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Elke Erbs
Poetics  27  

Verluste infolge von korrektem Deutsch


4.8.13
Ich lese im PC die Abschrift des Tagebuchs 2010. Ich treffe darin auf die, allein­stehende, Zeile „das viele weiß ich nicht.“ Unter Extra: Wörter zählen er­mittle ich, wie­viele Zeilen da vor ihr stehn, denn ich meine, daß diese eine an Fas­sungs­vermögen alle an­deren vor ihr über­trifft, und also wieviele es denn wären: über 1100.

Als ich diese Bemerkung im Tb vom 4.8.13 wieder antraf, erinnerte ich mich an eine andere Stelle aus einer Tagebuch-Ein­tra­gung von Anfang Fe­bruar 1969, der ich im Fe­bruar dieses Jah­res begeg­nete, als ich einige Text-Werde­gänge zu einem poeto­logi­schen Vor­trag im Merve-Verlag zu­sammen­stellte. Die Ein­tragung be­schrieb eine ima­ginäre Schüch­tern­heits­blockade:
  „Ich trete aus der Diele auf die Schwelle, Gewan­dung und Spiele im Raum sind heiter, schöner als ich, ich werde nicht hinüber­können, scheue [...] und im goldenen Lampen­licht spüre ich, wie mein Gesicht (jetzt kommt die Stelle:) aus Holz wird unter den Blicken der Anwesenden.“
  Der Text ist mit Korrekturen über­schrieben, ich bemühe mich, beide, Text und Korrek­turen in Druck­schrift zu er­fassen, und bemerke deshalb nicht gleich, welche benei­dens­werte, welche herzigs­te Echt­heit mir damals noch – 69 war ich schon dreißig – erhalten­geblieben war im Ich-Biotop, und wegfiel unter der Kor­rektur:
  mein Gesicht wird aus Holz – mein Gesicht wird – korrekt: zu Holz. Sah das mit hef­tigem Neid-Leid! Ach! Unrettbar! Verloren auf immer Unwieder­bringlich.

Selbstverständlich erkenne ich hier das poetolo­gische Thema und bringe es, s.o, Titel, auf den Punkt.

Vielleicht haben andere auch solche Verluste erlitten – und wir könnten eine Samm­lung ver­anstalten, so nach und nach? Die Mail an Poetenladen externer Link würde an mich blindlings weiter­geleitet?

Im Zusammenhang mit dem Thema fällt mir noch eine Begebenheit ein:
  Mein Sohn, als er klein war, nahm, im Sommer auf dem Land, einen Lie­ge­stuhl, stellte ihn oben auf so, daß er ins Tal zum Bach hin­unter­sehen konnte, setzte sich mit einem Schreib­zeug hinein und versuchte sich in der Pose eines Dichters (dort gab es da­mals mehrere, Kito Lorenc, Heinz Czechows­ki, Adolf Endler, E.E.). Ich trat zu ihm und las den Satz: Kommt ein Wind, macht er her. Was ihm in Be­tracht kam, war ein Baum am Bach. Er zeigte es mir mit der Hand, und im Baum ging auch ein Wind: Er wehte die Zweige da unten zu seinen Augen her.

Das habe ich nicht ver­gessen. Eine Korrektur kam nicht infrage, er zeigte mir ja un­wider­leglich. wie es zu ver­stehen war. Aber es war ein Beispiel für dieselbe Unmittel­barkeit. Die auch einen Verlust ergeben kann (bei welchem sich das Modewort „grenzwertig“ einmal in einem posi­tiven Sinn zeigen darf!).

Übrigens erinnere mich an eine ganz ähnliche Stelle wie „macht er her“ bei Rilke Ich weiß nicht mehr wo, doch kenn­zeich­net sie ihn als einen Dich­ter, bei dem die schein­bar exqui­site Hoch­sprach­lich­keit, in der wohl viele seiner Ver­ehrer ihr Sonnen- oder Mond­bad nehmen, sich als ein eitles Miß­ver­ständ­nis dartut, da sie, in seinem Ich-Biotop, mit einer solchen un­eitelen Direkt­heit ver­bunden ist.
Elke Erb   20.09.2013   

 

 
Elke Erb
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