaufen. Je häufiger indessen lyrischen Lese­anfängern das leicht Ver­dau­liche vorgesetzt wird, desto weniger können ihre verwöhnten Gaumen mit dem nicht ganz so Schmack­haften anfangen – sofern sie überhaupt noch irgendwo darüber stolpern. Das spricht nicht unbedingt gegen die neue Lyrikreihe von Anton G. Leitner, aber es spricht für editorische und verlegerische Konzepte, die mutig auch solche Lyrik veröffentlichen, die aneckt, die vielleicht schwerer zu schlucken ist, letztlich jedoch nachhaltiger wirkt.
Peter Kapp     12.07.2009   
Peter Kapp
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