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Marion Poschmann
Hundenovelle

Herrin und Hund

Marion Poschmann konfrontiert in ihrer neuen Prosaarbeit zwei aus der Welt gefallene Geschöpfe

Marion Poschmann | Hundenovelle
Marion Poschmann
Hundenovelle
FVA 2008
Eines Tages ist er einfach da und drängt sich in ihr Leben. Schmiegt sich inmitten einer desolaten Landschaft plötzlich an die Füße der melancholischen Wanderin und verfolgt sie bis nach Hause. Die Luft ist heiß und schwer, der Streuner tiefschwarz, zottelig und ungepflegt. Aber auch die Frau, der er von nun an nicht mehr von der Seite weichen wird, ist aus ihrem bisherigen Leben herausgefallen und sucht in der Begegnung mit dem Tier nach einer neuen Existenzweise.

Marion Poschmanns sich dem streng geregelten Genre der Novelle verschreibender Prosatext ist das Dokument einer Krise. Für seine Ich-Erzählerin, die gerade arbeitslos geworden ist und ihre krebskranke Mutter verloren hat, verschwimmen nach und nach die Grenzen der gewohnten Welt. An ihre Stelle rückt eine üppig wuchernde Natur, die aus den Ritzen allgegenwärtigen Betons herausschießt, verrostete Stahlträger grün ummantelt und sich allmählich zurückholt, was Menschen­werk ihr einst entriss.

Es sind nur ein paar Minuten mit der Straßenbahn aus der Stadt hinaus zu jenen „Nichtorten“, wo dichtes Blattwerk und wachsendes Gezweig den Ring um die zivilisatorische Lichtung langsam enger ziehen. Und es sind nur minimale, kaum merkbare Verschiebungen in den gewohnten Koordinaten eines in Alltäglichkeiten verankerten Lebens, die Poschmanns einsame Heldin dazu bringen, Sinn und Zweck ihres Seins, von dem der Leser nicht mehr erfährt, als dass es vor Kurzem noch einen festen Rahmen besessen hat, vollkommen zur Disposition zu stellen.

Dabei dient der zugelaufene Hund der Protagonistin zunächst als Gegenüber, als Studienobjekt für eine andere, natürliche und kreatürliche Art, das Dasein zu bewältigen. Ihn in die Menschenwelt zu holen, seine Domestizierung zu betreiben, bringt deshalb zunächst nicht wenige komische Momente mit sich. Alles in allem ist Komik freilich nicht die Methode, mit der die lyrische Prosa der Autorin sich die Wirklichkeit unterwirft, ja kann vielleicht nicht einmal von einer „Unterwerfung der Wirklichkeit“ im Zusammenhang mit diesem poeti­schen Text die Rede sein. Denn während der Mischling alsbald in einem selbst geschneiderten Mäntelchen daherkommt und in einem Hundesalon von seinem verdreckten Fell befreit, entflöht, gewaschen und shampooniert wird, fällt seine Herrin, die schon eingangs unter einer „eigenartigen Trägheit“ leidet, dicker wird und eine herunterziehende Schwere verspürt, allmählich in einen Zustand, der sie ihrer aktivistisch vor sich hin wuselnden Umgebung immer mehr entfremdet. Am Ende wird nichts Menschliches mehr an ihr sein, wird sie sich aufgelöst haben unter der Ewigkeit eines Sternenhimmels, an dem allein der Hund als Zeichen weiterexistiert.

Fremdsein in der Welt, die ihre absurden Rituale einfach weiterspielt. Kritik an einer Zivilisation, die sich über alles Natürliche hinwegsetzt. Lob der Ein­samkeit als ein Geschenk an den in Menschenmassen müd Gewordnen. Sehnsucht nach dem Verschwinden des Selbst, seiner Auflösung. Es sind alte Themen, die die vorliegende Novelle in unsere Gegenwart transportiert. Und sie stützt sich dabei auf ein Zeichenarsenal, das sie souverän und spielerisch beherrscht.

Das Fazit ihres Lebens formuliert Marion Poschmanns namenlos bleibende Erzählerin schließlich als Text auf einer Postkarte, die sie an all jene verschickt, von denen sie nichts als die Adressen mehr besitzt: Melancholia balneum diaboli est, Melancholie ist das Bad des Teufels – ein Gedanke des englischen Schriftstellers, Geistlichen und Gelehrten Robert Burton (1577 – 1640) aus seiner berühmten Anatomy of Melancholy von 1621. Allein sie frankiert die Karten nicht. Wer neugierig darauf ist, was sie zu sagen hat, soll gefälligst dafür bezahlen.
Marion Poschmann wurde 1969 in Essen geboren und studierte in Bonn und Berlin. Sie schreibt Lyrik und Prosa und übersetzt aus dem Russischen. 2002 erschien ihr erstes Buch „Baden bei Gewitter“. Sie wurde mit dem Literaturpreis Ruhrgebiet 2005 und dem Droste-Literatur­förderpreis der Stadt Meersburg 2006 ausgezeichnet.
Dietmar Jacobsen     21.11.2008   
Dietmar Jacobsen