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Ilija Trojanow

Der Weltensammler

Vergangen und doch aktuell

Ilija Trojanow: Der Weltensammler. Roman Ilija Trojanow erzählt in seinem Roman Der Weltensammler die Lebensgeschichte des britischen Offiziers und Ethnologen Sir Richard Burton – er tut dies in einem gekonnt bildhaften Stil und gewinnt damit den Preis der Leipziger Buchmesse 2006.

Die Sprache, die Trojanow benutzt, um dem Leser diesen umstrittenen Mann näherzubringen, ist eine, in der man sich verlieren kann.
„Der Kai war auf fauligem Fisch erbaut, überzogen von getrocknetem Urin und galligem Wasser. (...) Jahrhunderte von Fäulnis, barfüßig zu festem Boden gestampft, auf dem ein Uniformierter schreiend schwitzte.“

Der Einstieg verlangt Aufmerksamkeit, doch stellt man nach einigen Seiten fest: Man ist drin, taucht ab in den Dschungel Indiens, die Straßen Kairos, die Steppe Afrikas. Die Figuren werden lebendig, die spröden britischen Offiziere („Ihre Ehefrauen kartographierten penibel die Landkarte der herrschenden Vorurteile.“) ebenso wie die Brahmanen, die Tempeldienerin, der ägyptische Beamte. Die orientalischen Gerüche, aber auch der Gestank der Verbrennungen wehen durch die Geschichte, man glaubt die feuchte Hitze des Monsuns und den Sand zwischen den Zähnen zu spüren.

Die fast 500 Seiten des Romans sind in drei Teile gegliedert: Britisch-Indien, Arabien und Ostafrika, von denen jeder für sich ein eigenes Buch ist.
Bei der Ankunft in Indien – „es war nicht auszumachen, wann das Festland an Bord kam“ – beginnt der Roman, die Kindheit Burtons wird ausgespart. Seine Familie taucht nur in minimalen Sequenzen auf.

Die Perspektiven wechseln, mal erzählt sein indischer Diener Naukuram, mal sind es Briefe, die sich der Person Burton nähern, oft Dialoge, in deren Mittelpunkt die Ungeheuerlichkeit von Burtons Verhalten als Offizier steht.
Trojanow schlüpft in diese verschiedenen Personen, er erzählt aus ihrer ganz eigenen Sicht, mit ihren ganz eigenen Worten, die durch ihre Mentalität und Religion geprägt sind. So wie auch sein Protagonist, Richard Burton, immer wieder in Verkleidungen schlüpft, um Rollen zu spielen, mal aus eigenem Interesse, mal zu Spionagezwecken.

Burton wird als Kritiker seines Volkes und seiner Zeit aufgeführt, als Verfechter der Gerechtigkeit, als Skeptiker den Europäern gegenüber, als ein vom Lerneifer Getriebener (er beherrschte 29 Sprachen), aber auch als Choleriker und arroganter Egozentriker.

Seine Reisen führten Burton weg von seinen Landsleuten, nicht nur geographisch. Auch innerlich entfremdete er sich ihnen, hin zu exotischen Mentalitäten, dem Hinduismus, dem Islam, zu dem er übertrat, wovon ihn nicht einmal die Beschneidung abhalten konnte. Er kannte die Geschichten aus 1001 Nacht und das Kamasutra, heimlich hatte er Mekka bereist, sich in Arabien als indischer Arzt ausgegeben und dort auch als solcher praktiziert.

Der Weltensammler ist ein Abenteuerroman, aber einer, in dem die Sprache im Vordergrund steht und der nicht ein bloßes Aneinanderreihen von Abenteuern ist.

Trojanow selbst ist ein Mensch, dessen Lebensstationen ihn in verschiedene Länder führten. Geboren wurde er 1965 in Sofia, wuchs in Kenia und Deutschland auf, lebte in Indien, war in Mekka und lebt zur Zeit in Südafrika. Der Kenntnis der Orte aus Burtons Leben verdankt der Roman seine Authentizität und die detailgenaue Beschreibung seiner Menschen, ihres Verhaltens und ihrer Umgebung.
Diese Kenntnis hat Trojanow im Weltensammler zur Perfektion gebracht, nachdem er sie schon in seine bisher erschienenen Erzählungen und Reportagen hat einfließen lassen.

Auch wenn Richard Burton schon über 100 Jahre tot ist, spricht der Roman ein Thema an, das seitdem nichts von seiner Brisanz verloren hat: die Konflikte zwischen verschiedenen Religionen und Nationalitäten.
Er zeigt ein Aufeinanderprallen von Kulturen und die daraus erwachsenden Verständnisschwierigkeiten, die schnell brenzlig werden können, wird der Respekt vor dem Anderssein nicht gewahrt.

Ilija Trojanow
Der Weltensammler
Roman
München: Hanser 2006

Ilija Trojanow wurde 1965 in Sofia geboren. 1971 floh die Familie über Jugoslawien und Italien nach Deutschland. Trojanow hielt sich viele Jahre im Ausland auf, so in Kenia und Indien. Heute lebt der Autor in Südafrika. Für den Weltensammler erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse 2006.

© 23.03.2006    Rebecca Maria Salentin

Rebecca Salentin
Prosa
Interview