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Billy Collins
Alter Mann alleine in einem Chinarestaurant
Ich bin froh, der Versuchung widerstanden zu haben,
wenn es denn eine Versuchung war für den jungen Menschen,
der ich gewesen bin, ein Gedicht über einen alten Mann zu schreiben,
der ganz alleine an einem Ecktisch in einem Chinarestaurant isst.

Ich hätte das alles nicht ganz verstanden,
denkend: dieser armselige Bastard, nicht einen Freund auf der Welt
und bloß ein Buch als Gesellschaft.
Wird die Rechnung wohl aus seiner Kleingeldkasse begleichen.

So froh, dass ich all diese Jahrzehnte gewartet habe,
um zu verzeichnen, wie heiß und säuerlich die heiße und säuerliche
Suppe hier im Chang's ist an diesem Nachmittag,
und wie kalt das chinesische Bier in dem beschichteten Glas.

Und mein Buch – José Saramagos sich dem Ende zuneigende Stadt
der Blinden – ist so fesselnd, dass ich nur dann
meine Augen von dem sich steigernden Grauen hebe,
wenn ich über einen der leuchtenden Sätze des Autors staune.

Zudem sollte ich das Licht erwähnen,
das zu dieser Zeit des Tages durch die großen Scheiben fällt
und alles, womit es in Kontakt kommt, betont –
die Teller und Teeschalen, die makellosen Tischdecken

genauso wie das weiche braune Haar der Kellnerin
in ihrer weißen Bluse und ihrem kurzen schwarzen Rock –
jene, die gerade lächelnd eine Portion Reis und Fleisch
mit Knoblauchnote zu meinem Lieblingstisch in der Ecke bringt.

 

Aus dem Amerikanischen von Ron Winkler  

Billy Collins    21.07.2007    

Billy Collins
Lyrik