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Synke Köhler

waldoffen

Wenn der Wald weg ist, bleibt die Offenheit
Zum Lyrikdebüt waldoffen von Synke Köhler

Kritik
  Synke Köhler
waldoffen
Gedichte
Lyrikedition 2000, München 2011

Zum Verlag  externer Link



Waldoffen. Seit wann ist Wald offen? Steht Wald nicht zu Recht für Geschlossenheit? Ziemlich dicht geschlossen sind die Reihen der Bäume in gesunden Wäldern. Wald ist meistens zu dicht, um offen zu sein. Wald ist oft sogar ein ziemliches Dickicht: Der sprich­wört­liche Wald, den man vor lauter Bäumen nicht zu sehen bekommt. Un­durch­schau­bar wie die Welt selbst. Und lese ich nicht auf den ersten Blick sowieso „weltoffen“? Meine Welt­offenheit liest mit. Aber auch mein Hoffen auf den Wald.

Synke Köhler hat ihren Lyrikdebütband, der 2011 in der Lyrikedition 2000 erschienen ist, „waldoffen“ genannt. Die Gedichte des Bandes aber öffnen sich vor allem den durch­geforsteten, abgeholzten, gerodeten oder nie bewal­deten Land­schaften – es ist nur ein einziges Wäldchen in Form des Gedichtes, dem der Titel entnommen ist, übrig geblieben. So ist also Waldoffenheit zu verstehen: Wenn der Wald verschwunden ist und das lyrische Ich „den Duft von Brombeer­blüten“ nurmehr behauptet, dann finden sich Leserinnen und Leser zum Beispiel umringt von Mädchen („die ewige lolita“) und Frauen („midlife marie“). Manche von ihnen sind Stimmen, die sich in ihrer lyrischen Ver­klei­dung als „zitter­pappel“, „flaschen­post“ oder „Silvester­malve“ erst wirklich ent­hül­len, entblößen. In anderen Rollen gehen (eifern?) sie Strandläufern nach und oder sagen im „tennisröckchen“ „danke für den Satz­verlust“.

Wenn der Wald der Weg ist, der Wald im Kopf, der Wald hinter den Brettern vor'm Kopf, die die Welt deuten, verschwindet der Wald schon bald im gedank­lichen Holzofen. Aber man hatte es immer­hin warm eine Weile. Wenn man auf diesem Trip ist, dann ist man auf jenem speziellen Waldweg, der ein Holzweg ist, dann ist man schon zu weit weg von dem Zustand, gegenüber Wald offen zu sein, offen gegenüber jenem wald­verzweigten und durch eigene Schuld ver­geigten Baumsammel­surium, dass man augen­blicklich sagen möchte: Komm, Freundchen, ins Offne, wende dich, an die Betroffenen, ins Schroffe – siehst du ihn nicht, den Wald vorlauter Bäume? Er brettert durch dich hindurch, er wettert mit der Welt um die Wette. Wald­gewaltig, aber nicht wald(zu)ge­wandt. Er besteht nicht darauf, aus Bäumen zu bestehen.

Deshalb sieht man in Synke Köhlers Gedichten den Himmel vor lauter Vögeln wieder, die Stelle, wo „die Sprachshuttle explodierte“ und man hört ihr „Flügel­schlagen zwischen den Zeilen / der Häuser“. In Betrachtung der „schwalben to go“ erscheint unsere Ruhe­losig­keit ebenso plausi­bel wie ange­sichts von „Luft­schlangen“ „plötz­lich die Lust / am Zerreißen“. Die „Sehn­sucht nach Lang­streckenflügen“ schlummert sowieso in den meisten.

In den Gedichten geht es oft um Charaktäre, die sich zumindest einer Sache sicher sind: „an meinem körper keine knöpfe“. Charaktere, die man vor lauter Körper zu Gesicht bekommt, sei es beim „extremi­täten­soundcheck“ oder wenn die „lippen / aufspringen“ - so bleiben einige Gedichte später „... am ende / offene lippen“, ein Wald von Lippen also, durch den zu streunen der Gedicht­band freund­lich einlädt – ohne dass man dabei den alt herge­brachten, nicht besonders offenen Wald vermisst.

 

Lars-Arvid Brischke    01.05.2012   

 

 
Lars-Arvid Brischke
Lyrik