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Philipp Weiss
I am from Austria
Um mich zu beruhigen, gehe ich nach Hause, lege mich aufs Bett und nehme ein Buch von Thomas Bernhard zur Hand. Ich finde es immer beruhigend Thomas Bernhard zu lesen, da Thomas Bernhard ja bewiesener Maßen und in höchstem Maße krank war, da es ja nichts Krankhafteres gibt als Thomas Bernhard und seine Bücher, da Thomas Bernhard zu lesen einem das Gefühl der völligen Vernichtung gibt. Thomas Bernhard zu lesen ist immer mein Untergang gewesen, es hat immer einen niederträchtigen Verfall bedeutet, sobald ich ein Buch von Thomas Bernhard in die Hand genommen habe. Das empfand ich seit jeher als eine außergewöhnliche Beruhigung, dass es so etwas gibt wie Thomas Bernhard und die damit einhergehende Krankheit, die zur Vernichtung führt, unweigerlich, und dass es mir eben darum einen Blick auf mich selbst eröffnet, da ich ja kaum weniger krank bin als Thomas Bernhard, wie allgemein alle in Österreich lebenden Menschen kaum weniger krank sind als Thomas Bernhard und seine Bücher. Thomas Bernhard zu lesen ist die größtmögliche Selbstvergewisserung gewesen für mich in meinem Kranksein, doch nicht seit jeher, da ich früher, als ich noch unerfahrener war als ich jetzt ohnehin noch unerfahren bin, da ich also noch weniger wusste als ich ohnehin jetzt wenig weiß, glaubte, völlig gesund zu sein und mich immer auf widerwärtigste Art an der Schönheit einfachster Dinge zu berauschen versuchte. Doch nach einer gewissen Anzahl an Jahren in Wien, die ja, wie Thomas Bernhard schreibt, die niederträchtigste Stadt unter allen ist – naturgemäß neben Salzburg – nach einer gewissen Anzahl an Jahren in dieser Stadt, die einem nichts gibt, die einen nur aussaugt bis man tot umfällt, kommt man nicht umhin einzusehen, dass alles elend ist und man beginnt schließlich Thomas Bernhard zu lesen.
Und ein Buch von Thomas Bernhard in die Hand zu nehmen, wenn das Grauen in einem erst einmal eingepflanzt ist, hat etwas Zerstörerisches, und damit etwas ungemein Beruhigendes.

Da kann man machen, was man will, da komm ich her, da spuck ich hin.

Ich nehme ein Buch von Elfriede Jelinek zur Hand wie andere ihren Gummiwurm. Um meiner nun endlich mannhaft zu werden vielleicht. Ich packe aus und lege los. Von Bernhard zu Jelinek ist es nämlich auch nicht mehr weit. Ein kleiner Schritt in einem großen Land. Schließlich sind sie beide schon tot und suchen mich als eines ihrer Kinder heim. Daheim machen sie das, in Österarm, oder war das jetzt doch nur Kalauer? Von Bernhard vernichtet, von Jelinek zerhackt. Von Bernhard ermordet, und Jelinek sagt: doppelt hält besser. Das ist Österreich.
Sie sind beide schon Weltmeister in diesem Land und stehen somit am selben Podest. Gleich neben dem Maier Herrmann, der immerhin bereits im Vornamen zeigt, dass es in Österreich noch echte Männer gibt. Im Gegensatz zu mir, bellt es im Nachsatz. Denn Jelinek zu lesen ist für mich schon bei meinem ersten Mal eine euphorische Kastrationserfahrung gewesen. Sprachlicher Natur. Da fällt die Naturbeherrschung meiner Sprache ab wie der Apfel vom Stamm, da fällt der Stamm ab wie der Skiflieger von der Schanze. Das gibt eine Bestnote! Gratulation! Und ich schaue am Fernseher von zu Hause aus zu. Dort sieht Elfriede Jelinek flach aus und sagt, dass sie im Abseits steht und der Hund namens Sprache nach ihr schnappt. Sie reagiert darauf gleich eingeschnappt. Aber warum denn? Sie hat ihn doch schon längst am zuckenden Schwengel gepackt, diesen Hund, und ruck zuck auf den Hund gebracht.

Chor der kastrierten Wiener Sängerknaben: Da kann man machen, was man will. Da komm ich her, da piss ich hin.

Um mich wieder zu erbauen, nehme ich ein Buch von Peter Handke zur Hand, stehe auf, und beginne zu gehen. Er ist seiner Heimat schließlich frühzeitig, wenn auch nicht rechtzeitig entgangen – er wurde von ihr ergriffen, hat immer ein Begreifen versucht – und ist doch ein so beschaulicher Erzähler geworden im Alter, dieser Maulheld. Dieses Milchgesicht eines Revoluzzers, der ging und ging während Winter- und Herbsttagen im Wind durch die Wälder und bedachte, er bedachte über den Nebenweg, der eine Schleife zurückzog zur Kammstraße, über weitgeschwungene Wiesenhänge und -mulden, er bedachte, alles wohl, und sah nachdenklich zurück von den Gipfeln her auf die Täler seiner Heimat, auf Österreich, dieser Strauchritter, dieser Ewigkeitsfan, durchlauchter Erlauchter, dieser Siebengescheite, Neunmalkluge, er ging und ging, durch Peripherien, so dass ihn eine Müdigkeit erfasste, diesen Dörfler, und er zu visionieren begann, heraus aus der Bleistiftmine, hinein in ein volltönendes Niemandsland, dieser Gesinnungslump, und trägt mich mit sich, da ich gehe und gehe über Holz- und Sprachwege durch die Enge eines Buchverlaufs, und denke, ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein Handke gewesen ist, und gehe und schimpfe, dieser Nimmersatt, dieser Lebensbejaher, Leisetreter, Elfenbeinturmbewohner, dieser ewige Österreicher.

Da kann man machen, was man will. Da komm ich her, da kack ich hin.

Zerstreut also I Griff ins Regal, was bleibt sonst noch, als I fleischige Prosa von Friederike Mayröcker nach so Luftigem usw., das trägt I Wimmerton in der Sprache, sagte vielleicht EJ, ein urwüchsig ÖSTERREICHISCHES LAMENTO. Ich muss immerzu denken : waschecht, sage ich. Damit meine ich I Sprachtaumel, der mir durch die Glieder läuft beim Mayröcker Lesen, I Wort- und Körpertaumel, aus dieser Welt diesem Land gehoben und gleichzeitig an die Steine gebunden. Vermutlich ein Enzian, den ich als Lesezeichen verwende, sage ich, oder ein Gänseblümchen. Manchmal auch Primel oder Almenrausch usw.

Da kann man machen, was man will. Da komm ich her, da kotz ich hin.

 

Philipp Weiss       14.06.2007       

Philipp Weiss
Prosa