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Die Grenze von »Streumen« ist meine eigene Sprachgrenze

Ulrike A. Sandig im Gespräch mit Andreas Heidtmann
»Streumen« – so heißt Ulrike Almut Sandigs eben erschienener Gedichtband, der auf ihr Debüt »Zunder« (2005) folgt. Ulrike Sandig wurde 1979 in Großenhain, Sachsen, geboren und lebt heute in Leipzig. 2001 war sie Mitgründerin der Literaturgruppe »augenpost«, mit der sie bis 2005 Gedichte an die Ampelpfosten und Stromkästen in Leipzig und anderen Städten klebte. Nach ihrem Lyrikdebüt erhielt sie unter anderem den Lyrikpreis Meran. Zurzeit betreut sie mit Jan Kuhlbrodt die EDIT und steht vor dem Abschluss ihres Studiums am Deutschen Literaturinstitut.
Andreas Heidtmann: Liebe Ulrike, soeben ist Dein zweiter Gedichtband erschienen. Er trägt den geheimnisvollen Titel Streumen. Wie kamst Du zu diesem Titel und was bedeutet er?

Ulrike A. Sandig: Ich habe diesen Titel unabsichtlich beim Blättern im eigenen Manuskript gefunden. Darin gibt es ein Gedicht, das ebenfalls Streumen heißt. Streumen ist in Wirklichkeit ein Dorf im ostelbischen Sachsen. Dieses Dorf kommt im Gedicht aber gar nicht vor. Und das ist schon der springende Punkt: Streumen ist der unsichtbare Ort, den ich immer mit mir herumtrage. Streumen ist die emotionale Heimat, die ich mir nicht ausgesucht habe. Streumen ist auch eine selbstvergessene Körperbewegung, etwa das Blättern in einem Buch oder das Herumstreunen durch Städte oder das sich Umsehen auf der Suche nach nichts Bestimmten oder das Schreiben selbst. Die Grenze von Streumen ist meine eigene Sprachgrenze. Was ich nicht festhalten kann, liegt auch nicht in Streumen. Genau da will ich aber hin.

A. Heidtmann: Zunder, Dein Debüt, war sehr erfolgreich, vor allem wenn man einbezieht, dass Du danach unter anderem den Lyrikpreis Meran erhalten hast. Oft heißt es, gerade das zweite Buch sei schwierig, schon weil beim Publikum natürlich hohe Erwartungen bestehen und man als Autor selbst nicht mehr so frei ist wie beim Debüt. Wie war es bei Dir?

U. Sandig: Den Preis und auch andere Unterstützungen habe ich für Gedichte bekommen, die in Zunder noch gar nicht enthalten sind, sondern nach und nach in Zeitschriften erschienen und erst jetzt geballt in Streumen stehen. Leser, die das mitverfolgt haben, haben also schon eine Ahnung davon, worauf sie sich mit diesem Buch einlassen. Die hohen Erwartungen, die ich wahrnehme, sind ausschließlich meine eigenen und sie beziehen sich nicht auf Streumen, sondern auf meine nächsten Arbeiten. Streumen fühlt sich dabei so an, als sei es mein erstes Buch. Möglicherweise kommt das davon, dass ich nach Zunder bewusst noch einmal neu zum Schreiben angesetzt habe. Vielleicht fühlt sich aber jedes Buch wie das erste an.

A. Heidtmann: Beide Bände sind in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung erschienenen, einem sehr verdienstvollen Verlag in Leipzig, der in seiner Wörtersee-Reihe auch weitere Lyriker publiziert. Wie siehst Du – als Lyrikerin – die Verlagslandschaft und wo siehst Du Chancen für junge Lyriker. Und etwas direkter gefragt: Kamen nach dem Meran-Preis nicht auch gleich Angebote von den Großen, oder ist das in der Lyrik anders als in der Prosa?

U. Sandig: Nein, nach meinem Meranpreis habe ich zwar viele Anfragen bekommen, aber nicht von Verlagen. Das hatte weniger mit dem Genre zu tun als damit, dass der Lyrikpreis Meran kein ausgewiesener Nachwuchspreis ist und also nicht weiter bescoutet wird. Das habe ich aber gar nicht vermisst, weil ich mein zweites Buch von Anfang an wieder mit der Connewitzer Verlagsbuchhandlung machen wollte. Nach Zunder durfte ich gewisse Rechte in Anspruch nehmen, die ich in einem Verlag, der mich noch nicht kennt, sicher nicht bekommen hätte, etwa die freie Wahl meines Lektors. Dichter sind in mittleren und kleinen Verlagen im Moment oft besser aufgehoben als in den großen. Auch im internationalen Vergleich ist es für deutschsprachige Dichter gerade nicht übermäßig schwer zu veröffentlichen oder Förderungen zu bekommen. Schwer haben es Dichter natürlich beim Verkauf ihrer Bücher, aber das ist ein alter Hut, der nicht nur mit der geringen Nachfrage zu tun hat, sondern auch mit der Einkaufspolitik der Großbuchhandlungen. Problematischer finde ich aber die Gefahr, sich zu fest auf die Fördermöglichkeiten des Literaturbetriebs einzulassen, irgendwann hinten wieder herunter zu fallen und feststellen zu müssen, dass sich schon die ganze Zeit niemand für das, was man schreibt, begeistert hat.

A. Heidtmann: Du hast Dir inzwischen als Lyrikerin einen Namen gemacht, aber Du verfasst auch Prosa. Was darf der Leser in dieser Hinsicht von Ulrike Almut Sandig in Zukunft erwarten?

U. Sandig: Ich ertappe mich schon wieder beim Schreiben von Gedichten, obwohl ich tatsächlich hoffe, bald auch meinen Erzählband zu machen. Neu dazugekommen und für mich selbst überraschend ist meine Begeisterung an Hörspielen. Im nächsten Jahr wird der SWR mein erstes Hörspiel senden.

A. Heidtmann: Du studierst am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, kennst dank vieler Lesungen, Auftritte und Projekte wie augenpost die Leipziger Literaturszene sehr genau. Auch bist Du inzwischen bei EDIT eingestiegen. Hast Du das Gefühl, dass sich die Literaturszene in Leipzig innerhalb der letzten Jahre verändert hat? Also an Kreativität eingebüßt hat oder sogar umgekehrt noch vielfältiger geworden ist?

U. Sandig: Um wirklich etwas sagen zu können, stecke ich zu tief drin. Fest steht, dass es weniger eine Leipziger Literaturszene gibt als Teile verschiedener Szenen, deren Autoren oder Veranstalter eben auch in Leipzig sitzen, sie könnten genauso gut woanders leben und arbeiten. Wenn es eine Leipziger Literaturszene gibt, dann weil wir alle hier wohnen und diese Stadt so klein ist, dass man sich irgendwann auch kennt. Allerdings fällt mir auf, dass es nicht nur in Leipzig eine permanente Reflexion über die Literaturszene gibt, die ausschließlich von ihr selbst ausgeht und sich an sie selbst richtet. Das ist eine ungesunde Nabelschau, die wir uns abgewöhnen sollten, wenn wir unsere Arbeit ernst nehmen.

A. Heidtmann: Abschließend würde ich gern etwas zu Deinen Projekten für 2008 erfahren. Was planst Du, was wirst Du nicht länger machen, was wünschst Du Dir?

U. Sandig: Was ich plane: Die drei letzten Scheine für das Literaturinstitut zu sammeln. Gedichte schreiben. Jan Kuhlbrodts und meine erste EDIT im Dezember. Überhaupt gehört EDIT in die feste Planung. Ab Februar werde ich fünf Monate lang in Edenkoben in der Pfalz sitzen und mein drittes Buch anfangen.

Was ich nicht länger machen werde: ohrenpost-Lesekonzerte, weil Marlen Pelny und mir Zeit und Mittel fehlen, um es so zu machen, wie wir uns das vorstellen. Womit ich bei den Wünschen angekommen bin:

Ein neues Hörbuch mit Marlen Pelny. Eine augenpost 2008 ohne Plakat oder Postkarte, sondern da, wo niemand mit ihr rechnet. Überhaupt Gedichte. Erzählungen auch. EDIT erst recht. Noch ein Hörspiel. Schreibzeit.


A. Heidtmann: Vielen Dank für das Gespräch.
Ulrike A. Sandig | Streumen  
Ulrike Almut Sandig
Streumen
Gedichte
Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke Leipzig 2007

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Andreas Heidtmann     27.11.2007

Andreas Heidtmann
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