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11 Zu den Kolumnen
Gut gestrickt ist halb gewonnen
Deutschspachige Dichterinnen holen auf
Motiv: Annette von Droste-Hülshoff Die Dichterinnen sind auf dem Vormarsch. Kein neues Fräuleinwunder, nein, sondern eine nicht länger zu leugnende Tatsache: Literatur, gute zumal, wird zunehmend von Frauen geschrieben. Reihenweise gingen in diesem Jahr Preise, die in Wettbewerben zu erringen sind, an junge Literatinnen: Mit dem Peter-Huchel-Preis fing es an, der Lyrikpreis Meran folgte, der Dresdner Lyrikpreis brachte sogar einen Doppelerfolg. In Klagenfurt kürte man eine Autorin, die im Grunde keine ist, aber immerhin mit ihrem Text die Jury überzeugte.

Ohne den produktiven Zuwachs aus der Riege jüngerer Literatinnen wäre die Kurzprosa längst literarische Brache. Wiederum kein Zufall, dass im November drei junge Frauen beim Open Mike der Berliner Literaturwerkstatt prämiert wurden. Letztes Jahr holten gleichfalls Erzählerinnen den ersten und zweiten Preis. Und wer sich in der Literaturszene auskennt, der wird hinzufügen: Der Jungautorenpreis aus Regensburg und der Literaturpreis Prenzlauer-Berg ging diesmal an Frauen. In der Lyrik werden seit langem viele, wenn nicht die meisten guten Gedichte von Frauen verfasst. Im Spitzenfeld spielen Männer gleichwohl signifikant mit – Kling und Pastior etwa, um zwei verstorbene Wortzauberer zu nennen.

Täglich zeigen uns die Medien, dass die männlichen Literaten mit einem weiteren Handicap kämpfen: Der Vergreisung. Enzensberger, Grass und Walser wirken – im Vergleich zu Schriftstellerinnen ihrer Generation – wie verdiente Staatsmänner, deren Arbeitsalltag sich in der Entgegennahme von Ehrendoktorhüten erschöpft. Pfeiferauchend, mit wirbligen Altherrenbrauen zehren sie von dem, was sie in der Nachkriegszeit produzierten. Bodenseekunde und Trivialitäten zum Tee werden in manchen Feuilletons dem Leser immer noch gern als literarische Sensationen verkauft. Dagegen schaue man sich an: Friederike Mayröcker, Christa Wolf, Gabriele Wohmann: Die Frauen – wer mit ihnen am Rande einer Veranstaltung einmal plauderte, weiß es – sind weniger auf Selbstinszenierung bedacht und nehmen es spielend mit den Literaturgenerälen auf.

Damit niemand glaubt, dies sei alles ohne Statistik erdichtet, greife ich einmal zum Jahrbuch der Lyrik von 1984: Da finden sich unter siebzig Dichtern zehn Dichterinnen. Sechs zu eins für die Herren. Beide Herausgeber sind Männer, die Widmung gilt einem Mann und die Grafiken stammen von einem Mann. In konkurrenzloser Überzahl sind die Damen erst auf der letzten Seite, wo man sich in einer kleingedruckten Notiz bei den Mitarbeiterinnen bedankt.

Allmählich dämmert es allerdings den Herausgebern, dass es scharenweise Literatinnen gibt, die gut dichten. Im Jahr 2007 sind jedenfalls knapp die Hälfte der Autoren des Lyrikjahrbuches Frauen und endlich ist eine Frau Mitherausgeberin. Der Leser darf sich also fragen, ob wir es hier mit rapiden Lernfortschritten bei den Dichterinnen zu tun haben oder mit jahrzehntelanger Ignoranz des Literaturbetriebs. Den Rekord in Schriftstellerinnenverkennung hält gleichwohl die Akademie für Sprache und Dichtung mit der Vergabe des Büchnerpreises. Einmal abgesehen von Ingeborg Bachmann fand man in den Jahrzehnten des Aufbruchs keine einzige Frau des Preises für würdig. Müßig, hier all jene Literatinnen aufzuzählen, die in jenem Vierteljahrhundert büchnerpreiswürdige Literatur verfasst haben.

Doch blicken wir nach vorn: Die Literatinnen schreiben, was das Zeug hält, und lächeln allenfalls mitleidig, wenn gereizte Feuilleton-Chefs feminine Schreibkünste als Mannequindichtung abtun und sich an alte Bärte klammern. Glaubt man den Pädagogen, lässt die Lesebereitschaft gerade bei männlichen Jugendlichen in erschreckender Weise nach. Dass man lieber virtuell ballert als virtuos fabuliert, gilt nicht nur für Jungs aus Moabit oder Bottrop. Das Los der Männer wird in Zukunft also eher der Analphabetismus sein. Schade, denn wer soll dann all die wunderbaren Bücher lesen, die von Frauen verfasst werden?

Luchterhand Jahrbuch der Lyrik 1984
Herausgegeben von Christoph Buchwald
und Gregor Laschen
Luchterhand, Darmstadt / Neuwied 1984

Jahrbuch der Lyrik 2007
Herausgegeben von Christoph Buchwald
und Silke Scheuermann
S. Fischer, Frankfurt/M. 2007

Andreas Heidtmann   21.11.2006

Andreas Heidtmann
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